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von Jana Mantel, 08.01.2025

Wie der Wein an den Bodensee kam

Wie der Wein an den Bodensee kam
Urs Leuzinger, Archäologe und Konservator des Museums für Archäologie, ist über den Fund eines Blütenstaubkornes einer Weinrebe aus dem Hüttwilersee, 2. Jahrhundert nach Christus begeistert. | © Jana Mantel

Zum Themenjahr «Wein am Bodensee 2025» markiert das Museum für Archäologie mit der Ausstellung «Bacchus & Co. – Wein am Bodensee» den Auftakt zu einer ganzen Ausstellungsreihe, die im Napoleonmuseum und der Römerstadt Avgvsta Ravrica weitergeführt wird. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Urs Leuzinger, Archäologe und Museumsleiter in Frauenfeld, kommentiert launig, „Wir sind als archäologisches Museum mit dieser Ausstellung fast ein bisschen zu früh dran.“ Dabei bezieht sich Leuzinger ganz konkret auf das Jubiläum der legendären Schmuggelfahrt von Albert Röhrenbach und Gottfried Ainser von Ermatingen nach Hagnau, die sich im April 2025 zum 100. Mal jährt und die den Weinbau am Bodensee nachhaltig geprägt hat.

Mit dem Boot wurden 1925 etwa 400 Pfropfreben der Sorte Müller-Thurgau – unter Fischernetzen getarnt – ans deutsche Ufer geschmuggelt. Die Reben stammten von einer Versuchsparzelle auf dem Arenenberg, wo im Auftrag von Hermann Müller, damals Direktor der Versuchsanstalt für Obst-, Wein und Gartenbau in Wädenswil, diese Sorte angebaut wurde. Mit dieser neuen, früh reifenden Sorte sollte die Misere des Weinbaus am Nordufer des Bodensees behoben werden. Bis dahin hiess es nämlich eher, man brauche drei Menschen zum Wein trinken, eine Person, die eine andere festhält, während die dritte den Wein einflösst…

Ein Rundumschlag in Sachen Weingeschichte

Der Anbau auf markgräflichen Rebflächen wurde zunächst allerdings behördlich verboten und Röhrenbach musste die Pflanzen im Geheimen anbauen. Erst 1949 war es offiziell erlaubt, Müller-Thurgau auf Boden des Markgrafen von Baden anzupflanzen und dem Siegeszug der unproblematischen Rebe stand nichts mehr im Weg. Mittlerweile gibt es rund um den Bodensee kaum einen Winzer, der keinen Müller-Thurgau anbaut und diese Rebsorte gilt weltweit als erfolgreichste Weissweinzüchtung.

Das wird 2025 rund um den Bodensee gefeiert und das Museum für Archäologie startet nicht nur, sondern wirft auch einen Blick auf die lange Geschichte des Weinbaus, die bis in die Eisenzeit (ab 800 vor Christus) zurückreicht. 

 

Im April 2025 jährt sich die legendäre Schmuggelfahrt von Albert Röhrenbach und Gottfried Ainser von Ermatingen nach Hagnau zum 100. Mal. Bild: Jana Mantel

Wein als Grundnahrungsmittel

Die Ausstellung macht einen Rundumschlag rund um das Thema Wein und lockt im Flyer mit interessanten Fakten. Denn feststeht, schon damals wurde nördlich der Alpen Wein getrunken. Die keltische Elite importierte das kostbare Getränk in Amphoren aus dem Mittelmeerraum. In römischer Zeit wurde im Schweizer Mittelland Wein angebaut, im Thurgau nachweislich ab dem 2. Jahrhundert nach Christus. 

Der Handel mit Wein aus dem Süden blieb aber weiter hin wichtig, gab es doch schon damals verschiedene Weinsorten, die grosse Unterschiede in Qualität und Preis aufwiesen. Im Mittelalter trat der Kontext der Eucharistie-Feier (Abendmahl) in den Vordergrund, Wein galt aber auch als Grundnahrungsmittel, da Wasser damals ungeniessbar, weil zu dreckig war. Für die Angehörigen der Familie von Napoléon III auf Schloss Arenenberg wiederum war der Weingenuss Teil der französischen Kultur. 

Ein Blütenstaubkorn als Beweis

Ein besonderes Highlight der Ausstellung wird von Urs Leuzinger auch gezielt hervorgehoben. „Lange Zeit konnten wir anhand von Gefässen nachweisen, dass Wein hier im Thurgau getrunken wurde“, sagt er und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Eva Riediker ergänzt, „Im Übrigen trank man Wein verdünnt mit Wasser und allerlei Gewürzen, denn reinen Wein zu trinken, galt als barbarisch!“ 

Hier hakt Leuzinger ein, „Bislang fehlte jedoch der Nachweis für hiesigen Weinanbau“, baut der Museumsleiter den Spannungsbogen auf, „Nun wurde endlich der Beweis erbracht, und, ja es gab ab dem 2. Jh. nach Christus Weinanbau im Thurgau.“

 

Wein wurde über die Wasserwege transportiert, hier der Gipsabguss eines Schiffes aus der archäologischen Sammlung in Zürich. Bild: Jana Mantel

Forscherteam bringt es ans Tageslicht

So hätte ein interdisziplinäres Team von 2019 bis 2024 im Rahmen des Projekts «Klima, Umwelt, Mensch im Thurgau» (KUMiT) Sedimentkerne aus dem Bichelsee und dem Hüttwilersee untersucht. In den Bohrkernen des Hüttwilersees konnten in den römerzeitlichen Schichten erstmals Pollen der Weinrebe ausgezählt werden. 

Auch Blütenstaub der Strahlendolde – eine Pflanze, die oft in Rebbergen wächst – wurde entdeckt. Diese botanischen Funde sind somit der früheste direkte Nachweis, dass an den südexponierten Hängen beim römischen Gutshof Stutheien Wein angepflanzt wurde. 

Statuette gegen Fassboden

Mindestens genauso begeistert zeigt sich Leuzinger über die Bacchus-Statuette, dem beliebten römischen Gott des Weines und der Fruchtbarkeit, die er im Austausch gegen einen Fassboden aus Eschenz in der Ausstellung zeigen kann. Der Fassboden, der demzufolge nur als grafische Darstellung in der Ausstellung gezeigt werden kann, ist ein Fassboden aus Tasgetium (Eschenz) mit der eingravierten Inschrift «SVANS» und ebenfalls bemerkenswert.

Leuzinger dazu: „Diese Buchstaben dürften Bezug auf den keltischen Stamm der Suaneten nehmen, die vor über 2000 Jahren im Rheintal zwischen Landquart und Chur lebten. Allenfalls wurde also bereits damals Wein aus dieser Region auf dem Fluss- und Seeweg bis nach Tasgetium vertrieben. Der originale Fassboden wird zurzeit in der Sonderausstellung «Das perfekte Dinner. Römer, Macht und Müll» in Augusta Raurica gezeigt – quasi im Austausch zur Statuette des Bacchus.“

 

Bacchus, der Gott des Weines, kam als Statuette im Tausch gegen einen Fassboden aus Eschenz in die Ausstellung. Bild: Jana Mantel

Lange Weintradition auf dem Arenenberg

„Der Anstoss für die jetzige Ausstellung kam übrigens von Dominik Gügel, Museumsdirektor des Napoleonmuseums“, spinnt Leuzinger den Bogen zur Vitrine mit der Weinflasche arrangiert mit Gläsern, die als Leihgabe vom Arenenberg kommen. Mit einem Augenzwinkern bemerkt er, dass man diesen wahrscheinlich nicht mehr trinken könne. 

Aber der Arenenberg könne auf eine vermutlich bis in die Spätantike zurückreichende Weintradition zurückblicken. Ein aus dem frühen 16. Jahrhundert stammendes Büchlein überliefere die dortige Weinproduktion und einige Flaschen aus dem königlichen Besitz, eine davon ist in der Ausstellung ausgestellt, hätten bis heute überlebt.

 

Glaskaraffe, Weingläser und Weinflasche, Bordeaux Saint-Émilion, um 1860, aus dem Besitz des Kaisers Napoléon, Leihgabe vom Schloss Arenenberg. Bild: Jana Mantel

Wein und Kinder?

Besondere Mühe haben sich die Ausstellungsmacher mit einem Kinderleitfaden gegeben, der als Rätselrundgang mit gelben Schildern durch die Ausstellung führen. „Natürlich dürfen Kinder keinen Wein trinken“, stellt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Eva Riediker gleich zu Beginn klar, „deshalb fokussieren wir uns bei den Kindern in der Ausstellung eher auf die dazugehörigen Bereiche der Landwirtschaft, die Trauben und den Handel.“ 

Das Rätsel sei jedoch recht anspruchsvoll und soll Familien dazu anstiften, die Fragen gemeinsam zu lösen. Auch ein genaues Hinsehen ist zuweilen hilfreich bei der Beantwortung der Fragen, wie zum Beispiel dieser: Was tragen die Bronzefiguren nicht auf dem Kopf? Einen Efeukranz, Rebstöcke oder einen Lorbeerkranz. Hinweise zur Antwort gibt es natürlich auch immer, wie hier: Die Römer verehrten einen Gott des Weines und der Fruchtbarkeit: Bacchus und selbstverständlich steht die kleine Figur direkt daneben. 

Eine abschliessende Warnung darf jedoch nicht fehlen: „Auch wenn sie ihn verdünnt haben, stieg den Römern der Wein sicher manchmal in den Kopf. Heute wissen wir, dass zu viel Alkohol Gift für den Körper ist. Darum dürfen Kinder heutzutage keinen Wein trinken. Zum Glück ist auch Traubensaft sehr lecker!“

Das ist wohl mindestens genauso wahr, wie die Tatsache, dass die kleine in einem einzigen Raum konzipierte Ausstellung lohnenswert ist.

 

Eva Riediker, wissenschaftliche Mitarbeiterin, hat sich im Besonderen um die gelben Schilder, die mit Archie für die Kinderführung stehen, gekümmert. Bild: Jana Mantel

 

Die Ausstellung

Museum für Archäologie Thurgau

Freie Strasse 24, 8510 Frauenfeld

Di-Fr 14-17 Uhr, Sa- So 13-17 Uhr

Öffentliche Führungen zu verschiedenen Themen am 11.1.25, 6.2.25, 29.3.25 und 6.5.25

Auf Anfrage finden Führungen für Gruppen und Schulen statt.

 

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