von Jana Mantel, 10.07.2024
Die Magie der bewegten Streifen
Wer in Konstanz ambitioniertes Kinoprogramm sehen will, der kommt am Zebra Kino nicht vorbei. Eine Würdigung zum 40. Geburtstag. (Lesedauer: ca. 7 Minuten)
Kino in den 1970er Jahren, das fühlte sich ein bisschen an wie Pubertät. Alles irgendwie ziemlich durcheinander. Es liefen die grossen, lauten Blockbuster-Filme wie „Der weisse Hai“, „Krieg der Sterne“, „James Bond: Moonraker“, die vornehmlich aus den USA zu uns herüber schwappten. Daneben gab es ab Mitte der 1970er Jahre auch den so genannten Neuen Deutsche Film mit Regisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Werner Herzog und Volker Schlöndorff.
Und trotzdem sagt Herbert Lippenberger heute: „Die Institution Kino war in den 70er Jahren in einem wirklich erbärmlichen Zustand, sozusagen ein Ort der Unkultur, fast möchte man sagen, ein Ort des Grauens.“ Lippenberger muss es wissen, er ist nicht nur Zeitzeuge, sondern er war einer der zehn Gründer:innen, die in Konstanz das Zebra Kino gründeten. Ein Programmkino, das sich den aufkeimenden Kommerzialisierungstrends entgegen stellen wollte. Filmkunst zählte, nicht die Zahl der Besucher:innen. Das hat sich ausgezahlt. Das Kino wurde mehrfach für sein Programm prämiert, das Zebra ist zudem inzwischen Gastgeber von drei sehr verschiedenen Festivals (Kurzfilmspiele, Queergestreift und Shivers).
Video: Erinnerungen an 40 Jahre Zebra Kino
Grosse Liebe zum Film
In diesem Jahr feiert das Konstanzer Zebrakino seinen 40. Geburtstag und dass es immer noch der wichtigste Ort für ambitioniertes Kino in der Bodenseestadt ist, spricht eher nicht für Konstanz. Aber eins nach dem anderen.
1984 wurde das Kino gegründet, seit 1996 hat sich das Kino an seinem jetzigen Standort im Chérisy-Gelände (ehemalige Kaserne der französischen Armee) in Konstanz gut etabliert und die vorherigen Umzüge gut weggesteckt. Wir treffen Gründer, Begleiter, Mitarbeiter und Unterstützer, um über Sinn und Soll der Institution Kino zu reden.
Neben der grossen Liebe zum Film sind sie sich definitiv in einem anderen Punkt einig: einen Film im Kino anschauen ist eine Sache, eine andere und mindestens genauso wichtige ist, danach und miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Kultur hat sich bis heute im Zebra Kino gehalten.
Die Vision der Gründer:innen
Kino sollte in der Vision der Gründer:innen ein Ort sein, in dem man sich gerne aufhielt. Das war damals offenbar nicht überall gegeben. Herbert Lippenbergers Bild vom Kino der 1970er Jahre sieht etwa so aus: In Plüschsesseln hockten da Menschen mit Zigarette und Bier in der Hand vor einem Film, der ihnen scheinbar gar nichts bedeutete. Abgekürzt, Kino war alles andere als ein Ort der Kultur zu der Zeit. Das sollte anders werden.
„Martin Kochendorfer, Reinhard Barnsteiner, Gerhard May und ich waren Anfang der 80er Jahre, Studenten an der Uni hatten möglicherweise etwas mehr Zeit als heutzutage“, so Lippenberger weiter und mit einem leichten Schmunzeln samt Fragezeichen in der Stimme, „jedenfalls erinnere ich mich an viele studentische Initiativen. Eine davon war die Gründung eines Kinos, denn wir wollten eine andere Art von Kinokultur leben“, sagt er und schliesst nicht ohne Stolz: „und das ist uns gelungen.“
Was heute in einen Satz passt, dauerte in Wirklichkeit ein paar Monate und Auslöser für die letztliche Gründung des Zebra Kinos waren mehrere Dinge, die parallel passierten. Zum einen gab es an der Universität den Allgemeinen Studentenausschuss (AStA), dem ein paar der Zebra-Gründer angehörten und die regelmässige Kinoabende im Audimax der Uni Konstanz organisierten.
Zentrale Figur war Jozef Deja
Zusätzlich gab es noch eine wichtige Figur, nämlich Jozef Deja, ein Mitstudent, der zu der Zeit am Umbau des Cherisygeländes zu Studentenwohnheimen beteiligt war und mit der Idee um die Ecke kam, die Kinoabende vom Unigelände auf dem Hügel in das Cherisy Gelände zu verlegen.
„Der Umzug in die Cherisy war sozusagen „von der Höhe in die Praxis“ und gelang unter Mithilfe von weiteren Menschen wie Regine Schmid, Hans-Wolfgang Bayer, Antje Harnisch und Sigrid Brotbeck. Damals noch ohne finanzielle Unterstützung der Stadt, dafür mit viel Enthusiasmus und Manpower seitens der studentischen Gründer. „Den Umbau haben wir selbst in rund drei Monaten gestemmt und uns im Nachgang selbst einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 20 Mark auferlegt, um Kosten zu decken“, schaut Lippenberger zurück.
Umzug in die Innenstadt brachte kein Glück
Mit der Gründung des Kulturzentrums K9 mitten in der Stadt, das war 1990, bot die Stadt dem Zebra Kino an, Filme an diesem neuen innerstädtischen Ort zu zeigen. Das funktionierte drei Jahre lang, auch dank des kommunalen Kinos und der finanziellen Unterstützung der Stadt Konstanz, so halbwegs. Doch wirklich glücklich waren die Zebra-Leute offenbar nicht so ganz.
„Der Barbetrieb im K9 lief unabhängig von den Kinoabenden, so dass ein Austausch im Nachgang zu einem Film praktisch unmöglich war. Dieses Zusammenkommen und der Austausch nach dem gemeinsamen Filmerlebnis war uns jedoch sehr wichtig“, erklärt Lippenberger, „Zum Glück hatten wir das Zebra Kino nicht ganz aufgegeben und weiterhin einmal im Monat einen Film gezeigt. Das kam uns 1993 zugute, denn dann durften wir, und zwar dieses Mal mit finanzieller Unterstützung der Stadt, in die Cherisy zurückkehren.“
Hier fällt erneut der Name Jozef Deja. Werner Allweiss, Konstanzer Gemeinderat von 1980 bis 2014, erinnert sich an ihn. „Deja war ein wichtiger Mensch in dieser Angelegenheit, diplomatisch geschickt und damit ein anerkannter Gesprächspartner bei allen Parteien. Er hat uns im Gemeinderat immer wieder von der Bedeutung des Zebra-Kinos überzeugen können und von der Richtigkeit, das Kino finanziell zu unterstützen.“
Neustart auf dem Chérisy-Gelände
Mit diesem Neustart auf dem Chérisy-Gelände wurde das Zebra Kino ein wichtiger Baustein in der Kulturlandschaft Konstanz, Allweiss, „Das Zebra Kino hat sich um die städtischen Förderungen mit guter Arbeit verdient gemacht.“ Seither bekommt das Zebra Kino rund 54.000 Euro pro Jahr von der Stadt Konstanz und wird zusätzlich vom Land Baden-Württemberg gefördert.
Sarah Müssig, Kulturamtsleitung Stadt Konstanz, lobt, „Das Zebra Kino leistet Stadtteilkulturabeit in bester Form und zeigt sich wiederholt als guter Kooperationspartner innerhalb der Stadt Konstanz. So ein soziokulturelles Kino gehört einfach auch eine Uni-Stadt wie es Konstanz ist. Ich selbst bin ein Freund der vielen kuratierten Reihen und gehe gern dorthin, um zum Beispiel Filme im Original zu sehen.“
Gisela Kusche ist heute Gemeinderätin in Konstanz, „Das Zebra hat sich über die Jahre immer weiter geöffnet und zeigt anspruchsvollen Mainstream und mittlerweile, will heissen mit dem neuen Projektor, auch in guter Tonqualität“, kommentiert sie mit einem Augenzwinkern. „Das Zebra Kino steht für eine basisdemokratische Entscheidungskultur und ist ein gutes Beispiel dafür, wie gut die Kombination aus Ehrenamt und Angestellten funktionieren kann.“
Kino ist mehr als nur ein Film in einem Raum
„Kino ist mehr als nur ein Film in einem Raum. Man schaut ihn gemeinsam an und das macht einen Unterschied, denn man redet danach darüber. Überhaupt finde ich, Filme zu zeigen ist das Allerschönste, eine Zeremonie, ein Ritual“, so Lippenberger und Magdalena Meyer, Theaterleitung des Zebra Kinos, sieht es auch so: „Dieses gemeinsame Sein in einem dunklen Raum, gemeinsam zu weinen und zu lachen und sich danach auszutauschen ist grossartig. Für mich ist Kino auch ein Ort der Entspannung, ein Zufluchtsort, ein zweites Wohnzimmer.“
Seit 2013 ist sie selbst beim Zebra Kino engagiert, erst als Praktikantin, seit vier Jahren ist sie eine der beiden Theaterleitungen und kümmert sich um viele organisatorische Dinge, wie den Verleih und Rechte, die Tickets aber auch um die Bar. „Welche Filme gesehen werden, das entscheiden wir jedoch wie gehabt gemeinsam“, betont sie und gibt den Ball weiter an Nikolas Ditz, der Vorstandsvorsitzender ist.
Wie das Programm im Zebra gemacht wird
„Wir funktionieren in allem, was wir tun wie ein Verein, mit einem Vorstand, der dank der finanziellen Unterstützung der Stadt Konstanz von zwei Teilzeitstellen im Bereich der Theaterleitung und einer halben Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsstelle ergänzt wird“, klärt er auf: „Jeden Mittwoch gibt es eine Vereinssitzung, zu der alle ehrenamtlichen Helfer kommen können. Deshalb gibt es „nur“ an sechs Tagen in der Woche bei uns Filme zu sehen. Einmal im Monat wird gemeinsam über das Programm entschieden, wobei es ein paar gesetzte Genre gibt, wie zum Beispiel deutsche Filme, Klassiker oder Dokumentationen“, so Ditz.
„Im Prinzip funktioniert es ganz einfach, jeder der Anwesenden bringt Vorschläge ein, es wird darüber diskutiert und dann abgestimmt.“ Auf die Frage nach seiner eigenen Motivation muss er nicht lange überlegen: „Ich liebe Filme, sie sind überwältigend und im Kino nimmt man sie anders wahr als zu Hause und, man ist wirklich zwei Stunden lang konzentriert.“
Keine Ablenkung im Kino
Hier hakt Herbert Lippenberger ein: „Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt, denn heute ist man leider zu schnell mit anderen Dingen abgelenkt.“ Damit spricht er auch Maximilian Suffel, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, aus der Seele: „Ich nehme den gleichen Film im Kino anders als daheim wahr. Ausserdem eröffnen mir Filme neue Perspektiven. Sie funktionieren wie Empathie-Maschinen. Über sie lerne ich Denkweisen, Lebenswelten und Einstellungen anderer Menschen kennen und das hilft mir, sie besser zu verstehen.“
„Andere Filme anders zeigen“, platzt es aus Lippenberger mit einem Lächeln heraus: „Das war unser Motto damals und passt heute noch! Filme haben es verdient, dass man ihnen eine gute Atmosphäre und einen stimmigen Rahmen bietet.“
Kein Krisenkino mehr
Schaut man sich das Programm des Zebra Kinos an, fällt nicht nur das breitgefächerte Programm auf, sondern es punktet auch mit vielen zusätzliche Aktionen, wie der Montag, an dem man so viel zahlt, wie man kann oder das Sommer Open Air im Neuwerk Innenhof, zudem gibt es extra Filmwochen für Schulen.
Man spürt, hier im Zebra Kino wird Film wahrhaftig gelebt und die schlanke und flexible Vereinsstruktur liefert dafür den Raum. So wundert es auch nicht, dass es nach wie vor viele ehrenamtliche Helfer gibt, die motiviert mithelfen und Besucher, die auch wegen der besonderen Atmosphäre gern kommen.
„Ich hätte nie gedacht, dass das Zebra Kino so lange weiterlebt“, sagt Lippenberger offen. Beim Blick auf den alten Projektor, der mittlerweile von einem digitalen Gerät abgelöst wurde, fällt ihm noch die „35 Millimeter Gruppe“ ein, eine Handvoll Menschen, die diesen Projektor in den Anfangszeiten angeschafft haben.
Ein paar Wünsche sind noch unerfüllt
„Damals nannte man uns gern das Krisenkino, denn hin und wieder riss der Film“, schliesst er und erklärt noch kurz, woher eigentlich der Name Zebra kommt, „Wir waren Anfang der 80er Jahre oft in einem Pariser Kino, das „le zébre“ hiess, somit stand der Name „Zebra“ von Beginn an fest und passt ja bis heute herrlich.“
Die Gründer wollten vor 40 Jahren eine andere Form von Kino, eines, das nicht nach Popcorn riecht und nur die erfolgreichen Filme zeigt, die mit viel Geld produziert wurden. Das ist längst etabliert in Konstanz. Seit der Schliessung des Scala an der Konstanzer Marktstätte vor acht Jahren hat die Bedeutung des Zebra Kinos nochmal zugenommen. Nirgendwo sonst in der Stadt wird Filmkultur so leidenschaftlich gepflegt.
Trotzdem gibt es auch zum 40. Geburtstag noch ein paar unerfüllte Wünsche: ein zweiter Saal zum Beispiel und ein Aufzug, damit man barrierefrei sei.
Das Kino im Internet: www.zebra-kino.de | www.facebook.com/ZebraKino
Von Jana Mantel
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