von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 25.03.2024
Wen wählen? Die Parteien im Kulturcheck
Finanzen, Museen, Lotteriefonds: So positionieren sich Thurgauer Politiker:innen vor den Grossratswahlen am 7. April zu den wichtigsten kulturpolitischen Fragen der nächsten Jahre. (Lesedauer: ca. 11 Minuten)
Eine grosse Mehrheit für den Bau eines neuen Museums in Arbon, unterschiedliche Prioritäten bei der Sanierung kantonaler Museen, verschiedene Vorstellungen darüber, welche Kultur gefördert werden sollte und Sorgen wegen zunehmender Verteilungskämpfe in Zeiten knapper werdender öffentlicher Gelder - das sind vier von vielen Erkenntnissen aus einer Befragung zu Kultur und Kulturpolitik im Thurgau, die wir an alle im Grossen Rat vertretene Fraktionen gerichtet haben.
Unser „Kulturcheck“ bestand aus insgesamt zehn Fragen. Es ging darin um sehr konkrete Themen, wie die Zukunft der kantonalen Museen, aber auch um allgemeinere Standortbestimmungen zur Bedeutung von Kulturpolitik im grossen Ganzen. Mit dem „Kulturcheck“ wollen wir vor der Kantonsratswahl am 7.April Orientierung geben und offenlegen, wie sich die verschiedenen Parteien in Fragen der Kultur positionieren. Die Umfrage ist nicht repräsentativ.
So ist der Kulturcheck entstanden
Wir hatten es den Fraktionen offen gehalten, ob sie die Antworten als Fraktionsmeinung abgeben wollen oder einzelne Kandidatinnen und Kandidaten namentlich antworten. Entsprechend unterschiedlich wurde es gehandhabt. Trotzdem gibt die Befragung deutliche Hinweise darauf, wer wo steht. Sechs von sieben im Rat vertretenen Fraktionen haben sich beteiligt. Nur die EDU hat trotz mehrfacher Nachfragen nicht auf unsere Anfrage reagiert.
Die wichtigsten und interessantesten Antworten fassen wir in diesem Beitrag in neun Themenblöcken zusammen. Wenn Dich alle Antworten einer bestimmten Partei interessieren, dann klicke einfach auf den Direktlink: SP, SVP, Grüne, Grünliberale, FDP, Die Mitte/EVP. Alle Beiträge sind auch im Themendossier «Grossratswahl 2024» gebündelt
So sind die Sitze im Grossen Rat aktuell verteilt (Quelle: Kanton Thurgau)
Die Wahlergebnisse im Kanton Thurgau seit 1972
1. Die wichtigsten Kultur-Projekte der nächsten vier Jahre
Hier scheint die Lage eindeutig: Fast alle Fraktionen bezeichnen die grossen Museumsbauprojekte (vor allem: Neubau des Museum „Werk Zwei“ in Arbon und Sanierung des Kunstmuseums) als Schlüsselvorhaben der nächsten vier Jahre. Einzig die SP nennt diese Projekte nicht explizit und schreibt stattdessen: „Wir möchten nicht nur einzelne Projekte in den Vordergrund stellen, sondern dazu beitragen, dass die Kultur generell in ihrer Vielfalt, ihrem Reichtum und kreativen Potenzial zum Ausdruck kommen kann.“
Ähnlich sieht es die FDP. Sie spricht sich ebenfalls für den Erhalt der Vielfalt aus: „Es braucht kantonale Leuchttürme, aber es braucht eben auch lokales und regionales kulturpolitisches Engagement.“ Weitere zentrale Projekte sind demnach für die Parteien: die Stärkung der regionalen Kulturpools (SVP), mehr kulturelle Bildung in Schulen (GLP), die Digitalisierung der Museumsbestände (FDP), mehr soziale Sicherheit für Kulturschaffende (Die Mitte/EVP).
2. Zwischen Identität und Vielfalt: Die unterschiedlichen kulturpolitischen Ansichten
Wir haben die Parteien auch danach befragt, welche Schwerpunkte sie selbst in den kommenden vier Jahren setzen wollen beziehungsweise, wofür sie sich besonders einsetzen wollen. Die Antworten offenbaren wesentliche Unterschiede in den politischen Ansichten. Die SVP beispielsweise legt besonderen Wert auf „die Vermittlung unserer traditionellen schweizerischen Kultur in den Schulen“, „die Stärkung und Förderung der kulturellen Vereinsarbeit im Milizsystem“ sowie „Schweizer Geschichte und Brauchtum lehren und Respekt davor einfordern“. Sie will Kultur vor allem dann unterstützen, „wenn sie mit den Werten unseres Landes vereinbar ist“.
Die Grünliberale Partei sieht Kultur auch als Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt und will dies stärken: „Kulturschaffende haben eine wichtige Rolle der Identitätsstiftung, aber auch der kritischen Horizonterweiterung“, schreibt GLP-Kantonsrat Reto Ammann. Seine Parteikollegin Nicole Zeitner ergänzte, es sei wichtig, den Stellenwert der Kultur in schwierigen finanziellen Zeiten zu stärken. Dies sei notwendig, um eine Weiterentwicklung des Kulturstandorts Thurgau zu ermöglichen. Die FDP wünscht sich, dass sich „der Thurgau als Kanton mit einem qualitativ ansprechenden und eigenständigen Kulturangebot“ zeigt. Um das zu erreichen sei es zentral, das kantonale Kulturamt („macht eine hervorragende Arbeit“) zu unterstützen.
SP hat die soziale Situation der Künstler:innen im Blick
Die SP zielt auf die Situation einzelner Kulturschaffender: „Sozialversicherungsrechtliche Anpassungen und Massnahmen in der Kulturförderung“ sollen künftig eine „sozial gerechte Behandlung von Kulturschaffenden“ ermöglichen. Daneben liege der Fokus auf Projekten, die „zu geschichtlichem und kulturellem Bewusstsein beitragen“, sowie der Förderung von regionalen Museen und „die Professionalisierung in den Regionen“.
Die Grünen wollen einen Schwerpunkt im Bereich Kulturvermittlung setzen: Ziel sei es „attraktive Angebote für Schulen (zum Beispiel für Museumsbesuche und Theaterveranstaltungen) ebenso wie für Erwachsene“ zu schaffen. Zudem müssten auch die kleineren Museen in den Regionen weiter unterstützt werden, beispielsweise in Sachen Digitalisierung der Bestände. Die Fraktion aus Mitte und EVP will die die Zusammenarbeit im Kulturbereich stärken: „Wir erachten es als wichtig, dass Synergien genutzt werden. Kultur muss grösser gedacht werden, über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus.“.
3. Wie soll es weitergehen bei den kantonalen Museen?
Seit Jahren beschäftigt sich der Kanton Thurgau mit der Frage, wie die kantonalen Museen fit gemacht werden können für die Zukunft. Vor vier Jahren hatte der Regierungsrat eine grosse Bau-Offensive beschlossen: In Arbon sollte ein neues Museum entstehen, Kunstmuseum, Ittinger Museum, Napoleonmuseum und Historisches Museum im Schloss Frauenfeld sollten umfassend saniert und teilweise auch erweitert werden durch neue Räume.
Inzwischen hat sich die finanzielle Lage des Kantons verschlechtert, die ambitionierten Pläne sind Makulatur beziehungsweise sollen auf die lange Bank geschoben werden. Die grosse Frage nun ist: Wie positionieren sich die Fraktionen im Kantonsrat dazu? Einschränkend muss man an dieser Stelle sagen, dass die Parteien die Fragen beantwortet haben, bevor der Regierungsrat seine Sparpläne bei den Museumsprojekten vorgestellt hat. Deshalb sind die Antworten mit einem gewissen Vorbehalt zu verstehen. Dennoch geben sie Einblicke in die unterschiedlichen Perspektiven.
Die Zukunft von Kunstmuseum und Ittinger Museum
Fast alle Fraktionen erklären, dass sie an den Sanierungen der Museen in der Kartause Ittingen festhalten wollen. Einzig die SVP schreibt, dass es für das Kunstmuseum eine „Neubeurteilung“ brauche. Sie schlägt einen „neuen Standort in urbanem Raum“ vor. Die Planung des Ittinger Museums könne hingegen weitergeführt werden. Die SP notiert, es sei unabdingbar, „dass diese Schätze in einer adäquaten Form (auf-)bewahrt werden müssen und in einer zeitgemässen Art dem Publikum zugänglich gemacht werden müssen.“. Die vorliegenden Entwürfe bedeuteten „eine Bereicherung und Aufwertung der ganzen Anlage“, so die SP.
Nicole Zeitner (GLP) erklärt, dem kulturellen Leuchtturm des Kantons müsse Sorge getragen werden. Angesichts der finanziellen Lage des Kantons sei aber genau zu prüfen, „welche Möglichkeiten bestehen, damit die notwendige Sanierung dennoch sinnvoll umgesetzt werden kann.“. Die FDP unterstützt ebenfalls die geplanten Investitionen: „Das Kunstmuseum hat schweizweit ein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt kein Kunstmuseum, welches in solch einer Anlage eingebettet ist.“ Diese „Einzigartigkeit“ gelte es zu bewahren.
Die Fraktion aus „Die Mitte“ und EVP verweist auf die finanziellen Herausforderungen und schlägt eine Etappierung einzelner Projektteile vor: „Beim angejahrten Ittinger Museum drängt sich eine Belebung auf, daher ist es dem Kunstmuseum bezüglich Sanierung vorzuziehen“, schreiben die drei Kantonsrat:innen Christian Stricker, Sabina Peter-Köstli und Patrick Siegenthaler für ihre Fraktion.
Grosse Mehrheit für den Bau eines neuen Museums in Arbon
Bei der Frage nach der Zukunft des nach ersten Schätzungen rund 45 Millionen Euro teuren Museumsneubaus in Arbon herrscht die grösste Einstimmigkeit. Alle Fraktionen halten das Projekt weiterhin für wichtig und richtig. In Nuancen gibt es Unterschiede. Die GLP fordert eine klare „Projekt- und Finanzierungsstrategie“, Mitte/EVP regen an „temporäre Zwischennutzungen durch Kunstschaffende“ zu prüfen. Arbon sei zudem als Standort für die internationale Zusammenarbeit sehr interessant.
Einen Monat nachdem die Parteien die Frage hierzu beantwortet haben, erklärte der Regierungsrat, dass das ganze Projekt verschoben werde: Statt 2028 soll das neue Haus erst 2037 eröffnen.
Noch keine Einigung bei Priorisierung der Bauprojekte
Angesichts der finanziellen Lage des Kantons deutete sich bereits Anfang des Jahres an, dass die musealen Bauprojekte nicht so geplant werden können, wie beim Beschluss vor vier Jahren gedacht. Deshalb enthielt der „Kultucheck“ auch die Frage nach einer möglichen Etappierung und Priorisierung der einzelnen Vorhaben. Die Antworten der Politiker:innen offenbaren hier Unterschiede. Nicole Zeitner (GLP) hat eine klare Rangfolge formuliert: „1. Kunstmuseum & Ittinger Museum; 2. Sanierung Schloss Frauenfeld; 3. Napoleonmuseum; 4. Historisches Museum Werk Zwei in Arbon“. Ihr Parteikollege Reto Ammann sieht hingegen den Neubau in Arbon als höchste Priorität. „Letztlich muss aber auch im Auge behalten werden, wo in Steine investiert wird und ob die Kultur insbesondere ausserhalb der Museumswelt nicht zu kurz kommt vor lauter Bauprojekten“, schreibt Ammann.
Die Rangfolge der Grünen sieht so aus: „1. Kunstmuseum/Ittinger Museum; 2. Historisches Museum Werk Zwei in Arbon: 3. Napoleonmuseum Arenenberg; 4. Sanierung Schloss Frauenfeld“. Die SVP steht den grössten Handlungsbedarf beim Neubau in Arbon und dem Kunstmuseum: „Insbesondere über das Kunstmuseum diskutieren wir schon über zehn Jahre ohne reale und breit tragbare Lösung“, erklärt die Partei. Die SP wehrt sich gegen eine Rangierung der einzelnen Projekte: „Dies ist keine Frage eines Basars, sondern der Überzeugung. Und vor allem von Notwendigkeiten: wenn Bestände gefährdet werden oder bereits sind, dann dürfte Aufschieben wohl eher grössere Probleme und Kosten verursachen.“
Die Fraktionsgemeinschaft aus EVP und Die Mitte sieht die höchste Dringlichkeit beim Napoleonmuseum und dem Ittinger Museum: „Hier braucht es zur weiteren Förderung des Tourismus eine Investition gemäss den aktuellen Plänen“, schreiben die Parteien. Beim Kunstmuseum sei „eine terminliche Herauszögerung“ vorstellbar, da „das aktuelle Museumskonzept noch verhältnismässig gut funktioniert“. Ein Fragezeichen setzen sie beim Neubau in Arbon. Das Projekt sei zwar stimmig, aber „ist das aktuelle Projekt mit einer Investitionssumme von über 45 Millionen noch zu stemmen?“ Die FDP wiederum findet gerade diesen Neubau in Arbon besonders wichtig.
4. Können wir uns das alles noch leisten?
Die Baupläne bei den Museen sind gross. Nimmt man alle Projekte zusammen, kommt eine Summe von mehr als 100 Millionen Franken Investitionskosten zusammen. Kann sich der Kanton das in diesen finanziell angespannten Zeiten noch leisten? Die klarste Antwort hierzu kommt von den Grünen: „Kultur ist ein wichtiger Teil unserer Identität und trägt zur guten Lebensqualität bei. Der Kanton muss sich das leisten können!“ Ähnlich tönt es bei der SP: „Die Frage ist weniger, ob der Kanton die Ausgaben stemmen kann, als vielmehr, ob der Kanton die Ausgaben stellen will.“ Die SP zeigt sich dabei kampfbereit: „Wir werden uns vehement dafür einsetzen, dass der Kultur im weitesten Sinne auch der ihr gebührende Platz in diesem Verteilungsprozess sicher ist.“
Alle anderen Fraktionen antworten zurückhaltender. Viele empfehlen eine Priorisierung: „Bei der Priorisierung gilt es insbesondere die bauliche Substanz, den wirtschaftlichen Nutzen und die gesellschaftliche Relevanz zu berücksichtigen“, schreibt die Mitte-EVP-Fraktion. Das sieht die SVP ähnlich. Für die GLP ist wichtig „Notwendiges von Wünschbarem“ zu unterscheiden. Die FDP fordert eine breit abgestützte Planung: „Wichtig sind konsensuale Lösungen und das gemeinsame Verständnis, dass Investitionen nicht gestrichen, aber zeitlich neu geplant werden müssen.“
5. Weitere Kulturkürzungen sind nicht ausgeschlossen
Wenn schon Investitionen in Museen in Frage gestellt werden, was bedeutet das für die restliche Kulturlandschaft und die Kulturschaffenden im Kanton? Müssen sie weitere Einschnitte befürchten? Nicole Zeitner (GLP) erklärt, alle Departemente seien aufgefordert ihre Ausgaben zu reduzieren, ihr Parteifreund Reto Ammann glaubt aber nicht daran, dass weitere Kürzungen im Kulturbereich kommen werden, „da sehr viele Leistungen abgesichert sind in Leistungsvereinbarungen, die erst kürzlich erneuert und ausgebaut worden sind“. Die Fraktion Die Mitte/EVP schliesst weitere Kürzungen im Kulturbudget nicht aus: „Wenn, neben der Diskussion zu möglichen Steuererhöhungen, gespart werden muss, dann auch bei der Kultur.“
Die FDP will sich ebenfalls nicht festlegen: „Es geht darum, die verschiedenen Ansprüche wie Bildung, Kultur, Sport, Soziales, usw. nicht gegeneinander auszuspielen, sondern faire Lösungen zu finden.“ SVP, Grüne und SP halten Kürzungen im Kulturbudget nicht für notwendig. „Undifferenzierten Sparaktivitäten“ gelte es entgegenzutreten, findet die SP beispielsweise. Die Grünen bringen zudem einen Ausgleichstopf ins Gespräch: „Falls tatsächlich zu wenig Geld in der Staatskasse ist, könnten allenfalls gewisse Aufgaben (zum Beispiel einzelne Bauprojekte) aus dem Lotteriefonds bezahlt werden.“
6. Politiker:innen finden: Kanton zahlt genug für Kultur
Nach Zahlen des Bundesamt für Statistik aus dem Jahr 2019 liegt der Thurgau mit rund 28 Millionen Franken (Staatshaushalt plus Lotteriefonds) nur auf Platz 14 im kantonalen Vergleich bei den Kulturausgaben. Da kann man die Frage stellen: Investiert der Kanton ausreichend Geld in die kulturelle Infrastruktur und das kulturelle Leben im Kanton? Für die meisten im Kantonsrat vertretenen Fraktionen lautet die Antwort hierauf: ja. FDP, Grüne, SVP, Mitte/EVP und GLP sehen die Ausgaben als verhältnismässig und genügend an. Lediglich die SP gibt zu Protokoll, dass es bei den Kulturausgaben im Kanton noch „Luft nach oben“ gebe.
7. Muss die Verteilung der Lotteriefondsgelder reformiert werden?
Jahr für Jahr fliessen mehr Mittel in den kantonalen Lotteriefonds als daraus für kulturelle oder gemeinnützige Zwecke genutzt werden. Aktuell liegen rund 52 Millionen Franken im Lotteriefonds. Seit Jahren gibt es eine Debatte darüber, ob die Vergabe der Mittel aus dem Lotteriefonds reformiert werden muss. Die Umfrage zeigt, dass die meisten Parteien mit dem aktuellen Modus seit den Anpassungen durch das neue Kulturkonzept des Kantons weitgehend zufrieden sind. Einzig die SVP fordert eine Überarbeitung: „Es macht keinen Sinn so viel Geld im Lotteriefonds zu horten. Das vorhandene Geld in diesem Fonds sollte investiert werden. Der Fondsbestand sollte nicht grösser sein als die jährlichen Einnahmen“, schreibt Stephan Tobler für die SVP.
Nicole Zeitner (GLP) sieht den gut gefüllten Lotteriefonds positiv: „Diese Flexibilität in der Kulturförderung ist eine Chance.“ Reto Ammann (GLP) fordert die Umsetzung einer unter anderem von ihm angeregten Motion zur Neuverteilung der Gelder. Demnach sollen etwas mehr Anteile der Lotteriegelder in den Sportfonds fliessen. Die FDP sieht die Reform bereits realisiert dadurch, dass künftig auch Beiträge aus dem Lotteriefonds in bauliche Massnahmen investiert werden können. Auch Mitte und EVP empfehlen zunächst abzuwarten, wie sich die Änderungen aus dem aktuellen Kulturkonzept auswirken. Für eine mögliche weitere Reform sollte aber „die Transparenz bei der Vergabe von Fördergeldern erhöht werden“.
Mit Blick auf die 52 Millionen im Lotteriefonds notiert die SP, der Kanton habe „auf Kosten der Kultur sehr viel Geld angespart (zu tiefe Honorare, keine Sozialversicherungsbeiträge usw.) und dringende Unterstützung im Bereich der Professionalisierung in den Regionen wurde erst mit dem Kulturkonzept angegangen. Hier gibt es viel Nachholbedarf.“
8. Die Bedeutung der Kulturpolitik im grossen Ganzen
Wenig überraschend räumen die befragten Politiker:innen der Kulturpolitik einen hohen Stellenwert in ihrer politischen Arbeit ein. Teilgenommen haben Kantonsrät:innen, die kulturell interessiert und/oder selbst in verschiedenen kulturellen Initiativen aktiv sind. Bemerkenswert sind dennoch die einzelnen Stellungnahmen zu diesem Punkt. So schreiben die Rät:innen der Mitte-EVP-Fraktion: „Uns ist es ein grosses Anliegen, dass die Förderung der Kulturvermittlung an und für Schulen gefördert wird, denn die Kultur spielt eine Schlüsselrolle bei der Formung der Denkweise, Werte und Identitäten. Als Politikerinnen und Politiker tragen wir die Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine ganzheitliche kulturelle Bildung ermöglichen und damit zur positiven Entwicklung der Gesellschaft beitragen.“
Die SP positioniert sich weiterhin als Anwältin der Kulturszene, „insbesondere da die sich verschlechternden finanziellen Verhältnisse des Kantons den Druck auf den ohnehin schon nicht verwöhnten kulturellen Bereich wohl kaum vermindern dürfte.“. GLP-Kantonsrat Reto Ammann verweist darauf, dass man im Verteilungskampf das grosse Ganze nicht aus dem Blick verlieren dürfe: „Die Kultur im Thurgau ist gut alimentiert, das soll so bleiben, aber es braucht auch Verständnis für andere Systeme, beispielsweise das Vereinswesen und Bewegung und Sport.“
FDP („hoher Stellenwert“), Grüne („Kulturförderung ist essenziell für unsere Demokratie“) und SVP („Ausstrahlung für die gesamte Thurgauer Bevölkerung“) betonen den Wert von Kultur für die Gesellschaft.
9. Das Fazit
Was heisst das jetzt alles für den Wahlsonntag am 7. April? Mit deiner Stimme kannst du mitentscheiden, in welche Richtung der Kanton die nächsten vier Jahre kulturell geht. Es geht um die Zukunft der kantonalen Museen, die Frage, welche Kultur gefördert werden soll und wie man Künstler:innen künftig besser sozial absichert ist. Nur wer abstimmt, verstärkt die Chance, dass sich die eigenen Präferenzen in der Kulturpolitik tatsächlich irgendwann in der Kulturpolitik des Kantons wiederfinden.
Die gute Nachricht ist - alle Stimmberechtigten haben tatsächlich eine Wahl. Schliesslich unterscheiden sich die Parteien in ihren kulturpolitischen Ansätzen teilweise deutlich. Die SVP versteht Kulturpolitik vor allem als Brauchtumspflege und Förderung des Vereinslebens mit einem starken Fokus auf Vergangenheit und Herkunft. SP und Grüne sehen sich weiterhin vor allem als Anwält:innen der Kulturszene. Sie haben die Wirkung von Kultur auf Gesellschaft ebenso im Blick wie die soziale Stellung des individuellen Künstler:innenlebens.
Die Parteien haben unterschiedliche Profile
Die GLP ist ein bisschen gespalten. Einerseits will sie Kulturschaffen unterstützen, andererseits aber auch das grosse Ganze nicht aus dem Blick verlieren; also nicht einseitig Kulturschaffen fördern, sondern auch andere Lebensbereiche berücksichtigen. Die FDP zeigt sich auch als Kultur-Befürworterin, wenn auch nicht mit der ganz bedingungslosen Liebe wie bei SP und Grünen. Ausgleich und Konsens sind den Liberalen besonders wichtig. Die Fraktionsgemeinschaft aus „Die Mitte“ und EVP will Rahmenbedingungen schaffen für ein vielfältiges Kulturleben. Gleichzeitig sieht sie auch die finanziellen Nöte. Sowohl beim Staat („Priorisierungen“) als auch bei den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern („mehr soziale Sicherheit“).
Am Ende hängt die individuelle Wahlentscheidung freilich auch davon ab, welchem Kulturverständnis man selbst anhängt. Zwischen konservativ und progressiv ist die Spanne allerdings recht breit.
Die Vielfalt hat zugenommen
Spannend an den Ergebnissen der Befragung ist aber auch: Die Vielfalt in der Kulturpolitik im Thurgau ist grösser geworden. Es interessieren sich mehr Politiker:innen tatsächlich für diesen Bereich, der lange vielen irgendwie als Orchideenfach galt, weil hübsch, aber nicht entscheidend. Bestellten lange vor allem SP und Grüne das kulturpolitische Feld, so hat diese Befragung gezeigt, dass auch andere Fraktionen ihr Profil in diesem Bereich geschärft haben.
Im Vergleich zu unserem Kulturcheck vor der letzten Kantonsratswahl haben vor allem Die Mitte/EVP (die Vorgängerpartei CVP hatte 2020 gar nicht teilgenommen) und GLP inhaltlich zugelegt. Für die Kulturlandschaft im Thurgau ist das erstmal eine gute Nachricht, weil sich mehr Menschen ernsthaft mit kulturpolitischen Themen auseinandersetzen. Im Idealfall führt das zu mehr Debatte und Dialog. Und am Ende (so die Hoffnung) zu besseren Ergebnissen.
Die Pandemie hat neue Themen in den Mittelpunkt gerückt
Blicken wir nochmal auf unseres Umfrage von 2020 fällt zudem auf: Manche Themen bleiben, wie die Debatte um die Museen beispielsweise. Andere kommen neu hinzu wie der neue Fokus auf die konkrete Situation von Künstler:innen und ihre soziale Absicherung. Hier hat die Pandemie Spuren hinterlassen, weil dadurch sehr klar wurde, wie prekär die Lage für manche Kulturschaffenden ist und wie wenig sich auch Kulturförderung bislang um solche eher dröge wirkenden Aspekte wie Sozialversicherung und Altersvorsorge gekümmert hat.
Jetzt bist du dran: Am 7. April wird der Kantonsrat neu gewählt. Mit deiner Stimme kannst du auch das künftige Kulturleben im Thurgau ein Stück weit mitgestalten. Je mehr Menschen abstimmen, umso mehr kulturpolitische Ansichten finden sich später im Kantonsparlament wieder. In den vergangenen Jahren war die Wahlbeteiligung bei den Grossratswahlen oft eher gering. Jetzt ist eine gute Chance, es besser zu machen.
SP: «Wir setzen uns ein für eine sozial gerechte Behandlung von Kulturschaffenden»
Grünliberale: «Im Verteilkampf das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren.»
FDP: «Das neue Museum in Arbon muss priorisiert angegangen werden»
Die Mitte/EVP-Fraktion: «Mehr Förderung für Kulturvermittlung an Schulen»
Grüne: «Der Kanton muss sich das leisten können!»
SVP: «Neuer Standort für das Kunstmuseum in urbanem Raum»
Die EDU hat auf unsere Anfrage trotz mehrfachen Nachfragens nicht reagiert.
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