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von Urs Oskar Keller, 31.03.2025

Messie, Milliardär und Lebemann

Messie, Milliardär und Lebemann
Bruno Stefanini am Schloss Luxburg im Jahr 1990. | © Urs Oskar Keller

Ein neuer Doku-Film über den Immobilienbesitzer und Kunstsammler Bruno Stefanini (1924-2018) kommt jetzt auch in die Thurgauer Kinos. Unser Autor erinnert sich an eine sehr private Schlössertour mit dem Milliardär durch den Thurgau. Hier besass Stefanini zwei Schlösser.  (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Mit einiger Verspätung erschien im Sommer 1990 ein Mann mit Drei-Tage-Bart und wachen Augen in einem roten Lieferwagen seines eigenen Reparaturdienstes im Sommer 1990 am Bahnhof Mannenbach-Salenstein am Untersee TG. Es war der Immobilienkaufmann, Schlossherr und Sammler Bruno Stefanini, Herr über Kunst im Wert dreistelliger Millionen-Franken-Beträge.

Wegen einer geplanten Reportage (sie erschien unter dem Titel «Stefaninis Museums-Alpträume» im September 1990 im «Tages-Anzeiger») gingen wir auf eine Thurgauer Schlösser-Tour bis nach Egnach. Erst 2016 erschien die erste Biografie über den Schweizer Baulöwen, Kunstsammler und Immobilienmagnaten («Bruno Stefanini – Ein Jäger und Sammler mit hohen Idealen»). Autor Miguel Garcia zeichnet darin ein spannendes und facettenreiches Leben des 2018 verstorbenen Winterthurer Milliardärs nach. 

Das Imperium

Zum damaligen Zeitpunkt gehör(t)en dem 1924 in Winterthur Töss geborenen Visionär, Unternehmer und Multimillionär die vier Schlösser Salenstein (TG), Egnach (TG), Grandson am Neuenburgersee (VD) und Seengen im Aargau, unzählige Häuser, eine der bedeutendsten Privatsammlung von Schweizer Kunst (Hodler, Anker, Dietrich und andere) sowie Tausende historischer Gegenstände von Napoleons Testament und Bett bis zum Reitkleid von Kaiserin Sissi.

Autor Miguel Garcia schreibt 2016: «Sein Immobilienportfolio umfasst mehrere Tausend Wohnungen und Gewerberäumlichkeiten von Chur bis Grenchen. Der Wert des gesamten Imperiums wird auf bis zu eine Milliarde Franken geschätzt.» Nach Auskunft von Stefaninis Terresta Immobilien- und Verwaltungs AG in Winterthur, umfasste das Portefeuille in Winterthur vor einigen Jahren rund 2500 Objekte, 1500 davon Wohnungen und Winterthurs Wahrzeichen: das Sulzer-Hochhaus, heute Wintower genannt. 

Nach abgebrochenen Studien in Zürich hatte Bruno Stefanini angefangen, Tausende Wohnungen mit bescheidenen Ansprüchen zu bauen. In der Hochkonjunktur hat er zwischen Chur – wo ein «Alpen-Manhattan» entstand –, Winterthur und Wettingen viele Wohn- und Hochhäuser gebaut. Sein Unternehmen (Gebäudeverwaltung, Reparaturgruppe und Architekturbüro) beschäftigt um 100 Angestellte. «Ich habe nie mit Liegenschaften gehandelt, ich bin kein Händler und verurteile Spekulationsgewinn», sagte der Stefanini in den 1990er-Jahren.

 

Bruno Stefanini auf dem Schloss Luxburg (1990). Bild: Urs Oskar Keller

Facetten, die nur wenige kannten

«In der öffentlichen Wahrnehmung galt er stets als der Millionär, der zu geizig war, um in den Unterhalt seiner Liegenschaften zu investieren», schreibt sein Biograf und Historiker Miguel Garcia aus Winterthur. Ein «verschrobener Kunstliebhaber», der ebenso auf Auktionen anzutreffen war wie auch als Schnäppchenjäger auf Flohmärkten.

So kaufte er auch bei mir gerne gebrauchte Bücher am liebsten zum Kilopreis und zeigte mir bei dieser Gelegenheit auch neue Bilder des bedeutenden Schweizer Malers Adolf Dietrich aus Berlingen, die er in einem gebrauchten Coop-Plastiktasche an den Winterthurer Flohmarktstand mitbrachte. 

Doch hatte Bruno Stefanini auch andere Facetten, die nur wenige kannten: Er war ein «Lebemann», der gerne feierte; ein pionierhafter Unternehmer, der mit einem guten geschäftlichen Riecher den Bauboom vorantrieb; ein Patriot, der bedeutendes Kulturgut retten wollte; ein humorvoller und charismatischer Patron, der die Menschen in seinen Bann zog.»

Video: Trailer zum neuen Film über Bruno Stefanini

«Cervelat, Brot und Bier»

Äusserlich wirkte er scheu, ungepflegt, kaum jemand nahm Notiz von ihm. Stefanini gilt als Phantom. Wenn es jedoch um das Geschäftliche oder das Sammeln von Kunst ging, war er zäh bis rücksichtslos. Seine Sekretärin und Vertrauensperson Dora Bösiger schirmte ihren autoritären Chef und Patron alter Schule vor neugierigen Journalisten und Behörden über Dekaden mit freundlicher Bestimmtheit ab. Auch für sie galt die Sieben-Tage-Woche und «Abend- oder Nachtsitzungen» zur Regel, erzählte Stefanini auf unserer Thurgau-Reise. Für seine jüngere Frau und die drei Kinder war das kein Honiglecken. Die Ehe zerbrach.

Der frühere Hauptmann und Haudegen hatte mit «Nachtübungen» Erfahrung. Stefanini, der mit dem früheren Winterthurer Stadtrat und Brigadier Peter Arbenz freundschaftlich und geschäftlich verbunden ist, besass durch seine patriotische Gesinnung eine starke Affinität zum Militär. In seinem Dienstbüchlein sind rund 1500 Diensttage vermerkt und General Henri Guisan – von dem er unter anderem einen Mantel und Hut teuer ersteigerte – gehörte zu seinen Idolen. 

Obschon der «Lebemann» und Secondo mit italienischen Wurzeln allem Schönen zugetan war, auch mal im feinen Schloss Wülflingen oder im exklusiven «Club zur Geduld» in Winterthur verkehrte, mochte der spartanisch-geizige Bauunternehmer und Draufgänger vor allem «Cervelat, Brot und Bier.»

 

Der Winterthurer Kunstsammler und Immobilienkaufmann Bruno Stefanini, im September 1990 vor einer Skulptur des Zürcher Künstlers Hans Jörg Limbach im Park der Luxburg in Egnach. Bild: Urs Oskar Keller

Bei Trinkgelage in den Bodensee gefallen

Stefanini besass früher auch einen silbernen 356er-Porsche Cabriolet mit dem er nicht nur durch die Winterthurer Altstadt fuhr. «Legendär waren vor allem die Feste auf Stefaninis Boot, einem ausgemusterten Hamburger Lotsenschiff, das er auf der Reichenau am Bodensee stationiert hatte.» 

Bei einem Trinkgelage auf dem Boot sei er einmal vom Schiff gefallen, erinnert sich eine Bekannte. «Als er wieder auftauchte, hatte er immer noch die Zigarette im Mund. Er stand triefend auf dem Deck, streckte die Arme von sich und liess sich von seiner Sekretärin neue Kleider bringen», berichtet Garcia in seiner erwähnten Biografie.

«Ich sehe keinen Reiz darin, alles meinen zwei Kindern zu vererben»

In den 1970er-Jahren begann Stefanini, im grossen Stil Kunst zu sammeln. Mit seiner Sekretärin und Vertrauten Dora Bösiger und dem Anwalt Dr. Hanspeter Katz gründete Stefanini in Küsnacht ZH eine gemeinnützige Stiftung. Mit der Gründung der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte wollte er 1980 seinem Leben «einen neuen Sinn» geben und «etwas zurückgeben», was ihm in der Hochkonjunktur in reichem Masse zugeflossen war. «Ich sehe keinen Reiz darin, alles meinen zwei Kindern zu vererben», erzählte er dem Schreibenden auf unserer Thurgauer Schlosstour 1990.

Dass der Triebsammler überhaupt seine Kunst an die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) abtrat, hat leicht erklärbare, nicht nur uneigennützige Gründe. Erstens trennte er sich nicht wirklich von seinen Schätzen, denn als Stiftungspräsidenten (bis 2014) musste er sich auch von einem dreiköpfigen Stiftungsrat, den er wohl selbst bestimmte, nicht allzu viel dreinreden lassen. Zweitens hält der Patriarch die Sammlung auch über seinen Tod hinaus zusammen – und Gutes tun, Steuern sparen, selbst weitersammeln und, ganz Patriot, «vor Ausländern» schützen, wie er einst sagte. Dies betraf auch seine Ostschweizer Latifundien.

Stefanini geriet vor allem seit 2014 wegen des Streits um seine SKKG-Stiftung in die nationalen Schlagzeilen. Der Name Bruno Stefanini kursierte durch fast alle der Schweiz, zuerst wegen der hochgelobten Ausstellung «Sesam, öffne dich» im Kunstmuseum Bern und in der Fondation Pierre Gianadda in Martigny, danach mit dem in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streit zwischen dem Stiftungsrat und den Kindern Stefaninis um die Zukunft der SKKG.

 

Unser Autor Urs Oskar Keller war 1990 mit Bruno Stefanini auf Schlösser-Tour durch den Thurgau. Bild: Urs Oskar Keller

«Sie hätten's wohl lieber ruhiger gehabt»

In einem Brief aus dem Jahre 1989 von Bruno Stefanini an seinen inzwischen auch verstorbenen Geschäftspartner und Freund Hans Robert Jenny aus Zollikon und Zürich steht: «Du bist wohl einer der wenigen, der ein wenig durch meine ‹Schale› durchsah. Es ist ja nicht so einfach, bei einem ‹Mistkerl› wie ich bin. Ich passe nicht ganz in die üblichen Schubladen […]. Wahrscheinlich habe ich meine ‹Löwenpfoten, -pranke und Schweif› abwechselnd in der ganzen ‹Schubladenorgie› des Lebens, mal als ‹Condottiere›, als ‹Barockfürst›, als ‹Mäzen›, als ‹Grabensau›, Bacchant, grosser Raucher, Abstinent etc, etc. Nun, langweilig wurde es mir nie dabei, in den 65 Jahren – und meinen Weggefährtinnen und -gefährten wohl auch nicht, sie hätten's wohl lieber ruhiger gehabt.»

Aus dem Dornröschenschlaf erwacht…

Seit 1980 war das Schloss Luxburg in Egnach TG im Besitz der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte mit Sitz in Küsnacht ZH. Die Stiftung verkaufte nach Stefaninis Tod die historische Immobilie 2022 für rund 1,5 Millionen Franken an die Schloss Luxburg AG in Egnach. «Für die Sanierung und die Öffnung der Luxburg sind insgesamt 7,7 Millionen Schweizer Franken veranschlagt. Der Ausbau wird je nach finanziellen Möglichkeiten in einzelne Etappen und Bauphasen eingeteilt und vorangetrieben», schreiben die Besitzer und Betreiber. 

Das im 11. Jahrhundert erbaute Schloss Salenstein auf einem Felsen über dem Untersee gehörte seit den 1950er-Jahren dem englischen Industriellen Dr. Norman Frederick Budgen: er hatte es damals für 190'000 Franken erworben. Das Schloss Salenstein gab der Gemeinde am Untersee den Namen und das Wappen. Als Budgen 1981 das Schloss verkaufte und auf die Bahamas zog, kam die Stunde von Bruno Stefanini. 

Rund 2,9 Millionen Franken bezahlte Stefanini damals nach eigenen Angaben für Schloss Salenstein (rund 11'000 m² Fläche) und weitere acht Parzellen (total 28'000 m²). Zur Schlossparzelle gehören noch ein Gartenhaus, ein kleines Hallenbad und eine Kapelle. Es wurde 2024 verkauft. Neuer Eigentümer ist der Immobilienunternehmer Timo Hafner gemeinsam mit der von ihm gegründeten Firma Leonis Immobilien AG. Er will das Schloss laut eigenen Angaben umfangreich sanieren. Der Verkaufspreis ist nicht bekannt.

 

Bruno Stefanini vor seinem Haus in Winterthur (1991). Bild: Urs Oskar Keller

«Museen einrichten und der Öffentlichkeit zugänglich machen»

Was seine Stiftung im Thurgau wollte, war bis zur Jahrtausendwende immer klar: «In Salenstein und in Egnach Museen einrichten und der Öffentlichkeit zugänglich machen», sagte Bruno Stefanini lange. Dass sich später Bruno Stefanini beziehungsweise die Stiftung von seinen beiden Thurgauer Schlössern trennen möchten, erzählte er dem Schreibenden im Gespräch mehrfach. 

Der Grund: Stefanini musste früh erfahren, dass er in den beiden Orten nicht willkommen war. Hätte er früher gewusst, dass sich gegen sein Projekt soviel Widerstand ergeben würde, hätte er das Schloss Salenstein nie gekauft, sinnierte Stefanini. Er wollte beide Thurgauer Schlösser mit seiner Sammlung zu neuem Leben erwecken. Die Querelen um die Realisierung im Kanton Thurgau sind nicht spurlos am rastlosen Macher und Kämpfer vorübergegangen. Seine thurgauischen Museumsträume schienen immer mehr zu Albträumen zu werden. So kam die Einsicht, seine Kunstschätze lieber Andernorts auszustellen. 

Miguel Garcias Stefanini-Biografie liest sich wie ein Abenteuerroman. «Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nicht ist phantastischer als die Sachlichkeit. Und nichts sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt», schrieb der «rasende Reporter» Egon Erwin Kisch. 

Podcast: Bruno Stefanini: Ein Sammler verliert die Kontrolle (SRF)

Thema wird breitere Aufmerksamkeit finden

Der neue Dokumentarfilm «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini» wurde an den diesjährigen Solothurner Filmtagen erstmals gezeigt und gelobt. Vom Immigrantensohn zum milliardenschweren Bauunternehmer: Bruno Stefanini hat eine verrückte Biografie hingelegt. Humorvoll erzählt der Film vom Konflikt Stefaninis mit Armeeabschaffern und Hausbesetzerinnen sowie von seiner Sammlungswut, die von Panzern über Kunstwerke bis zu den Unterhosen von Kaiserin Sissi reichte, die Schlösser und Atombunker umfasste.

Dieses ganze Gut versank bei seinem Ableben in einem grossen, schimmelnden Durcheinander. Der Film sei unterhaltsam und filmisch gut umgesetzt. Nun läuft der Film auch in Romanshorn (Kino ROXY) und Frauenfeld (Luna) und das Thema wird dadurch breitere Aufmerksamkeit finden.

Film: «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini» von Thomas Haemmerli hatte Premiere als Eröffnungsfilm der Filmtage Solothurn am 22.1.2025 und ist seit 20. März in den Schweizer Kinos. Im Romanshorner Roxy wird der Film am 5. (20:15 Uhr) und 10. April (19:30 Uhr) gezeigt. Im Frauenfelder Cinema Luna am Sonntag, 6. April, 11 Uhr. Dokumentarfilm. Deutsch. Mundart. 85 Minuten. Xenix Filmdistribution GmbH, Zürich.

 

Der Zürcher Filmer und Publizist Thomas Haemmerli realisierte den neuen Dokumentarfilm «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini», 2025. Bild: Urs Oskar Keller

 

 

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