von Judith Schuck, 11.12.2024
Immer weiter tanzen
Das Performance Duo Schmalz/Gombas aus Tägerwilen hat mit «Fruits of life» einen Band voller Poesie in Bild und Sprache über das Altern herausgebracht. Daran mitgewirkt haben Künstler:innen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und den Niederlanden. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Die Idee zum Buch ergab sich aus seiner eigenen Biografie. Renee du fleur-Schmalz tanzt seit 55 Jahren. Heute ist er 67 Jahre alt. «Was ist die Essenz eines Lebens?», fragt sich der in Gottlieben lebende Performer. Was macht das Alter aus dem Tanz?, ist eine andere Frage, die sich 17 Tänzer:innen und fünf Autor:innen gestellt und auf völlig unterschiedliche Weise analysiert haben.
Zu den beteiligten Künstler:innen kam Renee du fleur-Schmalz über eine Recherche: «Gibt es andere Tänzer:innen, die sich mit dem Thema Alter beschäftigen?» Die, die er nach seiner ersten Recherche einladen wollte, seien alle bereits verstorben gewesen. «Diese Erkenntnis hat mich auf meine eigene Endlichkeit zurückgeworfen», sagt der Tänzer, doch er suchte weiter. In einer zweiten Recherche traf er auf die Künstler:innen, die das Buch mitgestalteten und sich auf die Spuren des Alterns begaben.
Kreislauf von Entstehen und Vergehen
Mit Anna von Siebenthal, geboren 1995 in Wagenhausen, haben die beiden Herausgebenden bewusst eine junge Künstlerin eingeladen, um aus ihrer Perspektive einen Blick aufs Alter zu bekommen. In ihrer Fotoreihe «Metamorphosen» zeigt Anna von Siebenthal nackte, verschlungene Körper, meist nur angedeutet unter einen an Eihäute erinnernden Schicht.
Sie nimmt den Kreislauf von Entstehen und Vergehen auf, die gekauerte Haltung eines Embryos ist unter der trüben Hülle kaum zu unterscheiden von einem gebückten, vom Leben krumm gewordenen Körper, der sich seiner Gebrechlichkeit bewusst, schützend zusammenkauert.
Eingebettet in die Natur
Der Ort, an dem die Serie «Altsein – oder die Rückkehr der Gärtnerin» von Schmalz/Gombas entstand, ist für Kenner der Region leicht zu identifizieren. Den Bilderzyklus nahm Gabriella Gombas vor allem in Landschaften rund ums Tägerwiler Kuhhorn auf, ein besonderer Ort mit ineinander übergehenden Landesgrenzen und vor allem bei Sonnenuntergang von mythischer Schönheit.
Mit geweisstem Körper und Maske fügt sich Renee du fleur-Schmalz ein in die ihn umgebende Natur, in knorrige Baumwurzeln und aufgebrochene Rinden, grünende Büsche und spiegelndes Wasser. Der Lebenskreislauf ist besonders sichtbar, wo altes Holz und frisches Grün miteinander verwoben sind.
Das Schweizer Tanzkollektiv Dance me to the end forscht schon seit einigen Jahre zum Thema Tanz und Alter und ist mit verschiedenen Tanzzyklen im Buch vertreten: darunter Tina Mantel mit «Tanz mit einer Puppe, die nicht altern wird» oder Katharina Vogel mit «Sortarius», die sich ebenfalls in die Natur, in den Wald begibt, und sich in vermooste Hügellandschaften einschmiegt. Robert Steijn ist Tänzer und Choreograf aus Amsterdam und tanzt mit einer kleinen Puppe in Form eines gealterten Mannes, sein Alter Ego?, gemeinsam mit kunstvoll verästelten Bäumen.
Anerkennung des Tods als Teil des Lebens
Berührend sind die Texte von Sabine Brönnimann «Walpurgnisnacht», «La Solitude» und «Totentanz»:
ich mache mich auf zu dir
ich öffne mich dir
ich rufe nach dir
ich begehre dich
ich umspiele dich
ich atme dich ein
ich falle in dich hinein
du warst schon immer hier. (aus Totentanz von Sabine Brönnimann)
Die Zürcherin ist Initiatorin des Vereins FährFrauen. Sie leitet Abschiedsrituale, führt Naturbestattungen durch und hält Totenreden. Der Verein setzt sich für ein Verständnis von Tod als natürlicher Aspekt des Lebens ein.
Carte Blanche aus Respekt vor den Künstler:innen
Für Schmalz/Gombas war das Ergebnis des Buches eine grosse Überraschung. Alle Beteiligten hatten eine Carte Blanche bekommen. Die Herausgebenden wussten nicht, was letztlich entstehen würde. Dies aus Respekt vor jeder und jedem Einzelnen, die alle in ihrer eigenen Sprache unterwegs seien. Die Buchvernissage fand im Oktober 2024 im Kulturhaus Apollo in Kreuzlingen statt.
Gabriella Gombas beschreibt den Abend als einen, der besonderen Art: die Autorinnen Barbara Marie Hofmann und Veronika Fischer aus Konstanz lasen ihre tief poetischen Texte im Wechsel mit dem Gesang von Gabriella Gombas. «Jede war in ihrer Welt und dennoch kam es zum Brückenschlag zwischen Lesung, Gesang und zirkulierender Inszenierung, passend zu den Kapiteln.»
Wer diesen Abend verpasst hat, bekommt eine zweite Chance für eine performative Lesung am 13. Dezember in der Tigerfinklifabrik in Diessenhofen. Ähnlich wie im Apollo wird es Inszenierungen und Lesungen geben von Anna von Siebenthal, Jonas Ruedi, Künstler aus Wängi, der in Fruits of life experimentelle, kaleidoskopartige Fotografien zeigt, Barbara Marie Hofmann sowie Veronika Fischer. Moderiert wird eine Gesprächsrunde vom Verleger Fritz Franz Vogel aus Diessenhofen.
Die Früchte des Lebens ernten
Das Alter ist aber nicht nur Annäherung an den Tod, es ist reich, voll von Leben. «Es sind die Früchte des Lebens, die wir langsam pflücken können», so formuliert es Gabriella Gombas, die sich mit zunehmendem Alter immer mehr auf das eigentlich Wesentliche zu konzentrieren vermag. Und Renee du fleur-Schmalt ergänzt: «Die faulen Früchte können wir wegwerfen.» Es sei ein grosses Glück, wenn man im Alter weiss, was man zu machen hat, sagt der Performer du fleur-Schmalz.
Mit dem Buch «Fruits of life» wollen sie Ja sagen zum Alter und es kompromisslos sichtbar machen. «Im Alter braucht es mehr Schutz», sagt Gabriella Gombas. «Aber indem wir die Fragilität anerkennen, machen wir auch die Nahbarkeit sichtbar, die es auf unserer Welt unbedingt braucht.»
Die Lesung & das Buch
Die Lesung:
Performative Lesung in der Tigerfinklifabrik Diessenhofen
Am Freitag, 13. Dezember, 19.30 Uhr, Steinerstr. 16
Autorinnen: Barbara Marie Hofmann und Veronika Fischer
Stimmlandschaften: Gabriella Gombas
Das Buch:
Fruits of life, Schmalz/Gombas, erschienen im ABSDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ Verlag, 2024 Diessenhofen, zu bestellt für 45 Franken unter kontakt@schmalz-gombas.ch
Von Judith Schuck
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