von Inka Grabowsky, 08.11.2021
Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Einen Verlag zu finden, ist für Debütautoren schwer. Doch auch Verleger haben es nicht leicht. Sie müssen aus unzähligen eingesandten Manuskripten das eine herausfinden, für das es sich lohnt, viel Zeit und viel Geld zu investieren. Wie machen die das? Fünf Verlage geben Einblicke in ihre Arbeit. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)
Über 2000 unverlangt eingesandte Manuskripte landen jedes Jahr im elektronischen Postfach des Diogenes Verlags. «Und dazu suchen Lektoren und Lektorinnen noch selbst nach neuen Autoren und sind mit Agenturen im Gespräch», erklärt Kerstin Beaujean von der Presseabteilung.
So gesehen ist es erstaunlich, dass 2021 mit Spencer Wise, Stefanie vor Schulte und Caroline Albertine Minor nur drei Debütanten im Programm von Diogenes auftauchen.
Bei Kein & Aber ist die Grössenordnung ähnlich: «Wir bekommen täglich zwischen fünf und zehn unverlangte Manuskripte», so Sara Schindler, die Leiterin des Lektorats. «Debüts gibt es im Verlagsprogramm aber jeweils nur ein oder zwei – und die stammen nur alle paar Jahre mal aus den unverlangt eingesandten Texten.»
«Wir haben in einem einzigen von den 21 Jahren, in denen unser Verlag besteht, vier Manuskripte aus der Post gefischt, die erfolgreich waren.»
Anne Rüffer, Verlag Rüffer & Rub (Bild: Marina Menz)
Es wirkt, als seien beachtenswerte neue Schriftsteller so schwer zu finden wie die Nadel im Heuhaufen. Anne Rüffer von Rüffer & Rub bestätigt das: «Wir haben in einem einzigen von den 21 Jahren, in denen unser Verlag besteht, vier Manuskripte aus der Post gefischt, die erfolgreich waren. Davor war nie etwas dabei, danach auch nicht.»
Gelegentlich wundert sich die Verlegerin, mit wie wenig Vorwissen hoffnungsfrohe Schreiber ihre Werke an Rüffer & Rub schicken. «Ich verlange von zukünftigen Autoren schon, dass sie sich unser Programm anschauen. Mit russischer Experimental-Lyrik kommt man bei uns nicht weit.»
Offen sein für Neues, Augen auf bei der Themenwahl
Gleichzeitig warnt sie davor, sich zu sehr am bisherigen Programm zu orientieren: «Wenn wir zum Beispiel ein Sachbuch zu einem neuen Thema herausbringen, bekommen wir in den Wochen danach unzählige Angebote mit exakt dem gleichen Thema. Die Menschen verstehen offenbar nicht, dass man dann ja zunächst einmal dem bereits veröffentlichten Buch Raum geben muss.»
Regionale Verlage: Die Thurgauer Nische
Bei den kleineren Verlagen im Kanton sieht es etwas anders aus. Miriam Waldvogel vom Verlag Saatgut in Frauenfeld erzählt: «Wir sind auf Thurgauer Kultur spezialisiert, also muss jedes Buch, das wir verlegen, einen Bezug zum Kanton haben, entweder thematisch oder über die Person des Autors, der Autorin. Wenn diese Hürde gemeistert ist, muss es uns gefallen und zum Verlag passen. Thematisch gibt es kein Ausschlusskriterium. Wir entscheiden im Team darüber. Man bekommt ja in der Regel ein paar Seiten des Manuskrips und ein Exposé. Ich leite es in die Runde, und wir diskutieren es. Noch haben wir nur sehr wenige Fälle, bei denen wir uns nicht schnell einig waren. Der oder die Einreichende bekommt dann innerhalb von etwa zwei Monaten Bescheid.»
Verkauf der gedruckten Bücher deckt fast nie die Kosten
Ob Sach- oder Kunstbuch oder literarisches Debüt: Der Verkauf der gedruckten Bücher deckt fast nie die Produktionskosten, deshalb ist bei den Mitarbeitenden der Verlage die Akquise von Drittmitteln ein wichtiger Teil des Jobs. «Könnte man Druckkostenzuschüsse beantragen, gibt es Stiftungen oder Förderprogramme? Wenn das steht, entscheiden wir, wann das Buch erscheint», erklärt Isabella Looser, mit Irène Bourquin die Co-Leiterin des jungen Thurgauer Caracol Verlags, der sich auf Prosa zu gesellschaftlich relevanten Themen, eine Lyrik-Reihe und die Reihe WortArt konzentriert.
Miriam Waldvogel vom Verlag Saatgut hat dabei gute Erfahrungen gemacht: «Nach den zwei Jahren, in denen wir aktiv sind, muss ich zugeben, dass die Förderung im Thurgau erstaunlich gut funktioniert. Die Menge der Institutionen, die man anfragen kann, ist allerdings überschaubar.»
«Wir entdecken bei neu hinzukommenden Autoren und Autorinnen nicht selten neue Förderstellen», sagt Irène Bourquin von Caracol.
Ein Sachbuch kann bis zu 80’000 Franken kosten
Mit dem Thema Fördergeld muss sich auch ein vergleichsweise grosses Haus wie Rüffer & Rub auseinandersetzen. Anne Rüffer spricht Klartext: «Das Investment und damit das wirtschaftliche Risiko ist gross. 15- bis 25.000 Franken kostet ein Schwarzweiss-Buch schon mal. Ein Sachbuch kann bis zu 80.000 Franken in der Produktion kosten, allerdings gerechnet über die 18 Monate, die bei uns üblicherweise zwischen Idee und Veröffentlichung vergehen. Wir sprechen deshalb auch Stiftungen und Organisationen an, um Produktionskostenzuschüsse zu beantragen und den Verlag zu entlasten.»
Was tun mit all den unverlangt eingesandten Manuskripten?
Wer mit unverlangt eingesandten Manuskripten überschüttet wird, muss den Überfluss irgendwie bewältigen. Einige Verlage weisen deshalb gleich auf ihrer Website ab, andere geben bekannt, dass sie nur Manuskripte annehmen, die über Agenten kommen.
«Sogar Hausautoren, die schon bei dem Verlag veröffentlicht haben, können sich nicht sicher sein, wieder genommen zu werden. Kurz: Es ist eine Lotterie», sagt Anne Rüffer. Mit verständnisvollen Absagen sollte niemand rechnen.
Absagebriefe? Keine Antwort muss ausreichen
Der Diogenes Verlag ist rigoros: «Wir schreiben in der Regel keine Absagebriefe», steht als Warnung auf der Homepage. «Bei Interesse melden wir uns bei Ihnen und bitten Sie um weiteres Textmaterial. Sollten Sie innerhalb von sechs Monaten keine Antwort von uns erhalten haben, betrachten Sie dies bitte als Absage. Wir danken für Ihr Verständnis.»
Rüffer & Rub kann es nicht anders halten: «Theoretisch bräuchte man vier Vollzeitstellen, um die Absagen ordentlich zu schreiben», so Anne Rüffer. «Aber das macht kein Verlag. Mitunter wartet man jahrelang auf eine Reaktion.» Wenn Absagen erfolgen, sind sie nicht immer hilfreich. Anne Rüffer zieht die direkte Variante vor: «Von mir kommt schon mal ein deutliches ‹Das wird nichts›, um dem Anfänger eine Menge Zeit und Mühe zu ersparen.»
Wie das Lektorat helfen kann
Die Verlage begreifen sich alle nicht als Schreibschule. «Entweder hat die Sprache einen Klang, dann passiert etwas beim Lesen, oder man stoppt besser gleich», meint Anne Rüffer. «Das gilt allerdings nur für Belletristik. Bei den Sachbüchern können wir natürlich helfen, wenn jemand zwar profundes Wissen zu einem Fachgebiet hat, aber sein Text sprachlich geschliffen werden muss.»
Kein & Aber sei ein Autorenverlag, dementsprechend viel Wert lege man auf das Lektorat, so Sara Schindler. «Debütanten geben schon etwas mehr zu tun, aber auch bekannte Autoren stellen sich bei uns darauf ein, dass ihnen geholfen wird, das Buch besser zu machen.»
«Bei Newcomern vergehen zwischen Einsendung und Veröffentlichung mindestens sechs Monate. Wir setzen allerdings voraus, dass wir dem Autor oder der Autorin literarisch nichts mehr beibringen müssen.»
Isabelle Looser, Caracol-Verlag
Im Verlag Saatgut lesen jeweils zwei Lektoren das Manuskript gegen, um Logik- oder Orthographie-Fehler auszumerzen. Isabelle Looser von Caracol berichtet: «Wenn ein Profi wie Jochen Kelter seine Arbeit abliefert, dann müssen wir nicht mehr viel lektorieren.»
Er gehöre zu jenen Autoren, die ein fertig zusammengestelltes Manuskript ablieferten, während bei anderen das Lektorat für die Zusammenstellung der Gedichte noch übernehmen müsse, ergänzt Irène Bourquin.
«Bei Newcomern vergehen zwischen Einsendung und Veröffentlichung mindestens sechs Monate. Wir setzen allerdings voraus, dass wir dem Autor oder der Autorin literarisch nichts mehr beibringen müssen», so Looser.
Schreibende müssen sich entwickeln wollen
Dem kann Regine Weisbrod im Grossen und Ganzen zustimmen. Sie ist freie Lektorin, die für Verlage wie Droemer Knaur, Random House oder Berlin Autor:innen betreut. «Ich arbeite im Bereich der Unterhaltungsliteratur. Da braucht man eine gute, funktionierende Geschichte, die adäquat verpackt ist. Das muss aus dem Manuskript schon hervorgehen. Aber bei den Feinheiten kann jeder Autor und jede Autorin noch etwas dazulernen.»
Schreiben sei vor allem ein Handwerk, das man umso besser beherrsche, je länger man es ausübe. «Man muss aber die Grösse besitzen, konstruktive Kritik anzunehmen.»
«Man muss die Grösse besitzen, konstruktive Kritik anzunehmen.»
Regine Weisbrod, freie Lektorin, mit einem Rat an alle Autor:innen
Neben den Verlagen wenden sich freie Schriftsteller an sie, die bereits ihr Exposé und die ersten Kapitel überprüfen lassen wollen, um die Chance zu erhöhen, bei einem Verlag nicht gleich aussortiert zu werden. Es gäbe Anfängerfehler, die sich leicht vermeiden liessen, so Weisbrod: «Wenn schon die erste Seite mit Adjektiven überfrachtet ist, dann weiss ich: Das wird so nichts.»
Klassischer Anfängerfehler: Zu viele Adjektive
Debütant:innen machen ihr insofern mehr Arbeit, als sich erst eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre einstellen muss. «Ich will nicht den Eindruck einer strengen Deutschlehrerin machen. Deshalb gibt es ein ausführliches Eingangsgespräch. Der Schreibende muss verstehen, dass meine Kommentare dazu dienen, sein Buch vielen Lesern zugänglich zu machen. Langjährige Autoren wissen, dass man mitunter Kapitel umschreibt und ganze Passagen weglässt – auch wenn sie einem ans Herz gewachsen sind. Neulingen muss man das begreiflich machen.»
Wie der Markt über Manuskripte mit entscheidet
In der Welt der Unterhaltungsliteratur geht es nicht nur um die Qualität von Sprache und Geschichte, sondern auch um den Erfolg am Markt. Die Lektorin muss also behutsam darauf hinweisen, dass sich bestimmte Titel nicht verkaufen, dass ein unsympathischer Protagonist nicht gerade leseförderlich ist oder dass eine Handlung mitunter zu verschlungen ist, um die Lesenden noch mitzunehmen.
Bei Debütautor:innen weiss die Lektorin auch noch nicht, wie zuverlässig sie recherchiert haben. «Wenn ich einen historischen Roman auf den Tisch bekomme, überprüfe ich die Fakten. Bei mir bekannten Autoren reichen Stichproben, weil ich ihr Fachwissen aus früheren Werken schon kenne. Bei Unbekannten muss ich gründlicher sein.»
Vermarktung ist schwieriger geworden
Regine Weisbrod betreut derzeit weniger Debütant:innen dabei als in früheren Jahren. «Ich habe den Eindruck, dass viele Verlage vergangenes Jahr wegen der Pandemie Erstlingswerke verschoben haben und nun noch genug im Vorrat haben.»
Die Logik ist überzeugend: Unbekannte Schriftsteller:innen bräuchten eine andere Öffentlichkeitsarbeit, so die Fachfrau. «Ihre Werke verkaufen sich nicht durch Ankündigung wie die von Bestseller-Autoren. Sie brauchen öffentlichkeitswirksame Lesungen, und die konnten wegen Corona nicht organisiert werden.»
«Das Marketing für Debütanten ist anders, weil man den Namen aufbauen muss, und - weil es oft junge Leute sind – wir andere Medien benutzen.»
Sara Schindler, Leiterin des Lektorats bei Kein & Aber
Verlegerin Anne Rüffer sieht das etwas anders: «Bei der Vermarktung reicht es schon lange nicht mehr, einfach zu sagen, dass man ein tolles Buch hat. Wenn wir aber an ein Buch glauben und ihm eine Heimat geben, dann tun wir für alle Autoren das Gleiche, ob etabliert oder Debütant. Das Feuilleton findet ja ohnehin kaum noch statt, also nutzen wir unsere eigenen Kanäle und bringen beispielsweise auf unserer Homepage Videos mit Interviews.»
Das ist bei Kein & Aber genauso: «Das Marketing für Debütanten ist anders, weil man den Namen aufbauen muss, und - weil es oft junge Leute sind – wir andere Medien benutzen. Es ist aber ebenso aufwändig wie die Werbung für ein neues Buch eines bekannten Schreibers», erklärt Sara Schindler, Leiterin des Lektorats beim Verlag.
Ob das Buch dann tatsächlich einschlägt und von Publikum und Kritik gut aufgenommen wird, das ist dann erneut ein Glücksspiel.
Die Reihe «Debüts - der erste Roman»
Dienstag, 9. November, 20 Uhr
Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume
Livestream über thurgaukultur-YouTube-Kanal
Lesung & Gespräch
Moderation: Özkan Ezli
Donnerstag, 11. November, 19:30 Uhr
Annina Haab: Bei den grossen Vögeln
Lesung & Gespräch im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben
Moderation: Judith Zwick
Donnerstag, 18. November, 20 Uhr
Alem Grabovac: Das achte Kind
Lesung & Gespräch im Kulturzentrum am Münster in Konstanz
Moderation: Gallus Frei-Tomic
Donnerstag, 25. November, ab 12 Uhr jederzeit abrufbar
Tomasz Jedrowski: Im Wasser sind wir schwerelos
Digitales Gespräch auf unserer Website www.thurgaukultur.ch
Moderation: Judith Zwick
Details zu den einzelnen Terminen: https://judithzwick.de/debuets/
thurgaukultur.ch ist Kooperationspartner der Lesereihe. Wir begleiten die Veranstaltung im November mit weiteren Texten und Hintergründen zum Thema Debüt. Alle Beiträge der Serie sind im Themen-Dossier gebündelt.
Von Inka Grabowsky
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