von Judith Schuck, 24.06.2024
Die Vielfalt des Thurgauer Kulturschaffens
Sechs Künstler:innen erhalten in diesem Jahr einen der mit 25.000 Franken dotierten Förderbeträge des Kantons. Die Preisvergabe zeigt die grosse Experimentierfreude der Ausgezeichneten. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Es gibt unzählige Methoden, um zu versuchen, die Komplexität unserer Welt besser erfassen zu können oder das (bisher) Unaussprechbare verständlicher zu machen. Mit Fantasie und Grips mühen sich Kunstschaffende ab, Zwischenräume und Lücken zu füllen und dabei Gefühle ins Bewusstsein zu holen.
Museumsleiter Peter Stohler würdigt die bildende Künstlerin Isabelle Krieg bei der diesjährigen Übergabe der Förderbeiträge des Kantons Thurgau und sagt angesichts ihres Tagesablaufs: „Sie ist eine Schwerarbeiterin in der Kunst.“ Verdienen tun die meisten Schwerarbeiter:innen aber wenig.
Geringer Lohn der Schwerstarbeit
Dies betont auch die Video- und Performancekünstlerin Sarah Hugentobler, die bereits zum dritten und damit letzten Mal den Thurgauer Förderbeitrag erhält. Er gebe ihr Luft, sich voll und ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Gleichzeitig schätzt sie die Bestätigung, die sie durch den Preis erhält.
Mit 80 Bewerbungen war die Beteiligung am Bewerbungsverfahren für den mit 25'000 Franken dotierten Beitrag dieses Jahr sehr hoch. Denise Neuweiler, die seit Anfang Juni frisch das Amt der Regierungsrätin im Departement Erziehung und Kultur bekleidet, hält ihre erste Ansprache bei der Vergabe im Roxy Kino in Romanshorn.
Erster Auftritt der neuen Departements-Chefin
Sie staunt, wie vielfältig die Kulturschaffenden im Thurgau arbeiten. Und sie bewundert ihren „konstanten Willen, sich stetig weiterzuentwickeln, auch wenn nicht immer klar ist, wohin der Weg führt.“ Sie erkennt bei den sechs Preisträger:innen einen unbändigen Willen, sich auszudrücken, und die Unterstützung vom Kanton soll ihnen dabei helfen. „Es braucht Mut, alles auf die Kunst zu setzen und damit unser aller Leben zu bereichern.“
Sarah Hugentobler holt die Bühne auf den Screen
Preisträger:innen sind 2024 Sarah Hugentobler, Johannes Keller, Isabelle Krieg, Ruedi Tobler, Bennett Smith und Tabea Steiner. Mitglieder aus der Jury loben in ihren Laudatien die Ausgezeichneten und deren Werk. Für Sarah Hugentobler übernimmt dies Carina Neumer.
Bereits 2011 habe Sarah Hugentobler Förderung für Hilfsmittel erhalten, 2018 dann, um das Medium Video weiter ausschöpfen zu können. Die Video- und Performancekünstlerin studiert aktuell an der Hochschule der Künste Bern (HKB) Expanded Theater, ein Studiengang, dem ein „erweitertes Theaterverständnis zugrunde liegt“, so der Beschrieb der HKB. Aktuell bringt sie ihr Publikum vor allem mit ihrer Lip Sync Performance Floating Knights zum Lachen und Nachdenken.
Ein Preis geht an einen „Bastler und Tüftler“
„In ihren Kurzstücken bewies sie bereits, ihrer Handschrift treu zu bleiben und die Bühne für sich einzunehmen“, sagt Neumer. Nun wolle sie mit einem neuen Genre die Bühne auf den Bildschirm holen. Sarah Hugentobler sei eine Beobachterin des seltsamen Wesens Mensch, sagt die Laudatorin. Und: „Wir freuen uns, Sarah die Möglichkeit zu geben, sich auf der Bühne weiterzuentwickeln und Kooperationen einzugehen“, so Carina Neumer.
Als „Bastler und Tüftler“ bezeichnet Florian Keller den Soundkünstler und Musiker Ruedi Tobler. Er sammelte bereits in unterschiedlichsten Musikgenres als Bandmitglied Erfahrung, von Volksmusik bis Art-Rock. Ruedi Tobler ist Dozent, Produzent und Tontechniker.
Mit seinem Projekt playmob.il forscht er seit 2018 in elektronischen Klanggefilden. Seine Musik könne irgendwo dort verortet werden, wo der Klassifizierungsteufel seine Lücke lasse, sagt Jury-Mitglied Florian Keller in seiner Würdigung.
Alte und neue Musik digital erforschen
„Ruedi Tobler ist ein Klangalchimist, der uns zum Tanzen bringt.“ Er sei ein Suchender zwischen Pop-Song und Club-Keller, ein unermüdlicher Grenzgänger mit eigenem authentischen Ausdruck, der Medien und Technologien reflektiere.
Den Förderbeitrag möchte Tobler vor allem dazu nutzen, eine Software-Lösung für sein Live-Set-up zu finden. Denn er möchte es künftig ganz im Sinne der Nachhaltigkeit mit dem ÖV zu den Veranstaltungsorten transportieren können. Ähnlich getrieben, die Klangwelt zu erforschen, ist Johannes Keller. Wie Sarah Hugentobler bekommt er 2024 zum dritten Mal den Förderbeitrag vom Kanton.
Er startete auf einem ungewöhnlichen Instrument für einen Siebenjährigen, dem Cembalo. „Als Ensembleleiter, Musikdramaturg, Tastenspieler und Darsteller macht er Musiktheater und als Forscher untersucht er Musik des 16. und 17. Jahrhunderts musikwissenschaftlich und musiktheoretisch“, heisst es in seinem Kurzporträt.
Grosses Faible für Renaissanceinstrumente
Die Faszination für Renaissanceinstrumente blieb. Johannes Keller stellt den Antrag auf Förderung für die Entwicklung eines Arcimoog – ein Musikinstrument, das ausserdem der Analyse von Klängen dienen soll. In früheren Jahren leitete er den Bau eines Arciorgano, einer Mikrotonalorgel. Inzwischen setzt Keller sich zunehmend mit dem Programmieren auseinander, was zum neuen Projekt führt: „Wenn präzise Computerprogramme auf unpräzisen Klang treffen, geschieht Spannendes.“
Lea Gabriela Heinzer versucht den Anwesenden im Roxy Kino näher zu bringen, um was es sich beim Arcimoog handelt: „Mit dem Arcimoog möchte Johannes Keller unbekanntes Terrain erforschen, alte und neue Musik untersuchen und Menschen zusammenbringen.“ Das Arcimoog sei vielmehr eine Vision, denn ein Musikinstrument. „Die Vision, für eine verständnisvollere Welt“, so Heinzer.
Die eigene Familiengeschichte im Zentrum des Werks
Das Arcimoog soll Klänge verschiedener Epochen und Kulturen analysieren und damit Neues gestalten, frei von Vorurteilen über die Qualität und Herkunft der Klänge. Bennett Smith arbeitet ebenfalls daran, Vorurteile abzubauen. Er arbeitet mit dem Medium Fotografie. Der schweizerisch-amerikanische Künstler ist in einer Thurgauer Zirkusfamilie aufgewachsen. „Er schont sich nicht, in seinem künstlerischen Schaffen nah an die Familiengeschichte ranzugehen“, sagt Annette Amberg in ihrer Ansprache.
Im Dyptichon „I did not mean that“ untersucht er beispielsweise die Vater-Sohn-Beziehung. Mit dem Fördergeld möchte er sich vertieft mit der Figur des traurigen Clowns auseinandersetzen. In Form von Selbstporträts soll ein Dialog mit seinem Grossvater entstehen, der einst selbst Clown war. In einem weiteren Schritt widmet er sich der Zirkussprache Nablo. Sie ist eine Mischsprache mit Wurzeln aus der Sprache der Fahrenden und Jenischen.
Nablo diene zum Schutz und zur Abgrenzung nach aussen hin, denn die Zirkuswelt lebe bis heute mit vielen Diskriminierungen, so Heinzer. Smith möchte mit einer Art visuellem Wörterbuch versuchen, Vorurteile abzubauen. „Wir als Jury sind überzeugt, dass wir aus diesem Projekt viel Neues dazulernen werden“, schliesst sie ihre Würdigung.
Was Literatur von Archäologie und Landwirtschaft lernen kann
Dass sich eine Schriftstellerin mit Sprache auseinandersetzt, scheint selbstverständlich. Doch sucht die Autorin Tabea Steiner für ihr Romanprojekt „Äcker“ neue Methoden für ihr literarisches Schreiben. Ausgangspunkt des Romans ist der Ort ihrer Kindheit. Tabea Steiner wuchs auf einem Thurgauer Bauernhof auf. Auf dem Hof wird ein alter Friedhof freigelegt.
Die Autorin setzt sich für ihre Geschichte intensiv mit den Methoden der Archäologie und landwirtschaftlichen Techniken wie der Amelioration auseinander. Diese Verfahren will sie auch verwenden, um ihre Geschichte aufzubauen. „In ,Äcker‘ soll es darum gehen, welche Schätze in unser Bewusstsein gehoben werden.“
Eingethurgauert durch Wertschätzung
Jurymitglied Regula Walser lobt beim Projekt „Äcker“ den thematisch und formalistisch vielversprechenden Ansatz. „Die Autorin weiss, was sie will.“ Der Förderbeitrag soll ihr die Möglichkeit für weitere Recherchen geben. Tabea Steiner hat im vergangenen Jahr auch mehrere Texte für thurgaukultur.ch verfasst.
Die sechste Preisträgerin dieses Jahres ist Isabelle Krieg. Die bildende Künstlerin ist vor fünf Jahren von Dresden nach Kreuzlingen gezügelt, wo sie heute lebt und arbeitet. Die Auszeichnung bedeutet für Isabelle Krieg „ein sehr schönes Zeichen, dass ich im Thurgau angekommen bin und man meine Arbeit hier wertschätzt.“
Werke mit persönlicher Handschrift
Ihr Laudator ist Peter Stohler, Leiter des Kunstmuseums Thurgau und des Ittinger Museums: „Isabelle Krieg ist mir vor vielen Jahren aufgefallen als eine der wichtigsten Künstlerinnen der Schweiz.“ Zum Repertoire gehören Installationen, Performances, Objekte, Fotografien oder Kunst am Bau. „Ihre Werke tragen immer eine persönliche Handschrift“, sagt Stohler. Ausgangspunkt sind meist gefundene Alltagsgegenstände, die sie in einen neuen Kontext stellt. Sie verhandele „immer grosse Themen der Welt“.
Im kommenden Jahr wird ihr Schaffen in einer Einzelausstellung im Kunstmuseum Thurgau zu sehen sein. Peter Stohler outet sich stolz, im Besitz eines Objekts von Isabelle Krieg zu sein, einige Werke befinden sich in der Sammlung des Kunstmuseums Thurgau.
Was die Förderbeiträge leisten sollen
Die Würdigungen umrahmt die Band Meta Zero Quartett, dessen Schlagzeuger Samir Böhringer 2019 den Förderbeitrag erhielt. Philipp Kuhn beglückwünscht als Leiter des Kulturamts alle Beitragsempfänger:innen: „Die Unterstützung soll Freiräume zum Recherchieren und Experimentieren ermöglichen, woraus neue Ideen und Projekte entstehen können.“
Von Judith Schuck
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