von Andrin Uetz, 10.05.2019
Auf der Suche nach dem eigenen Stil
Der Schlagzeuger Samir Böhringer hat die Musik erst spät für sich entdeckt. Heute will er sie nicht mehr missen. Für sein weiteres Schaffen erhält er jetzt einen mit 25.000 Franken dotierten Förderbeitrag des Kantons Thurgau. Teil 2 der Serie über die diesjährigen Gewinner der Förderbeiträge des Kantons Thurgau
Obwohl Musik schon immer ein wichtiger Bestandteil seines Lebens war – die Mutter ist Klavierlehrerin und er dankbar, dass sie ihm schon in jungen Jahren das Üben ans Herz legte – entschied sich Samir Böhringer erst relativ spät für eine Karriere als Schlagzeuger. „Ich wollte zuerst Primarlehrer werden, doch als die Musik im Bandworkshop beim Pianisten Andreas Apitz immer mehr Spass machte, habe ich mich für den Jazz-Studiengang der Zürcher Hochschule der Künste beworben - und wurde angenommen.“ Letzten Sommer schloss er seinen Bachelor ab, im kommenden Herbst beginnt er dort einen Master in Pädagogik.
Im Herbst 2018 war der 28-Jährige zwei Monate in New York, wo er mit dem lokalen Saxophonisten Caleb Wheeler Curtis einige Shows spielen konnte, unter anderem im Shape Shifter Lab und im Ibeam in Brooklyn, sowie im Silvana in Harlem. Der Schweizer Gitarrist Dave Gisler, sowie der New Yorker Bassist Kenneth Jimenez ergänzten das spontan dafür zusammengestellte Quartett. Während seinem Aufenthalt nahm er auch Stunden bei Jeremy Dutton, sowie bei Jochen Rueckert.
Reinhören: So klingt Samir Böhringers Projekt Meta Zero
Projekte von Working Musician bis Herzensangelegenheiten
Gleichwohl inspiriert von der Lebendigkeit der Szene, aber auch schockiert von der harten Realität der tiefen Gagen für Konzerte in den USA, weiss Böhringer die hervorragende Infrastruktur der Schweizer Jazzszenen nun umso mehr zu schätzen. Das er nun, bereits während dem Studium einen Förderbeitrag für sein Schaffen bekommt, ist ihm ein zusätzliches Glück.
Neben diversen Brotgigs, also Konzerten als Session Musiker, liegt dem Schlagzeuger sein eigenes Projekt Meta Zero besonders am Herzen. Das Quartett mit Dave Gisler an der Gitarre, Philipp Eden am Piano, Raphael Walser am Bass und Böhringer am Schlagzeug entstand als Bachelor-Abschlussprojekt an der ZHdK. Derzeit wird ein neues Album aufgenommen, eine Tour ist auf den Herbst 2019 geplant. Samir Böhringer komponiert nicht nur die Stücke, sondern übernimmt auch gleich Booking und Management. Die Musik von Meta Zero lässt an den kontemporären Jazz amerikanischer Prägung denken, ähnlich dem Jazz des Gitarristen Kurt Rosenwinkels, und entspricht mehr oder weniger dem Lehrplan des Berklee College of Music. Die neueren Kompositionen jedoch sollen mehr in die Richtung der freien Improvisation gehen, sich eher an der deutschen Jazzwelle rund um den Schlagzeuger Christian Lillinger orientieren, mit experiementelleren Klängen und komplizierten Rhythmen. Das ist stilistisch gesehen ein ziemlicher Spagat.
«Ich bin ein Suchender", sagt Samir Böhringer über sich
Böhringer bezeichnet sich selbst denn auch als Suchenden, der ganz seinem jungen Alter entsprechend, seinen Stil noch nicht gefunden habe, sondern offen ist für neues. Auch Atonale-, Zwölfton- und Serielle Musik inspirierten ihn. Derzeit nimmt er Kompositionsunterricht bei Dominique Girod, welcher ihm die Musik von Schönberg, Webern bis hin zu Stockhausen näher bringe. „Was mich dabei besonders interessiert ist das Moment der Verunsicherung, der Fragilität, welches gerade durch das Fehlen eines tonalen Zentrums, eines Ruhepunktes, entsteht.“
Auf die Frage nach musikalischen Vorbildern nennt der Schlagzeuger unter anderem seinen derzeitigen Lehrer Lukas Mantel. „Mir ist es wichtig, dass ein musikalisches Vorbild auch persönliches Vorbild sein kann. Ich könnte zwar jetzt auch Jazzgrössen wie Elvin Jones nennen, doch ich weiss ja nicht, wie diese Personen wirklich waren“, sagt Böhringer. Der Austausch mit Musikern aus der hiesigen Jazzszene sei ungemein inspirierend. Aus Jam-Sessions werden Freundschaften, neue Formationen entstehen.
Sein Ziel? Neugierig bleiben bis ins hohe Alter
Man muss sich das in etwa so vorstellen. Ein Veteran wie der Bassist Peter Frey erzählt beim Tee im Proberaum von Rafael Schilt (Saxophon) von den Anfängen des Jazz in unserem kleinen Land. Die Schweiz ein organisches Jazz-Biotop, nicht zuletzt durch die guten Förderinstrumente von Bund und Kantonen.
Auf die Frage, ob und wie seine Musik politisch sei, antwortet Böhringer mit einem klaren Nein. Ziele, Zukunftsvisionen? «Das schöne am Jazz ist, dass es kein einzelnes Ziel gibt, welches ich erreichen will, sondern der Weg selbst, das unablässige Pushen und Weiterentdecken sind ein konstanter Prozess. Mein Ziel ist, diese Neugierde bis ins hohe Lebensalter beizubehalten können.»
Zur Person
1991 geboren in Laupheim (DE) kam Samir Böhringer als Kind zuerst nach Zürich, und dann nach Märstetten, wo er mit seiner Mutter nahe dem Schloss Altenklingen aufwuchs, anfangs bei den Weinreben, dann nahe dem Familieneigenen Geflügelhof. Sein Stiefvater gehört zum Adelsgeschlecht der Zollikhofer von Altenklingen. Er besuchte die Musikschule in Müllheim, dann in Weinfelden, wo er bei Stefan Krucker Schlagzeugstunden nahm. Heute wohnt Böhringer in Lengwil und Zürich.
Die Förderbeiträge und die Serie
Einmal im Jahr vergibt der Kanton Thurgau persönliche Förderbeiträge an Kulturschaffende aus dem Thurgau. In diesem Jahr gehen die mit jeweils 25.000 Franken dotierten Beiträge an fünf verschiedene Künstlerinnen und Künstler. Ausgezeichnet werden in diesem Jahr Usama Al Shahmani (Autor, Frauenfeld), Samir Böhringer (Musiker, Lengwill), Johannes Keller (Musiker, Basel), Alex Meszmer / Reto Müller (bildende Künstler, Pfyn) und Rahel Wohlgensinger (Theaterschaffende, Kreuzlingen).
Die Serie: Alle ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler stellen wir in einer Porträt-Serie vor. Bereits erschienen sind:
(1) «Ich bin im Herzen ein Theatermensch»: Usama Al Shahmani im Porträt
(2) Auf der Suche nach dem eigenen Stil: Samir Böhringer im Porträt
(3) Auf dem Weg zum Cyber-Barock: Johannes Keller im Porträt
(4) Eigentlich ist sie sehr viel: Rahel Wohlgensinger im Porträt
(5) Die Gegenwarts-Archäologen: Das Künstler-Duo Meszmer/Müller
Anders als in den vergangenen Jahren werden 2019 nur 5 statt 6 Förderbeiträge vergeben. Das liegt daran, dass in diesem Jahr auch das Atelierstipendium in New York City vergeben wurde. Es geht an Rhona Mühlebach und Reto Müller. Die Förderbeiträge wurden von einer Jury vergeben, welche sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt.
Preisverleihung: Einen Bericht zur Preisverleihung vom 21. Mai 2019 im Theaterhaus Thurgau gibt es hier.
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