von Jana Mantel, 27.02.2025
Eiszeit in der Remise
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Bislang gab es ambitionierte Kunst in Weinfelden vor allem während des Sommerateliers. Jetzt starten drei Künstler:innen auch einen Versuch im Winter. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Es ist recht frisch in der Remise in Weinfelden, sodass man sich dick einpacken sollte, wenn man die noch bis zum 29. März laufende Ausstellung „hEISse Zeiten“ besuchen möchte. Das Thema an sich bereitet auf den ersten Eindruck nicht unbedingt Wohlbehagen, jedoch ist die kalte Jahreszeit für die Ausstellung mit Werken von Marc-Antoine Fehr, Max Frey und Doris Naef durchaus passend. „Heisse Zeiten“ – ein Wortspiel mit dem Begriff „Eiszeiten“ – konfrontiert die Besucher mit dem ungeliebten Thema Gletscher und Klima, und das auf eine ausgesprochen eindringliche Art und Weise sowie mithilfe unterschiedlicher Kunstformen.
Das ambitionierte Zweiergespann aus Weinfelden, bestehend aus Brigitt Näpflin und Ivo Dahinden, ist bekannt vom Sommeratelier in der Remise Weinfelden, bei dem Künstler vor Ort oder für den Ort Arbeiten anfertigen. Nun gibt es also eine Ausstellung im Winter, und wie so oft spielte auch hier eine Portion Zufall mit.
„Wir waren bei einem Atelierbesuch bei Max Frey berührt von seiner Arbeit ‚Mort Aratsch‘“, erklären die beiden Kunstinteressierten und führen weiter aus: „Wir waren begeistert, in Bann gezogen, lange Zeit staunend von diesem leisen Plätschern, dem sich stets wiederholenden Rhythmus des Wasserfliessens vor dem Bild des Morteratsch-Gletschers – eine Ode an die schwindenden Gletscher.“
Die Idee, diese in Zeiten des Klimawandels so aktuelle Arbeit in der Weinfelder Remise auszustellen, war schnell geboren und damit auch die Idee einer Winterausstellung.
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Max Freys Arbeit „Mort Aratsch“ gab den Anstoss zur Winterausstellung
Max Frey kommt eigentlich von der Fotografie und besuchte die Fotoklasse der damaligen Kunstgewerbeschule in Zürich. Dieser fotografische Blick zeigt sich im ersten Stock in den Arbeiten „Schneefall“ und „Fallholz“, die so zart und zugleich eindringlich sind, dass man immer wieder und weiter hinschauen möchte. Dabei will man nicht nur ergründen, wie diese Arbeiten entstanden, sondern ist regelrecht hypnotisiert von der Zartheit dieser zwei Ausstellungsobjekte. Dahinden drückt es so aus: „Max Frey zeigt uns, mit der Kamera kann man auch zeichnen.“
Dabei kann Frey auch bauen, was er in der aufwändigen Installation „Mort Aratsch“ im Eingangsbereich zeigt. Er selbst sagt: „Ich habe schon länger nach einer Ausstellungsmöglichkeit für die sperrige Installation ‚Mort Aratsch‘ gesucht, und da kam mir die Einladung, in der Remise ausstellen zu dürfen, sehr gelegen. Die Demontage im Atelier, der Transport und der Wiederaufbau erwiesen sich allerdings als sehr anspruchsvoll. Die Herausforderung der sehr speziellen Räume der Remise mit ihrem Eigenleben und der eingeschriebenen Patina – ich kann mir kaum einen grösseren Gegensatz zu üblichen neutralen Galerieräumen vorstellen. Dann das Zusammenspiel mit den Arbeiten von Marc-Antoine Fehr und Doris Naef – aus meiner Sicht hat das zusammen zu einer geglückten Ausstellung geführt.“
Tatsächlich war auch dem Organisationspaar schnell klar, dass man Max Frey noch mit zwei weiteren Künstler:innen ergänzen wollte. Doch wer passte thematisch noch dazu?
Doris Naefs schwebende Eismonde
Schnell kam man auf die in der Ostschweiz lebende Doris Naef, die beide Organisatoren nicht nur schon lange kennen, sondern auch als Künstlerin schätzen. „Sie arbeitet mit Video, Foto und Objekten“, erklärt Näpflin und betont, dass die bereits bestehende Videoarbeit „Wenn Gletscher glühen“ im Dachgeschoss zwar fertig gewesen sei, jedoch für die Ausstellung vertont und mit originalen Gletscherwassergeräuschen sowie Musik untermalt wurde. Doris Naef sagt: „Das Dachgeschoss der Remise ist wie ein eigenes Universum, und die runden Arbeiten sind eine Anspielung auf die globale Relevanz der Klimaproblematik.“
Überhaupt komme man an ihr laut Näpflin nicht vorbei, da sie mehrere Kunst-am-Bau-Projekte realisiert hat und auf eine rege Ausstellungstätigkeit blicken kann. „Der Zufall wollte es, dass im vergangenen Oktober in Frauenfeld VideOst, zu dieser Gruppe gehört auch Doris Naef, ihr 30-jähriges Jubiläum mit einer Werkschau feierte. Doris Naef war vertreten mit Arbeiten, die nach einer längeren Reise durch Patagonien entstanden sind“, erklärt Näpflin. „So war es naheliegend und logisch, dass wir sie fragten, ob sie sich eine Beteiligung mit Werken aus dieser Serie vorstellen könne.“
Tatsächlich kommt man an den Eismonden im Dachgeschoss kaum vorbei. Wie mahnende Eiskristalle hängen sie verteilt im obersten Geschoss, versperren scheinbar den Weg im Raum und zwingen, da in unterschiedlichen Höhen hängend, die Besucher zum genauen Hinsehen, Durchsehen und Ansehen. Dahinden ergänzt: „Eismonde sind in der Oberfläche total von Eis bedeckt; der Jupitermond Europa ist ein solcher. Eismonde sind noch nicht vom Menschen belebt – welch Glück, so dürfte ihr Bestand gesichert bleiben.“
Marc-Antoine Fehr: Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit
Der dritte Künstler im Bunde ist Marc-Antoine Fehr, den Ivo Dahinden vorstellt: „Seine Arbeiten kenne ich schon lange und bin fasziniert von der zwingenden und besonderen Ausstrahlung, die sie haben.“ Zudem wussten beide, dass das Thema Eis, Winter, Gletscher in mehreren seiner Werke vorkommt und hatten ihn schon lange auf dem Radar.
Besonders die Malerei „La grande salle“ prägt sich tief ein: Hier fährt ein Pferdegespann mit Sarg auf den oder vielleicht sogar mit den letzten Gletscherteilen ins Ungewisse. Die grossformatigen Leinwandarbeiten wirken fast ein wenig wie aus der Welt gefallen, mit einem deutlichen Fokus auf Tod und Vergänglichkeit. Dennoch sind sie in ihrer Farbgebung zurückhaltend und könnten gut Schlussszenen eines Spielfilms darstellen.
Die Remise – ein Ort für die Kunst
Die Remise in der Frauenfelderstrasse gehörte einst zum stattlichen Steinhaus direkt nebenan und diente bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Spezereienlager. Die Stadt Weinfelden kaufte 1989 das zunehmend desolate, unter Denkmalschutz stehende Haus und renovierte es. Seit 1992 gibt es hier Kunstausstellungen, bislang mit einem Fokus auf den Sommer. Verantwortet werden sie von Brigitt Näpflin und Ivo Dahinden.
Die Ausstellung
HEISSE ZEITEN – Winterausstellung in der Remise Öffnungszeiten: Sa 14–16 Uhr / So 11–14 Uhr und auf Anfrage. Am 16. März um 11 Uhr Gespräch mit Lorenz Wiederkehr; am 29. März um 16 Uhr Lesung mit Hans Gysi.
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