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von Jana Mantel, 16.10.2025

Vom Kunstraum zum Lebensraum

Vom Kunstraum zum Lebensraum
Reto MĂŒller, Kurator des Kunstraum Kreuzlingen. | © jana Mantel

Der Kreuzlinger Kunstraum widmet sich seit Monaten der experimentellen Verschmelzung von Kunst und Garten. Neue Formate sollten Gedanken wachsen lassen. Welche Saat ist davon aufgegangen? Eine RĂŒckschau. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Der Garten als Kunstform – das mag nicht jeden Menschen sofort ĂŒberzeugen und wirft Fragen auf: Kunst im Garten oder Garten in der Kunst? Keines von beidem oder gar beides?

Nun, das «Gartenjahr», ein prozesshaftes Ausstellungsprojekt im Kunstraum Kreuzlingen, bei dem die FederfĂŒhrung bei Reto MĂŒller, kĂŒnstlerischer Leiter des Kunstraums Kreuzlingen, liegt, ist irgendwie alles und zugleich keines von beidem. Das macht zumindest einmal neugierig und holt mit grosser Sicherheit interessierte Menschen ab, die möglicherweise nicht die klassischen Kunstbesucher sind.

Auf der anderen Seite jedoch verlangt das Projekt mit den vielen Unterprojekten ein wenig Bereitschaft zur Denkarbeit. Die zugegebenermassen gute Idee, nĂ€mlich das Thema Mensch und Natur ĂŒber ein ganzes Gartenjahr zu beackern, erschliesst sich aufgrund der VielfĂ€ltigkeit nicht sofort.

Und worum geht es ĂŒberhaupt?

Reto MĂŒller umschreibt es so: «Wir haben das Gartenjahr von FrĂŒhjahr bis Herbst als Rahmen aufgegriffen. Innerhalb eines ganzen Ausstellungsjahres im Kunstraum Kreuzlingen wurden und werden noch prozesshaft unterschiedliche Projekte rund um das Thema Garten–Kunst–Mensch entwickelt, weiterentwickelt und greifen ineinander.»

InterdisziplinĂ€r lautet dabei ein Schlagwort, ebenso geht es um die aktive Beteiligung verschiedener Kulturschaffender. Ein Aufruf zu Beginn des Jahres lud interessierte Menschen ein, sich einzubringen. Manch einer erzĂ€hlte im Rahmen des «Festivals der VorgĂ€rten», einem parallel laufenden Projekt und zugleich Teil des Gartenjahrs, in und von seinem Garten vor rund 20 bis 30 Zuhörerinnen und Zuhörern. Verantwortlich dafĂŒr waren San Keller und Anna von Siebenthal; Orte waren unter anderem GĂ€rten in Arbon und Weinfelden. Reto MĂŒller kommentiert: «Wir vom Kunstraum Kreuzlingen haben gewissermassen ein Beet vorbereitet, auf dem Ideen wachsen und gedeihen konnten.»

 

Blüten und Samen aus Waldgartenprojekten in Rio von Joana Amora. Bild: Jana Mantel

Kunst als Plattform, um ins GesprÀch zu kommen

So erschliesst sich nach und nach die Idee, das Thema Garten als roten und zugleich kunstvollen Faden zu nutzen. Ideen sprossen und erblĂŒhten nach und nach wie Blumen, brachten Menschen zusammen und miteinander ins GesprĂ€ch. Apropos Blumen: Ergebnisse dieser unterschiedlichen frĂŒhjĂ€hrlichen Kunstaktionen sind noch bis zum 8. November im Kunstraum Kreuzlingen zu sehen.

Darunter: Tulpenbilder von Ursula Homberger, Teile des Projekts «Schwamm drĂŒber», eine Kunstaktion von Barbara Marie Hofmann gemeinsam mit der Werbeagentur Böe, oder BlĂŒten und Samen aus Rio, prĂ€sentiert von Joana Amora. Kleine BĂŒchlein mit Texten und Fotos erzĂ€hlen von den stattgefundenen Gartenexkursionen und einem Gartenforum aus dem FrĂŒhjahr dieses Jahres.

Das KĂŒnstlerpaar Idle Hands zu Gast

Dominiert wird der Hauptausstellungsraum im Kunstraum Kreuzlingen jedoch von einer riesigen Installation aus Windschutzscheiben und BaugerĂŒsten vom KĂŒnstlerpaar Idle Hands. Rund 20 mehr oder weniger beschĂ€digte Windschutzscheiben liegen nutzlos und wertlos auf zwei BaugerĂŒsten. Waren sie, eingebaut im Auto, als Schutz des Menschen vor der Umwelt nĂŒtzlich und aktiv, sind sie nun fertig mit ihrem Leben – kaputt und unnĂŒtz. Ruhiggestellt ist auch der darauf platzierte Kirschlorbeer, in Vasen, die mit Erdöl gefĂŒllt sind. Beides irritierend und zugleich Basis fĂŒr Diskussionen. Wer oder was schĂŒtzt eigentlich wen vor was oder wem?

Auf die Frage, ob so ein prozesshaftes Ausstellungsprojekt mit gewollt offenem Ende und mit so vielen unterschiedlichen Beteiligten gut steuerbar sei, schmunzelt Reto MĂŒller. Höflich antwortet er: «Jeder hat beim Thema Garten sofort ein Bild vor Augen, eine genaue Vorstellung davon. Das bedeutet, dass jeder seine eigenen Ideen dazu in den Ausstellungsprozess mit einbringt. Im Nachhinein weiss man dann, welche der SĂ€ulen gut funktioniert haben und welche nicht.»

 

Kirschlorbeer wurd in Erdöl ruhiggestellt und ist so unnütz wie die kaputten Windschutzscheiben, auf denen er steht. Bild: Jana Mantel

Prozesshafte Formate sind nicht immer die einfachsten

Zusammengefasst sind viele Begegnungen entstanden und noch viel mehr Kommunikation. Man könnte also sagen: Kunst trifft auf das echte Leben – das schliesslich auch ein intensiver Entwicklungsprozess mit offenem Ende ist. Das Gartenjahr erreichte sicherlich so einige Besucherinnen und Besucher, die den Kunstraum in erster Linie als Lebensraum begriffen haben und erst in zweiter Linie als Kunstort. Eine Vorstellung, die Reto MĂŒller begrĂŒsst.

Mensch, Natur und Kultur – noch bis November werden diese Themen in Foren, Workshops und anderen Formaten aufgegriffen.

Beim Foto-Hackathon kommen Ausstellung und Workshop zusammen

Dazu gehört auch ein «Foto-Hackathon», der am 19. Oktober ab 13 Uhr im Kult-X und im Kunstraum Kreuzlingen unter der Regie von Katia Voropai stattfindet. Die Teilnahme ist kostenlos. Eine Anmeldung ist noch unter kunstraum-kreuzlingen.ch möglich. Angesprochen zum Hackathon sind alle Menschen, die Interesse an Fotografie haben und sich gern mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Das Wort «Hackathon» ist eine Schöpfung aus den Wörtern «Hack» und «Marathon» und eine Arbeitsweise, die man aus der Soft- und Hardwareentwicklung kennt.

Diese Herangehensweise wird sich Katia Voropai fĂŒr den Workshop ausleihen – mit dem Ziel, eine gemeinsame Fotoausstellung zum Thema GesellschaftsverĂ€nderung zu entwickeln. Diese soll am Vorabend der Kunstnacht öffentlich prĂ€sentiert werden. Die Kuratorin und Journalistin Katia Voropai ist im Kunstraum keine Unbekannte. Die Ukrainerin hatte bereits 2022 eine bemerkenswerte Foto-Ausstellung zeitgenössischer ukrainischer KĂŒnstler:innen gezeigt.

 

Ulrike Homberger hat Tulpenbilder beigesteuert und erzählte im Gartenforum über das Bodanquartier. Bild: Jana Mantel

DoppeljubilÀum steht 2026 an

Die letzte Aktion trĂ€gt den passenden Titel «Gartenforum RĂŒckschnitt» und findet am 8. November statt. Ähnlich dem nĂ€hrhaften Aufschichten von Laub werden dort alle bisherigen BeitrĂ€ge angesammelt und verdichtet. Start ist um 17 Uhr, der Eintritt ist frei.

Offen bleibt am Ende des Kunst-Gartenjahres im Kunstraum Kreuzlingen, wie prozesshaft das kommende JubilĂ€umsjahr angegangen wird.  40 Jahre Kunstraum Kreuzlingen stehen an – vielleicht wieder als klassische Foto-Kunstausstellung? Wer weiss. Reto MĂŒller lĂ€chelt dazu.

 

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