von Judith Schuck, 03.03.2025
Wie macht man Kino für Kinder?
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Auf der Suche nach dem Publikum von morgen: Das bieten Thurgauer Kinos Kindern und Familien. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)
Wer in einer Zeit aufwächst, in der auf Handys, Tablets oder sonstigen Screens zu jeder Zeit Videos abrufbar sind, scheint nicht unbedingt angewiesen zu sein auf das Angebot der Lichtspielhäuser. Dennoch bleibt der Kinobesuch ein besonderes Erlebnis.
Nicht nur wegen des Popcorndufts, der grossen Leinwand und den samtigen Sesseln, sondern auch wegen der Gemeinschaft, die wir im Kinosaal erleben. Wir sitzen nicht alleine oder mit Freund:innen vor dem Bildschirm, sondern teilen das Gesehene und die hervorgerufenen Emotionen mit den anderen im Saal. Wer dieses Erlebnis nicht kennt, wird es vielleicht nicht vermissen.
Für die Kinos kann das zu einem Problem werden. Statistisch deutet es sich bereits jetzt an. Nach Zahlen des Bundesamt für Statistik besuchten 2024 mehr als 10,2 Millionen ein Kino in der Schweiz. Das sind zwei Prozent weniger als im Jahr 2023, als sich das Kino von der Pandemie noch leicht zu erholen schien. Damit lagen die Anzahl Kinoeintritte 18 Prozent unter dem Niveau von vor der Pandemie.
Die Statistik sieht gerade nicht gut aus
Die aktuellsten Zahlen aus dem Thurgau zur Kinostatistik stammen aus dem Jahr 2023. Die Bilanz damals lautete: „Drei Jahre nach Ausbruch der Pandemie haben sich die Besucherzahlen wieder erholt, sind aber nach wie vor tiefer als in den Jahren vor der Pandemie. Insgesamt verzeichneten die Thurgauer Kinos und Open-Air-Kinos 2023 rund 105'000 Eintritte (2019: 126'100 Eintritte). Das entspricht einer minimalen Erhöhung der Besucherzahlen gegenüber dem Vorjahr (+2 Prozent)“, heisst es auf der Internetseite des kantonalen Amt für Daten und Statistik.
Was also jetzt damit tun? Wie könnte man mehr Publikum in die Kinosäle locken? Ein Weg: Junge Zuschauer:innen möglichst früh an das Medium Film heranzuführen. Nachgefragt bei den Kinobetreiber:innen im Thurgau, stellt sich heraus, dass der Kinonachwuchs allen am Herzen liegt. Ob filmpädagogisch begleitet durch Kinoclubs oder Mainstream-Streifen – die meisten Häuser bieten etwas für die junge Generation.
„Kinderkino ist kein Selbstläufer.“
Constans Schmölder, Liberty Cinema Weinfelden
Im regulären Programm des Liberty Cinema Weinfelden laufen stets drei bis vier Familienfilme. Das sind Filme, die Hollywood oder der europäische Verleih herausgibt. Bis vor einigen Jahren hatten Constans Schmölder und sein Team noch die „Zauberlaterne“ im Programm. Die Zauberlaterne ist ein Kinoclub für ein Publikum zwischen 6 und 12 Jahren.
Die Durchführung wurde für das Weinfelder Kino irgendwann zu aufwendig wegen der Vorgaben der Dachorganisation. Eigentlich findet der Kinobetreiber Constans Schmölder solche Kinoclubs eine tolle Sache. „Bisher haben wir aber noch keine Nachfolgeprodukt“, was auch mit Corona zu tun habe.
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Licht an, Werbung leise: Ein Zwergenkino für die ersten Kinoerfahrungen
Es gebe schon verschiedene Ideen, die allerdings noch nicht umgesetzt werden konnten. Für die ganz Kleinen gibt es aber seit anderthalb Jahren das Zwergenkino in Weinfelden. Es richtet sich an Kinder, die zum ersten oder zweiten Mal das Kino besuchen. Dafür hat das Liberty Cinema Samstag- und Sonntagnachmittag einen Film im Programm, der nicht mehr als eine Stunde Laufzeit hat und ausserdem ist die Werbung leiser gestellt. Das Licht im Saal bleibt während der Vorführung an, „damit sich die Kinder wohlfühlen und keine Angst bekommen“, erklärt Constans Schmölder.
Beim Zwergenkino wird es oft mit dem Verleih schwierig: „Wir brauchen eine Altersfreigabe von null Jahren und die Filme dürfen nicht zu lang sein. Dafür gibt es oft keinen Schweizer Verleih“, sagt Constans Schmölder. „Selbst bei älteren Filmen bekommen wir die Rechte häufig nicht.“ Heute sind selbst Kinderfilme meist schnell geschnitten. Sie eignen sich dann nicht für die Kleinen.
Die positiven Aspekte von Filmclubs sieht Schmölder neben der Kundenbindung in der Begeisterung der Kinder, von dem, was sie auf der Leinwand sehen. „Kinderkino ist kein Selbstläufer“, sagt der Kinoleiter. Es müsse einiges beachtet werden. Und die Zielgruppe entsprechend zu informieren sei gar nicht so einfach.
Roxy Romanshorn: Eine breite Mischung soll alle ansprechen
Im Roxy Kino Romanshorn gibt es für Kinder- und Jugendliche drei Bereiche, mit denen der Anspruch erfüllt werden soll, eine gute Mischung und ein Angebot für alle anzubieten. Nachdem sich die Zauberlaterne in Weinfelden aufgelöst hat, übernahm das Roxy Kino Romanshorn das Konzept vor einigen Jahren mit neuen Mitgliedern.
Der schweizerische Dachverband Die Zauberlaterne mit Sitz in Neuchâtel funktioniert als die Dachorganisation für alle Zauberlaterne Klubs schweizweit. Die Klubmitgliedschaft beinhaltet neun Kinobesuche pro Jahr für 30 Franken. „Die Eintritte werden locker gehandhabt“, sagt Andrea Röst, Kinoleiterin im Roxy. Natürlich gebe es keine Anwesenheitspflicht und es kann auch mal ein Gspänli mitgebracht werden.
Mit dem Konzept sollen die Kinder lernen, „ihre grossen Kinogefühle“ mit ihren Freund:innen zu teilen und gemeinsam einen kritischen Sinn zu entwickeln, heisst es auf der Seite des Dachverbands. Die Filmvorstellungen der Zauberlaterne werden ohne Eltern besucht, es gibt aber Helfer:innen vor Ort, die im Saal als Bezugsperson fungieren.
„Die Zauberlaterne finde ich sehr wertvoll. Es ist eine lustvolle Art, die Kinder ans Kino heranzuführen.“
Andrea Röst, Roxy Romanshorn
Zum einen wird bei der Zauberlaterne die Entstehungsgeschichte des Films thematisiert, vom Stummfilm über Tonfilm bis zu heutigen Technologien. Zum anderen werden die Kinder auf die Filme pädagogisch vorbereitet mit Hilfe von Broschüren, aber auch durch Schauspieler:innen, die Beispiele aus dem anschliessenden Film szenisch vermitteln. Beim Film „Heidi“ erhielten die Kinder beispielsweise einen Einblick ins Tonstudio und lernten, wie die Geräusche im Film entstehen.
„Die Zauberlaterne finde ich sehr wertvoll. Es ist eine lustvolle Art, die Kinder ans Kino heranzuführen“, sagt Andrea Röst. Es gebe allerdings noch Platz für mehr Besucher:innen, die am Angebot teilhaben können.
Was passiert, wenn es dunkel wird?
Desweiteren hat das Roxy Die kleine Laterne im Angebot. Sie richtet sich an die Kinobesucher:innen von vier bis sechs Jahren. „Hier werden die Kinder bei ihren ersten Kinoerlebnissen begleitet“, erklärt Andrea Röst. Die Frage „Was passiert, wenn es dunkel wird?“ wird geklärt und nach dieser spielerischen Einführung in die cineastische Welt folgt ein Tierfilm. „Die kleine Laterne bietet eine breite Informations- und Wissensvermittlung“, sagt Röst, die mit zwei Einheiten auf eine Stunde verteilt die Aufmerksamkeitsspanne nicht überstrapazieren soll.
Vom Schweizer Filmverleih Outside the Box hat das Roxy ausserdem noch für die ganz Jungen ab drei Jahren vier Filme pro Halbjahr im Programm. „Das sind feine, sensible Geschichten wie 'Der Grüffelo', die nicht länger als eine Stunde dauern“, sagt die Kinobetreiberin aus Romanshorn.
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Eine Idee: Kinder machen selber Kino
Als dritter Baustein laufen reguläre Kinderfilme aus dem Angebot der Verleihe. Darunter sind auch mal Mainstream-Streifen, hinter denen Andrea Röst selbst nicht vollumfänglich steht, die die Kinder aber sehen wollen. Ihr Kino möchte eine gute Mischung zeigen, bei der für alle etwas dabei ist.
Im Rahmen des Ferienpass können die Kinder bei Roxy Junior ausserdem praktische Kenntnisse aus der Welt des Kinobetriebs sammeln. Bei „Kinder machen Kino“ steht der Nachwuchs hinter der Theke und macht Popcorn und verkauft Getränke oder Glacé. Selbst bei der Filmauswahl dürfen die Teilnehmer:innen mitbestimmen.
Filme von Kindern ausgewählt für Kinder
Die Idee, des Selbermachens steht ebenfalls hinter der Idee von Lomos Kinderkino, das einmal im Monat im Kreuzlinger Kult-X stattfindet. Organisiert wird die Nachmittagsvorstellung jeden letzten Mittwoch des Monats vom Verein Kultur worX von Stephan Militz. Seine Tochter Momo sucht gemeinsam mit – Lotta – der Tochter seiner Partnerin, jeweils den Film aus (Lotta + Momo = Lomo).
Das Programm richtet sich an ein Publikum zwischen 8 und 12 Jahren. „Wir wollten damit ein grösseres Kinoangebot für alle Altersklassen im Kult-X schaffen“, sagt Stephan Militz. Die Kinder machen alles selbst, Bar und Filmauswahl, nur die Technik übernimmt er. Dadurch solle ihnen schon früh die Möglichkeit für Eigenengagement gegeben werden. Hier läuft alles, was den Kinder gefällt.
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Ebenfalls im Kult-X zeigt der Kinoverein Filmforum Konstanz und Kreuzlingen (KUK) seit 2024 am ersten Sonntagnachmittag im Monat einen Familienfilm. „Ausgesuchte, pädagogisch wertvolle Familien- und Kinderfilme können das Interesse an gesellschaftlichen und globalen Themen wie Vielfalt, Umweltschutz oder Toleranz wecken“, erklärt Stefan Döhla dazu. Über die Identifikation mit Filmfiguren würden Werte wie Empathie, Respekt und Verantwortungsgefühl vermittelt.
Filmkenntnis soll Medienkompetenz fördern
„Im Gegensatz zu den meisten von Kindern heute genutzten Medien, bei denen Inhalte mit einem ,Wischʾ schnell gewechselt werden können, erfordert ein Kinofilm eine gewisse Konzentration und das Einlassen auf eine längere Handlung.“ Die bewusste Auseinandersetzung mit Inhalt und Form des Films fördere zudem die Medienkompetenz und das kritische Denken, so Döhla, der sich gemeinsam mit seinem ehrenamtlich arbeitenden Team viele Gedanken bei der Filmauswahl macht.
Die Filme sollten aber vor allem auch Freude machen und Kinder lachen lassen. Das gemeinsame Schauen und Mitfiebern im Kinosaal auf grosser Leinwand soll zu einem Gemeinschaftserlebnis für die Kinder unter sich – und zusammen mit ihren Familien werden.
Das Filmforum KuK kooperiert bei einigen ausgewählten Filmen im Jahr mit der ebenfalls im Kult-X ansässigen Ludothek, die vor dem Film ein abgestimmtes Spiel-, Bastel- oder Malprogramm zum Thema des Filmes anbietet. Damit werde der Film von der Eigenkreativität der Kinder eingerahmt.
In der Kantonshauptstadt Frauenfeld gibt es gleich zwei Kinos. Das Schlosskino zeigt immer am Samstag-, Sonntag- und Mittwochnachmittag Filme für die ganze Familie. Das sind aktuell Paddington in Peru, Die drei ??? und der Karpatenhund und der deutsch-österreichische Spielfilm Ein Mädchen Namens Willow. Während der Schulferien werden die Familienfilme meist täglich gezeigt. Von September bis Juni ist ausserdem neunmal die Zauberlaterne im Schlosskino zu Gast.
Filme mit Qualitätsanspruch
Das andere Frauenfelder Kino ist das Cinema Luna am Lindenpark. Das Kino verfolgt in erster Linie einen nicht kommerziellen Betrieb und „konzentriert sich auf kleine, wertvolle Filme aus aller Welt“, wie im Porträt zu lesen ist. „Im Sinne der Kultur- und Kunstvermittlung einerseits und andererseits für unsere eigene Zukunft sind uns Kinder und Jugendliche als Kinokunden wichtig“, schreibt Christof Stillhard, Programmverantwortlicher im Cinema Luna.
Kinder sollen das Medium Film kennenlernen. „Das funktioniert im Kino mit Gleichaltrigen und erwachsenen Begleitpersonen wahrscheinlich besser als allein zu Hause vor dem TV. Dabei hilft es auch, wenn Filme mit einem gewissen Qualitätsanspruch ausgewählt werden“, ist er überzeugt.
„Für uns ist es wichtig, dass junge Menschen früh erkennen, dass es neben Computer, Streamingdiensten und TV noch eine andere, wahrscheinlich sozialere Art gibt, spannende Geschichten zu konsumieren.“
Christof Stillhard, Cinema Luna
Im Winterhalbjahr von Anfang September bis Ende April hat das Cinema Luna jeweils am Mittwochnachmittag und am Sonntagmorgen einen Film für Kinder und Jugendliche im Programm. Manche Filme richten sich an die ganz Kleinen ab drei Jahren, andere an die eher grösseren ab zehn Jahren.
Auch am Ferienpass beteiligt sich das Kino. Daheimgebliebenen Kinder können hierbei das Kino besichtigen, etwas über die Projektoren erfahren und einen altersgerechten Film schauen.
Wie die anderen Kinobetreiber:innen meldet auch Christof Stillhard zurück, dass das Kids-Kino-Programm „eher mittelmässig besucht“ wird. „Wie auch bei den Erwachsenen laufen die grossen Blockbuster aus den USA mit 200 Millionen Werbebudget besser als kleinere Produktionen.“ Um so wichtiger ist das Engagement der Cineast:innen zu werten, die sich für die Kinoleidenschaft beim Nachwuchs einzusetzen.
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Von Judith Schuck
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