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von Jana Mantel, 06.12.2024

Kunst ist Kommunikation

Kunst ist Kommunikation
Unsere Kunstkritikerin Jana Mantel bei ihrer Arbeit. Hier besucht sie eine Ausstellung der Galerie Lachenmann in Konstanz. | © zVg

Wie wir arbeiten (6): Jana Mantel schreibt seit vielen Jahren über Kunst. Hier erklärt sie, was sie daran interessiert und nach welchen Kriterien sie Ausstellungen bewertet. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Kunst ist Kommunikation: Auf diesen kurzen Nenner habe ich irgendwann einmal meine Definition von Kunst gebracht, denn Kunst führt aus meiner Sicht einen Bruch herbei in unseren Seh- und Denkgewohnheiten. Das finde ich grossartig, weil es damit in uns etwas auslöst und in Folge dazu führt, dass wir uns darüber austauschen. Und, das ist mindestens genauso grossartig.

Kunst ist überhaupt ein wunderbares Gesprächsthema, denn es polarisiert nicht, zumindest, wenn der Künstler nicht dabei ist, und ist tiefgründiger als ein Plaudern über das Wetter. Dabei kann Kunst die Grundlage für wunderbare Diskussionen liefern und das Beste daran ist, keiner hat am Ende recht. Das probiere ich immer wieder aus mit Menschen, die mich zu Ausstellungsbesuchen begleiten und weniger kunstaffin sind. 

Der Bauch entscheidet

Schlussendlich entscheidet nämlich immer noch unser eigener Bauch und nicht die Qualität der Arbeit selbst, ob wir die gesehene Kunst mögen oder nicht. Und übrigens, wenn jemand einen blöden Kommentar zu zeitgenössischer Kunst abgibt, kann man jederzeit mit folgendem Satz kontern: „moderne Kunst = das kann ich auch + du hast es aber nicht gemacht“

Anders ist es natürlich, wenn der Künstler beim Rundgang durch die Ausstellung dabei ist. Dann gibt es zwei Varianten: entweder er erreicht die Betrachter mit seinem künstlerischen Ansatz oder eben nicht. Letzteres Gespräch ist dann eher kurz und höflich. Bei ersterem passiert es nicht selten, dass Kunst-Lust-Käufe getätigt werden, was genauso toll wie das Gespräch über Kunst ist. Doch heute soll es darum gehen, wie ich an einen Artikel herangehe, der sich um eine Kunstausstellung dreht.

 

Der genaue Blick. Jana Mantel bei ihrer Arbeit als Kunstkritikerin. Bild: zVg

 

Darum geht es in dieser Serie

In der Serie „inside thurgaukultur.ch – wie wir arbeiten“ schreiben unsere Autor:innen über ihren Arbeitsalltag. Sie erklären, wie sie sich für ihre Termine und Texte vorbereiten, auf welchen Wegen sie recherchieren und welchen Herausforderungen sie dabei begegnen. Wir öffnen damit bewusst die Tür zu unserer Werkstatt, damit du besser nachvollziehen kannst, wie wir arbeiten und welche Kriterien uns in unserem Tun leiten.

Damit sollen einerseits unsere Autorinnen und Autoren sichtbarer werden, zudem wollen wir die Bedeutung von Kulturjournalismus damit herausstellen. Denn es stimmt ja immer noch, was Dieter Langhart im Mai für uns geschrieben hat: „Ohne Kulturjournalismus keine Abbildung und Einordnung von Kultur.“

Alle Teile der Serie bündeln wir in einem Dossier.

Meine Erfahrung im Kunstbetrieb

Seit mehr als 20 Jahren bin ich Bereich Kunst unterwegs, lange Jahre in einer fränkischen Galerie für zeitgenössische Kunst, in der ich viele Vermittlungsangebote für alle Altersgruppen und einen Förderverein etablieren durfte. Dabei habe ich nicht nur Kinder unter dem Tisch kreativ werden oder Kunst durch Klorollen betrachten lassen, sondern auch Senioren mit Führungen wie „Zu alt für junge Kunst?“ oder „5vor12 – für Kunst ist es nie zu spät“ mit Ausstellungen konfrontiert. 

Anstatt langer Monologe, wer wo bei welchem Professor was studiert hat, durften die Menschen mich fragen, ob der Künstler Kinder hat und wie sein Lieblingsessen heisst. Zumindest haben diese, zugegebenermassen etwas unkonventionellen, Führungen dazu geführt, dass sich die Menschen die Kunst bis zum Ende angesehen haben. Ob sie sie mochten oder nicht, konnten sie dann im Nachgang für sich ganz allein entscheiden. 

Kunst ist Arbeit

Seit rund zehn Jahren arbeite ich auch als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen und Plattformen und bespreche unter anderem, wen überrascht es?, besonders gern, Kunstausstellungen. Und natürlich besitze ich selbst auch Kunst und besonders gern welche von Künstlern, die ich gut und auch gern gut kenne. Kunst wohnt, ja lebt mit mir; sie bereichert mich und diese Begeisterung möchte ich gern teilen und verbreiten. 

Wenn ich also angefragt werde eine Kunstausstellung zu besprechen, sage ich praktisch immer „Ja“, also, sofern ich Zeit habe. Genaugenommen sage ich aber auch „Ja“, wenn ich wenig Zeit habe, denn da die Laufzeit von Ausstellungen oft länger ist, findet sich dann doch meist eine Lücke.

Warum ich das tue? Nun, selbst wenn ich in den Ausstellungen auf Kunst stosse, die ich nicht mag, habe ich für mich dennoch etwas mitgenommen und wenn es nur die Erkenntnis ist, dass ich diese Art von Kunst oder eben den oder jenen Künstler nicht mag. 

 

Jana Mantel findet: «In Ausstellungen kommt man ins Gespräch mit anderen Besuchern.»

 

Die Rolle von Hängung, Beleuchtung und Beschriftung 

Natürlich haben alle journalistischen Besprechungen den Anspruch objektiv zu sein, deshalb gibt es auch eine Reihe an Dingen, die man auf dieser Ebene abarbeiten kann. Dazu zählt neben der Professionalität der Arbeit selbst, auch die Hängung, die Beleuchtung und Beschriftung. Auch die Präsentation der Arbeiten im Raum gehört dazu, sind die Rahmen alle einheitlich oder zusammengesucht? Das schönste Ölbild wirkt nicht, wenn es schief in einer dunklen Ecke hängt.

Am Ende des Tages ist Kunst, eben wegen dieser Emotionalität, aber immer eine persönliche Einschätzung, die sich auch in den Ausstellungsbesprechungen niederschlägt. Aus meiner Sicht ist das aber gar nichts Schlimmes, denn man kann diese Einschätzung dann mit seiner eigenen abgleichen und mit dem Autor des Artikels einig oder eben uneins sein. Kunst ist Kommunikation, ihr erinnert euch? Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir die Kunst überhaupt in unser Leben hineinlassen und thurgaukultur.ch, als Informationsplattform, Leser:innen zu Ausstellungen hin stupst.

Augen auf und los

Habe ich also einen Auftrag, betrachte ich schon die Einladungskarte kritisch. Kam sie per E-Mail-Verteiler oder per Post? Sind da Rechtschreibfehler drin und alle Daten korrekt? Gewinnt man einen ersten Eindruck von der Ausstellung oder ist es eine Grafik, die eher eine PR-Kampagne der Galerie ist? Wie dick ist das Papier oder wenn digital, wie gut lässt sich alles lesen? Versteht man, worum es in der Ausstellung gehen soll, oder macht sie neugierig und motiviert zum Besuch? Letzteres mag ich persönlich am liebsten, denn dann wurde die Ausstellung auch meist mit Herz kuratiert.

Ausserdem ist für mich wichtig, gibt es einen Titel der Ausstellung? Letzteres ist besonders interessant bei Gruppenausstellungen, die damit einen roten Faden bekommen (können). 

 

Einige Künstler sind Freunde geworden, hier Sascha Banck. Bild: zVg

Lieber allein in der Ausstellung

Einmal angekommen, bin ich gern allein in der Ausstellung und meide, wenn möglich die Vernissage. Gut ist immer ein Gespräch mit dem Künstler oder der Künstlerin selbst, doch das initiiere ich, wie auch ein Gespräch mit dem Galeristen oder Leiter der Einrichtung, wenn, dann lieber erst im Nachhinein. Ich möchte mich gern pur von einer Ausstellung inspirieren lassen und informiere mich deshalb niemals zusätzlich im Vorfeld über die ausstellenden Künstler und wo sie überall schon womit und mit wem ausgestellt haben. 

Auf diese Art möchte ich mich wie eine Frau Müller, Meier, Schulze in eine Ausstellung begeben und diese auf mich wirken lassen. Im Nachgang hole ich mir dann noch zusätzliches Futter vom Katalog, der Vernissagerede, der Homepage des Künstlers oder der Institution oder von den Akteuren selbst.

Der Atmosphäre nachspüren

Jede Ausstellung hat im besten Fall eine Atmosphäre, diese spüre ich nach und nehme erst einmal nur den Raum in mir auf. Gehe einmal durch, ohne konkretes Ziel. Schon beim ersten Rundgang oder Rundblick fallen mir Arbeiten auf, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus der Menge herausstechen. Das können Bilder sein, die besonders klein oder gross sind, besonders hässlich oder schön, besonders gehängt oder gestellt. 

Diese schaue ich mir als erstes an. Dabei ist mir eine Orientierung wichtig, denn ich will schnell eine Information haben, wer der Künstler ist, wie die Arbeit heisst, welches Material ich vor mir habe und von wann sie ist. An der Stelle scheiden sich die Geister, ich weiss – jedoch bin ich ehrlicherweise ein Freund von Titeln, Arbeiten ohne Titel sind für mich meist blutleer…. 

Wenn ich dann die passenden Nummern der Arbeiten erst lange in einer Liste suchen muss, finde ich das schwierig, denn es lenkt mich vom Kunst-Nachspüren ab. Gut sind Ausdrucke mit Fotos, oder auch einheitlich angebrachte Schilder, die aber gut lesbar und vernünftig und gleichmässig angebracht sein müssen. Natürlich muss man an der Stelle unterscheiden, ob man in einem ehrenamtlich geführten Kunstverein unterwegs ist, oder einem staatlichen Kunstmuseum und die Ansprüche diesbezüglich anpassen.

Bleiben bestimmte Arbeiten im Kopf?

An dieser Stelle achte ich persönlich besonders auf die Beleuchtung und die Hängung. Ist das Bild oder die Skulptur gut ausgeleuchtet? Auf welcher Höhe hängt das Bild und wie harmonisch sind die Abstände zum nächsten Bild. Ist die gesamte Hängung stimmig und folgt einer Dramaturgie? Kommen die einzelnen Arbeiten gut heraus oder nicht? Eine gute Hängung zeigt sich durchaus darin, dass die einzelnen Kunstwerke jedes für sich gut wirken kann und nicht von den Nachbarkunstwerken erdrückt oder eingeengt werden.

Ein gutes Zeichen ist immer, wenn mir auf dem Weg zurück ein oder zwei Arbeiten im Kopf hängen bleiben. Vielleicht habe ich den Impuls zurückzugehen, um das Werk noch einmal genauer anzusehen. Achtung, dabei ist es unerheblich, ob sie mir gefallen oder nicht! Es geht einzig und allein darum, dass sie mich auf irgendeine Weise irritiert, also emotional angesprochen haben und mir so im Gedächtnis geblieben sind.

 

Jana Mantel mag Kunst auch privat. Ihr ganzer Flur ist voll mit Kunst. Bild: zVg

Fragen, die ich mir stelle

Bei diesen Arbeiten schaue ich dann auch noch einmal ganz genau hin, prüfe, wie der Rahmen gespannt oder das Bild gerahmt ist und schaue mir die Arbeitsweise an. Welches Material wurde benutzt, wie professionell wurde es benutzt, wirkt das Bild von nahem anders als von weitem? Was macht es mit mir, wenn ich es länger anschaue? Warum konkret spricht es mich an? Will ich es länger anschauen oder zieht es mich weiter? 

Interessant ist dabei ja, dass es manchmal eine klitzekleine Kleinigkeit in oder an einem Kunstwerk ist, die etwas in uns triggert, und zwar positiv wie negativ. Das kann eine Farbe sein, oder ein Motiv, eine ungewöhnliche Machart oder auch nur ein besonderes Format.

Auf dem Weg zum Ausgang versuche ich nachzufühlen, ob sich etwas in meinem Inneren zur Situation von vor zirka einer Stunde verändert hat. Im besten Fall habe ich etwas für mich mitgenommen, das kann etwas Verstörendes oder Herzerwärmendes sein – egal. Kunst spricht uns auf eine emotionale Art und Weise an, sie sollte uns berühren, etwas in uns bewegen, uns vielleicht irritieren. Wenn das passiert ist, dann ist es eine gute Ausstellung. 

Was mir hilft: Mit anderen Besucher:innen reden

Gibt es einen Katalog, oder liegt die Begrüssungsrede aus, blättere ich gern darin und gleiche es mit meinen eigenen Eindrücken ab. Sind andere Gäste im Raum, lausche ich manchmal ein wenig oder beginne ein Gespräch mit ihnen. Alle diese Eindrücke sortiere ich auf dem Heimweg und setze mich, wann immer möglich, unmittelbar nach dem Besuch an den Text, denn Kunst transportiert immer so viel mehr als nur die Bilder an der Wand, und das lohnt sich rasch festzuhalten. 

Meist habe ich den ersten Satz schon auf dem Rückweg formuliert, der Rest tippt sich gefühlt meist von allein. Dieser aus dem Bauch geschriebene Grundtext wird dann im zweiten und dritten Durchgang durch weitere Fakten ergänzt, die ich nachblättern muss oder bewusst anfrage und anfüge, weil sie mir wichtig erscheinen. 

Zum Schluss – eine Empfehlung

Am Ende sollte der Text die Leser ebenso berühren, wie die Kunst mich angesprochen hatte und im besten Fall die Leser motivieren, sich die Ausstellung anzusehen. Leider bekomme ich diesen Teil nicht mehr mit, ich wäre aber neugierig und würde mich über Rückmeldungen freuen. Denn ihr erinnert euch? Kunst ist Kommunikation 😊

Fazit, ich kann mich an keine Ausstellung erinnern, die mir nicht auf irgendeine Art und Weise einen Mehrwert für mein Leben gebracht hat. Deshalb lautet meine klare Empfehlung: Schaut euch Kunst an und sprecht darüber, denn: Art is the answer! 

 

Jana Mantel schreibt nicht nur über Ausstellungen, manchmal hält sie auch Reden bei Vernissagen. Wie hier anlässlich einer Ausstellung des Malers Erik Buchholz. Bild: zVg

 

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Autor:in tgk

Jana Mantel

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