von Anke Klaaßen, 12.02.2025
Über die Liebe zum guten Ton
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Filme zum Klingen bringen: Der in Uesslingen lebende Tonmeister und Sounddesigner Thomas Gassmann gestaltete den Ton bei zahlreichen international ausgezeichneten Filmen. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Thomas Gassmanns Liebe zum guten Filmton begann vor vielen Jahren beim Angeln am Set: „Ich mochte das Angeln sehr, weil es so körperlich ist“. Dieses Angeln hat aber gar nichts mit Fischen zu tun. Bei diesem Angeln geht es darum, das Mikrofon an der Angel so nah wie möglich am Sprechenden zu platzieren, ohne dass es im Bild zu sehen ist. Wenn nötig, lernt der Angler die Dialoge auswendig, um an der richtigen Stelle zu schwenken.
Am Set eines Spielfilms sind Tonleute meist zu zweit: der Tonmeister und sein Assistent. Thomas Gassmann ist schon lange Tonmeister am Set, aber angeln geht er immer noch gerne selbst: Weil es ihm Spass macht und weil er weiss, wie wichtig das Angeln ist.
In seinem Metier zählt Gassmann schweizweit zu den Besten. Er gestaltete den Ton bei zahlreichen international ausgezeichneten Filmen, aus dem Dokumentar, Animations-, Kurz-, und Spielfilmbereich, unter anderem bei „Hunkelers Fälle“, „Giulias Verschwinden“, „Der Kreis“, „Buumes“ und „Someone beside you“. Nach vielen Jahren unterwegs lebt Gassmann inzwischen im Thurgau, genauer in Uesslingen. „Mir gefällt es im Thurgau“, sagt der Tonexperte. Warum, wird der 50-Jährige später erklären. Aber erstmal zurück zu seinen Leidenschaften: Ton und Film.
Filmmenschen sind zumeist Herdentiere – sie sammeln sich in Zentren: Zürich, Berlin, bei Filmfestivals. Das scheint schon in der Natur der Sache zu liegen, weil beim Film ja viele Kulturschaffende beteiligt sind. Und doch gibt es sie auch hier, im und um und aus dem Thurgau. Schnell zu finden sind dabei die Vertreter:innen der Berufe, die im Rampenlicht stehen: Schauspieler:innen und Regisseur:innen. Doch Filme als Leistung einer Künstler:innengruppe bilden ein Mosaik aus den unterschiedlichsten, teils eher wenig wahrgenommenen Gewerken: Kamera, Drehbuch, Animation, Licht, Ton. Eben jene „unsichtbaren“ Filmschaffenden jenseits der Schlagzeilen nimmt diese Serie in den Fokus.
Zuerst kommt das Buch – darum habe ich als Anfang der Serie mit dem seit 2020 in Rorschach lebenden Schweizer Drehbuchautor Dominik Bernet gesprochen. Der zweite Beitrag drehte sich um den 3D-Animator Dominic Lutz. Es folgten der Editor Jann Anderegg, die Produzentin Katrin Renz und der Kameramann Peter Indergand. Alle Beiträge der Serie werden im zugehörigen Themendossier «Unsichtbar» gebündelt.
Eines seiner Lieblingsprojekte
Auf Dreh gibt Gassmann den Protagonist:innen neben dem geangelten Ton auch eine Funkverbindung. Zudem nimmt er in der Mittagspause Umgebungsgeräusche vom Drehort auf oder bei Aussendrehs die sogenannte „Ambience“, die Hintergrundgeräusche einer Szene. So kann er möglichst viel Originalmaterial in die Postproduktion mitnehmen.
Eines seiner liebsten Realfilmprojekte, bei dem er über fünf Jahre am Set gearbeitet hat, ist „Köhlernächte“ von Robert Müller: „Die Leute sind mir in den fünf Jahren sehr ans Herz gewachsen, ich war Tag und Nacht da, immer wieder, insgesamt wohl an 50 Drehtagen. Die Zusammenarbeit mit Robert Müller war besonders spannend, weil Robert eine grosse Affinität zum Ton hat und er mir auch alle Freiheiten am Set und in der Postproduktion gelassen hat.“
Video: Trailer zu Köhlernächte
Vom Hiphop zum Filmton
Gassmanns Weg zum Filmton führte nach der Schulzeit über das Musikauflegen. Während seines Studiums der Sozialen Arbeit in Zürich war er DJ: „Ich mochte Hiphop sehr gerne und habe in den 90er Jahren ein paar Jahre lang Drum and Bass aufgelegt.
Trailer zu „Sans Voix“ (2024), einem Kurzfilm von Samuel Patthey, Thomas Gassmann war für den Ton verantwortlich
Der Film erzählt vom Erwachsenwerden des Regisseurs und auch ein wenig von Thomas Gassmanns Vergangenheit als Drum and Bass DJ.
Zusammen mit einem Freund begann er, Hiphop zu produzieren und bekam auch einen Plattenvertrag - doch dann verliess Gassmann die Band, weil er die Möglichkeit hatte, an einem Filmset zu arbeiten. Nach einer Tontechnikerschule und verschiedenen Praktika bei Schweizer Fernsehfilmen wusste er: „Da will ich hin. Ich mochte dieses Filmset unheimlich gerne, weil es so ein Perpetuum mobile war, im Sinne von sehr viel innerer Energie, da passiert wahnsinnig viel“.
Video: Einer der Filme, bei denen Thomas Gassmann für den Location Sound Mix verantwortlich war - eine mehrfach ausgezeichnete Mischung aus Dokumentarfilm und Reenactment.
Vermitteln als Credo
Doch genau diese Intensität und die wochenlangen Dreharbeiten wurden mit der Geburt seiner beiden Kinder schwierig. Und als Gassmann 2009 das Angebot bekam, an der Hochschule Luzern zu unterrichten, sagte er zu: „Am Anfang fand ich es schwierig, so in diesen dunklen Räumen, vorher war ich immer draussen“. Doch bald merkte er, dass ihm das Unterrichten sehr liegt: „Ich tue wirklich das, was ich am liebsten tue“.
Seit über zehn Jahren arbeitet Gassmann nun als Dozent für Originaltonaufnahme an der SAE und als Dozent für Sounddesign an der Hochschule Luzern, Design & Kunst, Bachelor Animation. Dort ist er verantwortlich für die Tonausbildung und das Sounddesign der mehrfach preisgekrönten Abschlussfilme der Animationsabteilung.
Auf den Filmsets hat Gassmann viel von den anderen Tonmeistern gelernt. Und dieses „Weitergeben“ von Erfahrung und Wissen sowie das Vermitteln von Klängen aus dem eigenen Fundus ist zu seinem Credo geworden.
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Neue Leidenschaft: Animationsfilme
Lehren geht für Gassmann weit über das Unterrichten hinaus: „Was ich mache, ist sehr viel Persönlichkeitsbildung. Wo willst du hin, was willst du, hast du eine Idee?“ In der Begleitung seiner StudentInnen ist ihm wichtig, dass sie sich nicht gezwungen fühlen, sein Feedback genauso umzusetzen, sondern dass sie ihren künstlerischen Ausdruck entwickeln.
Neben seiner Lehrtätigkeit ist Gassmann mittlerweile stark in der Animationsfilmszene verwurzelt und hat zahlreiche kurze Animationsfilme vertont. Er ist Teil des Sounddesign-Kollektivs „Noisy Neighbours“, das vor allem aus ehemaligen Studierenden besteht, die aufgrund ihrer Leidenschaft für den Sound mit Thomas Gassmann in Kontakt und Austausch geblieben sind.
Video: Bei „Timber“ von Nils Hedinger war Thomas Gassmann für das Sounddesign verantwortlich
Bei Animationsfilmen ist der 50-Jährige oft auch beim Voice Casting dabei und das sei enorm wichtig: „Wenn die Stimme schlecht ist, macht das eigentlich den Film kaputt.“ In der Postproduktion, vor allem bei Animationsfilmen, bei denen der Ton komplett neu erstellt werden muss, arbeitet Thomas Gassmann mit Geräuschemachern zusammen: „Die Geräuschemacherin schaut sich den Film vorher an, bereitet ihre Objekte vor, die sie mitbringen will, um das zu vertonen.“
Im Tonstudio schaut sie sich das Bild synchron an und macht mit ihren Objekten die Geräusche dazu. Die Geräusche werden dadurch bestimmt, wie sich die Figuren bewegen, was sie tragen, ob sie schwer oder leicht sind, ob es High Heels oder Turnschuhe sind. „Also sie haucht eigentlich den Szenen Leben ein und wir übernehmen das und verfeinern das im Tonschnitt und bringen dann Sounddesign-Elemente ein.“ Am Ende steht dann die Mischung.
„Der Ton ist die emotionale Seite des Films.“
Thomas Gassmann, Tonmeister
„Die Tonspur bringt die Kontinuität in den Film", sagt Gassmann, macht aber einen grossen Unterschied zwischen der Tonspur im Realfilm und im Animationsfilm: „Sobald es einen Dialog gibt, muss dieser Dialog funktionieren, er muss verständlich sein, er muss angenehm sein oder auch sehr unangenehm." Das Ziel sei eigentlich, dass das Publikum den Film so versteht, wie der Filmemacher ihn verstanden haben will.
Ein Film könne vor allem narrativ oder figurativ oder eher realistisch sein: „Dann vertont man diesen Realismus so, wie man ihn sich vorstellt.“ Gerade im Animationsbereich könne er aber auch sehr expressiv sein, wie ein Traum oder ein Experimentalfilm, wobei wieder alle Regeln über Bord geworfen würden.
Wie das Budget eine Produktion verändern kann
Im Realfilm habe die Tonspur, die man vom Set mitbringt, eine grosse Macht. Deshalb sei es extrem wichtig, wie gut man als Tonmann am Set arbeiten kann oder wie viel Budget man hat, um das dann im Nachhinein gut zu machen. Mit genügend Budget sei in der Postproduktion alles möglich. „Aber ich behaupte, dass du etwas von dieser Kongruenz, von der Einzigartigkeit der Performance verlierst, wenn du die Tonspur änderst“, sagt Gassmann.
Was für Real- und Animationsfilm gleichermassen gilt: „Der Ton ist die emotionale Seite des Films und gibt vielen Szenen den Flow: Der kommt über den Ton und nicht über den Schnitt.“
Gassmann macht immer noch den Ton an Drehsets, aber nicht mehr für Spielfilme, sondern nur noch für Dokumentarfilme. Vor allemm weil er als Familienmensch nicht mehr wochenlang für Dreharbeiten wegfahren kann.
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Vom Sammeln der Töne: Das Weinen der Maden
„Immer wenn ich irgendwo hinfahre, wo ich noch nicht war oder wo ich schon mal war und es mir gefallen hat, nehme ich mein Mikrofon mit", erzählt Gassmann. Zehntausende von Geräuschen hat er so über die Jahre gesammelt. „Field Recordings“ nennt man solche Aufnahmen und meint damit Klänge, die nicht eigens produziert wurden, sondern Klänge oder Klanglandschaften ausserhalb eines Tonstudios.
In Gassmanns Klangbibliothek „lagern“ mittlerweile über 50.000 Klänge. „Das liegt alles beschriftet in der Soundbibliothek.“ Das sind dann so Bandwurmnamen mit zum Teil 100 Zeichen. Zum Beispiel: „Grillen, Biene, nah, leichter Wind, keine Kuhglocken, Sommer“. Für ein Sounddesign könne er dann genau diese Klänge verwenden.
Video: Trailer zum Kurzfilm „TV oder die Ruhestörung an der Waldbergstrasse“
Regisseur ist Frederic Siegel, ein ehemaliger Student, Gassmann ist für den Ton verantwortlich, der Film wird im Frühjahr in den USA Premiere haben.
Noch heute fährt Gassmann ins Engadin, um Schnee aufzunehmen. „Denn Schnee klingt immer anders, und einmal brauchst du die Textur, und einmal brauchst du die Textur.“ Im Moment arbeitet er an der Vertonung eines Trickfilms für Kinder, in dem es um Lichtverschmutzung geht - Gassmann vertont Glühwürmchen, Fledermäuse und Maden. „Diese Maden, die weinen manchmal, weil sie gestört werden.“
Das Geräusch für das Weinen der Maden fand er an einem ungewöhnlichen Ort: Er hat eine Pappschachtel für den Erdbeereinkauf über den Küchenabzug zu Hause gezogen, was durch die raue Oberfläche „superinteressante Töne“ erzeugte.
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„Der Thurgau hat eine sehr lebendige Kulturszene.“
Thomas Gassmann, Tonmeister
Zuhause - das ist für Gassmann seit 13 Jahren das thurgauische Uesslingen. Als Gassmann in Zürich als Sozialarbeiter arbeitete, lernte er seine Frau kennen, die aus dem Thurgau stammt. Er selbst ist in Will und Wallisellen aufgewachsen. Mit den beiden Kindern zogen sie nach Uesslingen, in ein Holzhaus mit eingebautem Tonstudio.
Gassmann verbringt viel Zeit in Luzern und auf dem Weg dorthin, doch in Uesslingen ist er fest verwurzelt: „Mir gefällt es im Thurgau“, sagt Gassmann. In der Männerriege des Dorfes ist er als Präsident aktiv: „Ich finde es auch cool, nicht immer nur in der eigenen Blase zu sitzen", sagt er.
Er engagiert sich auch im Frauenfelder Cinema Luna
„Der Thurgau hat eine sehr lebendige Kulturszene“, schwärmt Thomas Gassmann. Gerade weil es nicht so viele Möglichkeiten gebe, sich zu treffen, treffe man an den vorhandenen Orten auf besonders offene Menschen. Gassmann schätzt unter anderem das Eisenwerk in Frauenfeld als offenen Ort und tolle Kulturinstitution.
Im „Cinema Luna“ in Frauenfeld ist Thomas Gassmann selber aktiv, als Filmvorführer, er macht Filmmixe und führt Filmgespräche. „Ich habe ein Interesse daran, dass es dieses Kino gibt, und deshalb trage ich auch meinen Teil dazu bei. Für so eine kleine Stadt, finde ich, muss man sich darum kümmern, sonst gibt es das irgendwann nicht mehr."
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Kommt vor in diesen Ressorts
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Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
- Spielfilm
- Dokumentarfilm
- Animation
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