von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 13.07.2020
Der 44-Millionen-Schatz
Seit Jahren hortet der Kanton zig Millionen im Lotteriefonds. Dabei wünschen sich viele Kulturschaffende schon lange eine stärkere Unterstützung. Wie passt das zusammen?
Ein Konto, das sich regelmässig wie von selbst füllt - wer träumt nicht davon? Der Kanton Thurgau verfügt über ein solches Konto: den Lotteriefonds. Ursprünglich dafür gedacht mit den Erlösen der Swisslos Gutes für Kultur, Sport und Gesellschaft zu schaffen, scheint es inzwischen einen Finanzierungs-Stau zu geben. Seit Jahren wachsen die Mittel im Fonds zwar an, die Ausgaben daraus sind seit 2016 stetig zurückgegangen, wie Zahlen aus dem Geschäftsbericht 2019 des Kantons zeigen.
Mehr als 44 Millionen Franken liegen aktuell in dem Fördertopf. Vierundvierzig! Millionen! Innerhalb von acht Jahren hat er sich damit mehr als verdoppelt. Einerseits. Andererseits sanken von 2016 bis 2019 die Ausgaben von 10 Millionen auf 6,5 Millionen Franken. Und das in Zeiten, in denen Kulturschaffende jede Unterstützung brauchen können. Wie passt das zusammen?
Grafik: Entwicklung des Lotteriefonds seit 2011
Eine Möglichkeit: Es gibt einfach zu wenig spannende Projekte für all die Millionen im Thurgau. Nein, schreibt Monika Schmon vom kantonalen Kulturamt auf Nachfrage, es mangele nicht an interessanten Gesuchen. Viel mehr sei es so, dass „Gesetz, Verordnung und Kulturkonzept uns klare Leitlinien in der Verwendung der Beiträge geben. So können zum Beispiel Staatsaufgaben nicht mit Mitteln aus dem Fonds bestritten werden“, erklärt Schmon.
Wozu sind die Gelder also eigentlich gedacht? Im aktuellen Kulturkonzept des Kantons heisst es: „Aus dem Lotteriefonds finanziert der Kanton Thurgau Beiträge an kulturelle und gemeinnützige Projekte, Investitionsbeiträge für technische Infrastrukturen in öffentlich zugänglichen Veranstaltungsräumen sowie Leistungsvereinbarungen mit kulturellen Trägerschaft.“ Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel das Theater Bilitz (300’000 Franken), die Ittinger Pfingstkonzerte (80’000 Franken) oder der Kunstraum Kreuzlingen (150’000 Franken) aus dem Lotteriefonds finanziert werden. Um nur mal drei beliebige Projekte aus drei verschiedenen Sparten zu nennen.
Grafik: Rückgang der Ausgaben
Wann, wenn nicht jetzt, sollte man das Geld nutzen?
Schaut man in die gesetzlichen Grundlagen zur Vergabe der Mittel (siehe Kasten unten) fällt auf: So richtig eng hat der Gesetzgeber die Förderung aus dem Lotteriefonds nicht gefasst. Deshalb: Verwegene Idee, aber wann, wenn nicht jetzt wäre es eine gute Zeit, das Geld zu nutzen, um Projekte in Kultur, Sport und Gesellschaft zu ermöglichen? Um Kulturschaffenden, über die schwere Zeit zu helfen. Um den Kultursektor auch in den nächsten Monaten am Leben zu erhalten, denn kaum ein anderer gesellschaftlicher Bereich wird länger mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben als die Kultur- und Veranstaltungsszene.
Und neben der Deckung des akuten Bedarfs in der Branche, könnte man das Geld auch nehmen, um innovative und zukunftsgerichtete Kultur-Projekte zu entwickeln. Stichwort Digitalisierung zum Beispiel. Da haben viele Einrichtungen im Thurgau Nachholbedarf. Aber nicht nur da. Auch im Bereich Kulturvermittlung ist an manchen Orten noch Luft nach oben. Oder: Denkbar wäre auch, Kulturamt und Kulturstiftung finanziell besser auszustatten, damit beide Einrichtungen stärkere Impulse in die Szene setzen können. Alex Meszmer, Geschäftsleiter von Suisseculture, hat in einem Interview mit uns neulich ein Konjunkturprogramm für Kultur gefordet. Mit 44 Millionen Franken könnte man da schon ein bisschen was anschieben...
Die Millionen zu horten ergibt keinen Sinn
So oder so: Alles wäre besser als der aktuelle Status. Das Geld in einem Fördertopf zu horten ergibt wenig Sinn. Erst recht, wenn es an verschiedenen Stellen dringend gebraucht würde. Dass es so nicht weitergehen kann, hat jetzt auch das Kulturamt erkannt: „Es existieren Ideen, die Mittel für weitere, klar definierte Bereiche einzusetzen. Die Erarbeitung der Grundlagen läuft“, schreibt Monika Schmon vom Kulturamt. Ein Zeichen, das sich was bewegt. Hoffentlich kommt es für mancheinen Kulturschaffenden nicht zu spät.
Der gesetzliche Rahmen
Geregelt ist die Vergabe der Lotteriemittel im Lotteriegesetz und einer dazu gehörigen Verordnung des Regierungsrats über die Verwendung der Gelder aus dem Lotteriefonds
Die „Verordnung des Regierungsrates über die Verwendung der Mittel aus dem Lotteriefonds“ nennt insgesamt neun mögliche Verwendungszwecke: Kulturelle Projekte, Infrastrukturen im Kulturbereich, Förderbeiträge an Kulturschaffende, die Kulturstiftung des Kantons Thurgau, Anschaffungen von Kulturgütern, Denkmalpflege, gemeinnützige Projekte (inklusive Sport), Jugendaktivitäten sowie humanitäre Hilfsaktionen.
Eine angemessene Eigenleistung wird ebenso vorausgesetzt, wie die finanzielle Beteiligung der Gemeinden vor Ort. Kompliziert wird es bei einer weiteren Voraussetzung - die Bedeutung eines Vorhabens. Wie genau wollte man das schliesslich bemessen? Was für den einen eine grosse Bedeutung haben kann, muss es für die andere noch lange nicht. Wohl auch deshalb interpretiert der Kanton die Definition dieses ohnehin weichen Kriteriums breit. Geld aus dem Lotteriefonds kann demnach bekommen, wer ein Projekt plant, „das für den Kanton oder eine grössere Region von Bedeutung, das von gesamtschweizerischer oder interkantonaler Bedeutung ist oder eine Bedeutung für die Regio Bodensee hat“.
Wir beschäftigen uns in den nächsten Wochen intensiver mit dem Lotteriefonds und wollen in einer Serie unter anderem diese Fragen beleuchten:
Wer entscheidet über die Vergabe der Gelder?
Wohin sind die Gelder im Thurgau in den letzten Jahren geflossen?
Wie gehen andere Kantone mit ihrem Lotteriefonds um?
Wenn euch noch andere Fragen rund um das Thema interessieren, schreibt uns: redaktion@thurgaukultur.ch Wir versuchen dann auch, eure Fragen zu beantworten.
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