von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 02.11.2021
Aus dem Leben einer Türsteherin
Kaum eine andere Autor:in hat in den vergangenen Jahren so polarisiert wie Hengameh Yaghoobifarah. Die aus dem Iran stammende Deutsche schreibt über Rassismus und Rechtsterrorismus und legt sich regelmässig mit der Mehrheitsgesellschaft an. Am 9. November stellt sie in einer digitalen Lesung ihren Debütroman vor. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Wenn man als dezidiert linke Autor:in den deutschen Innenminister verärgert, dann sollte das eigentlich Business as ususal sein. Das, was die aus dem Iran stammende Hengameh Yaghoobifarah nach dem Erscheinen ihrer Kolumne „All Cops are berufsunfähig“ erlebte, war dann aber doch ein bis zehn Nummern grösser.
Darin hatte sich die Autor:in mit der Black-Lives-Matter-Bewegung und Rassismus bei der Polizei befasst. In dem Text wird ein Gedankenspiel angestellt, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht.
Zum Schluss der Kolumne heisst es: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“
Direkt zum Livestream (abrufbar bis 23. November 2021)
Hass und Morddrohungen ergossen sich über die Autor:in
Auf die missglückte Pointe folgte ein Sturm der Entrüstung - rauf bis zum deutschen Innenminister. Der kündigte eine Strafanzeige wegen Volkshetzung und Beleidigung gegen Yaghoobifarah an, entschied sich nach starker öffentlicher Kritik aber letztlich dagegen. Ausgestanden war der Fall damit längst nicht - die sich als nichtbinär, also weder weiblich noch männlich, verstehende Autor:in erhielt Hasskommentare und Morddrohungen. Es hätte auch das Ende ihrer Karriere sein können.
Stattdessen erschien wenige Monate später ihr Debütroman „Ministerium der Träume“. Darin geht es um Rassismus und rechten Terrorismus im Deutschland der 1990er Jahre. Die Polizei spielt auch wieder eine Rolle. In den Personen von zwei Beamten, die vor der Tür der Hauptfigur Nas stehen und ihr vom Tod ihrer Schwester Nushin berichten. Unfall? Suizid? Die Lage ist unklar, aber Nas, Mitte 40, Türsteherin in einer Queer-Bar, „eine migrantische Lesbe“ wie sie sich nennt, übernimmt die Vormundschaft für ihre 14-jährige Nichte Parvin und versucht, sich in der neuen Situation zurechtzufinden und gleichzeitig herauszufinden, was wirklich mit ihrer Schwester geschehen ist.
Video: Beitrag in titel, thesen, temperamente (ARD) zum Roman
Ihr Debüt-Roman erhielt viel Lob aus dem Feuilleton
Anders als die Polizei-Kolumne wurde der Roman weitgehend positiv aufgenommen: Die FAZ schrieb, dass Rassen- und Klassenkonflikte noch nie so schön in Worte gewickelt waren wie hier, „Die Zeit“ lobte Witz, Direktheit und Emotion der Geschichte und Deutschlandfunk Kultur beschrieb den Roman als Mischung aus „Psychonummer, Abenteuergeschichte und Entwicklungsroman“.
In der Literatur-Reihe „Debüts“ stellt Hengameh Yaghoobifarah ihren Roman am Dienstag, 9.November, 20 Uhr, nun selbst vor. Neben der Lesung stellt sich die Autor:in auch dem Gespräch mit dem Kulturwissenschaftler Özkan Ezli. Wir streamen die digitale Veranstaltung live und kostenlos für alle auf unserem YouTube-Kanal.
Die Reihe «Debüts - der erste Roman»
Donnerstag, 4. November, 20 Uhr
Verena Keßler: Die Gespenster von Demmin
Lesung & Gespräch im Kulturzentrum am Münster in Konstanz
Moderation: Norina Procopan & Valentin von Stechow
Dienstag, 9. November, 20 Uhr
Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume
Livestream über thurgaukultur-YouTube-Kanal
Lesung & Gespräch
Moderation: Özkan Ezli
Donnerstag, 11. November, 19:30 Uhr
Annina Haab: Bei den grossen Vögeln
Lesung & Gespräch im Literaturhaus Thurgau in Gottlieben
Moderation: Judith Zwick
Donnerstag, 18. November, 20 Uhr
Alem Grabovac: Das achte Kind
Lesung & Gespräch im Kulturzentrum am Münster in Konstanz
Moderation: Gallus Frei-Tomic
Donnerstag, 25. November, ab 12 Uhr jederzeit abrufbar
Tomasz Jedrowski: Im Wasser sind wir schwerelos
Digitales Gespräch auf unserer Website www.thurgaukultur.ch
Moderation: Judith Zwick
Details zu den einzelnen Terminen: https://judithzwick.de/debuets/
thurgaukultur.ch ist Kooperationspartner der Lesereihe. Wir begleiten die Veranstaltung im November mit weiteren Texten und Hintergründen zum Thema Debüt.
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
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- Die Angst vor dem Anderen (21.01.2025)
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