von Maria Schorpp, 17.07.2019
Lobbyisten in Sachen Kultur
Die neue Interessengemeinschaft Kultur Ost möchte, dass Kultur ebenso zur Staatsaufgabe wird wie Bildung. Der Verein versteht sich als Vernetzungsplattform und Interessensvertretung der Kulturschaffenden in der Ostschweiz.
Es geht nicht ums Geld allein. Aber dass Leipzig den Kulturetat für die freie Szene um 60 Prozent erhöht hat, ist für Ann Katrin Cooper schon eine erstaunliche Sache. Zu verdanken ist dieser Erfolg nicht zuletzt der Initiative „Leipzig plus Kultur“, einer Szenenvertretung, die die Stadt überzeugen konnte, dass Leipzigs hippes Image auch auf das Konto seiner freien Kulturszene geht. In absoluten Zahlen klingt es fast noch erstaunlicher: 2019 stehen in Leipzig für die freie Szene 7,6 Millionen Euro bereit, 2020 sollen es gar 9,6 Millionen Euro werden. Wie der Leipziger Initiative ist es auch der neu gegründeten IG Kultur Ost um mehr als „nur“ um mehr Geld zu tun. Ob subventionierte Kultureinrichtungen oder freischaffende Künstlerin – der Kultur soll in der Ostschweiz zu einer umfassenden und nachhaltigen Stellung im öffentlichen Leben verholfen werden. Ziel ist, dass Kultur in der Öffentlichkeit als selbstverständliche Staatsaufgabe wahrgenommen wird – wie Bildung oder Gesundheit. So hiess es bei der Gründungsversammlung am vergangenen 6. April in St. Gallen.
Ann Katrin Cooper ist Gründungspräsidentin der Interessengemeinschaft Kultur für die Ostschweiz, die mit einem insgesamt neunköpfigen Gründungsvorstand nun ein Jahr Zeit hat, um ein Konzept für den Verein zu entwickeln. Das soll im Dialog mit den rund hundert Personen geschehen, die am 6. April im Kulturkonsulat zusammengekommen sind und sich gleich als Gründungsmitglieder eingetragen haben. Darunter Abgesandte von Musikvereinen, Theatern und Verbänden, freie Kulturschaffende, Kulturvermittelnde und überhaupt Menschen, die sich für Kultur interessieren. „Wir wollen eine möglichst breite Basis“, sagt die Kulturwissenschaftlerin, die lange Jahre im Theater St. Gallen für Kommunikation und Fundraising zuständig war. 2014 hat sie sich selbstständig gemacht und arbeitet seither als freie Regisseurin, Produzentin und Kulturvermittlerin. Ann Katrin Cooper kennt die Situation Kulturschaffender aus vielen Perspektiven.
„Die Vielfalt und das Miteinander sind entscheidend.“
Ann Katrin Cooper, Gründungspräsidentin IG Kultur Ost (Bild: Pierre Lippuner)
Vor allem kennt sie die „Grabenkriege“, wie sie es nennt, innerhalb der Kulturszene und insbesondere zwischen freischaffender Kultur und öffentlichen Kultureinrichtungen. In der IG Kultur Ost soll letzteres keinen Unterschied machen: „Die Vielfalt und das Miteinander sind entscheidend.“ Sie verweist auf das Projekt „Jakob“ („Ja zur Kultur in der Ostschweiz, bitte!“), eine Kampagne der freien Szene, die sich vor einem Jahr erfolgreich für die Sanierung des Theaters St. Gallen einsetzte. Stimmen aus dem Lager derjenige, die von solchen Millionensummen nur träumen können und meinen, Einrichtungen in solcher Grössenordnung hätten ohnehin genug Geld, kontert die Gründungspräsidentin: „Zu denken, wenn die das nicht kriegen, dann käme es der freien Szene zugute, ist ein Irrglaube. So machen wir uns gegenseitig klein.“
Die IG Kultur Ost versteht sich als Plattform für Austausch und für die Vernetzung von Interessen. „Ein Bedürfnis sich zusammenzutun“, habe es gegeben, „damit man nicht so einzelkämpferisch unterwegs ist“. Initiativ ist schliesslich, wie im Fall von „Jakob“, das Ostschweizer Kulturmagazin „Saiten“ mit seinem Ohr am Puls der Zeit geworden. Überhaupt „Ostschweiz“: Geografisch gesehen soll die Bezeichnung möglichst frei gehandhabt werden, sie soll ein Gebiet mit durchlässigen Grenzen kennzeichnen. Klar, St. Gallen, Thurgau, Appenzell gehören dazu. Die Ostschweiz grenzt aber auch an Österreich, Deutschland und Liechtenstein. Dass es Kooperationswünsche über die Landesgrenzen hinaus gibt, war auch der Wand zu entnehmen, auf der die zur Gründungsveranstaltung Gekommenen ihre Anliegen notieren konnten.
„Ich habe das Gefühl, dass Politik und Verbände froh sind, jetzt eine Anlaufstelle zu haben.“
Ann Katrin Cooper, Gründungspräsidentin IG Kultur Ost
Lobbyarbeit machen, Stellung nehmen, Forderungen einbringen, sich einmischen, wie jetzt bei der Entscheidung über den Bau des Toggenburger Klanghauses (das mittlerweile das Plazet des Stimmvolks erhalten hat): Das sind die erklärten übergeordneten Ziele des Interessenvereins. Und: „Wir suchen Komplizen“, sagt Ann Katrin Cooper – in der Politik, in der Wirtschaft, überhaupt auch in nicht-kulturellen Bereichen. Berührungsängste, insbesondere, was die Wirtschaft betrifft, hat sie keine, in der Politik ist sie bislang nur mit offenen Armen empfangen worden. „Ich habe das Gefühl, dass Politik und Verbände froh sind, jetzt eine Anlaufstelle zu haben.“
Tatsächlich ist die IG bereits um eine Stellungnahme zum neuen St. Galler Kulturkonzept gebeten worden, worauf eine Arbeitsgruppe entstanden ist. Die Vorstandmitglieder versprechen sich davon auch, mehr realistische Vorstellungen von den Arbeitsbedingungen in der Kulturszene in das Papier einzubringen. „Es wäre toll, wenn ein echter Austausch entstehen würde. Dass die Politik sagt: Wir arbeiten an einem Strategiepapier, lasst uns mal die Experten des Alltags befragen, ob das und das mit der Arbeitsrealität der Kulturschaffenden korreliert.“
In der Randlage der Region sieht die IG auch Potenzial
Allerdings wird der Lobbyverein in der Regel nicht erst aktiv werden, wenn er angefragt wird oder wenn es schon brennt. Das gilt selbstverständlich auch für die Beschaffung ausreichender Finanzmittel. Situationen wie in Zürich, wo die Kulturförderung ab 2022 auf wackeligen Beinen steht, sollen gar nicht erst entstehen können. „Die IG Kultur Ost möchte nicht abwarten, bis wir in einer ähnlichen Situation stecken, sondern proaktiv reagieren“, sagt die Gründungspräsidentin.
Dass die Interessengemeinschaft Kultur Ost sich über mehrere Kantone und möglicherweise Landesgrenzen hinweg erstreckt, macht die Sache nicht einfacher, „weil kulturpolitisch unterschiedliche Herausforderungen auf die verschiedenen Kantone und Regionen zukommen“. Ann Katrin Cooper sieht das jedoch auch als Chance, weil so ein „stimmgewaltiges Netzwerk entstehen kann“. Überhaupt erkennt sie in der oft beklagten Randlage der Ostschweiz immenses Potenzial. Besonders fällt ihr das auf, wenn sie in St. Gallen auf den Freudenberg steigt: „Ich gehe hoch auf den Hügel und schaue nach Österreich, nach Deutschland und nach Liechtenstein. Wir sind mitten in Europa. Ein bisschen Grenzen zu sprengen würde der Kultur ganz guttun.“
Von Maria Schorpp
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