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von Maria Schorpp, 17.03.2025

Lara Stoll, die Hinterlistige

Lara Stoll, die Hinterlistige
Lara Stoll | © Fiona Murtaj

Im Theaterhaus Thurgau in Weinfelden präsentierte die Slam-Poetin und Komikerin Lara Stoll die Premiere ihres neuen Programms und packt die Leute zu deren Belustigung an ihren Gewissheiten. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Die Sache mit Rorschach ist für sie noch nicht erledigt. In Rorschach hat sie ihr neues Programm testen wollen. Tryout heisst das. Sage und schreibe sechs Personen wollten sich das anschauen. Darunter eine einzige mit bezahltem Billett. Wie es da mit der Gage ausgesehen hat, lässt sich leicht denken.

Elon Musk in Rorschach

Der Gag mit Elon Musk in Rorschach könnte man unter diesen Umständen als Retourkutsche verstehen. Er geht so: Selbiger Trump-Kumpel kommt nach Rorschach, worauf das dortige Kulturzentrum für ein Raketenzentrum abgerissen wird. Das allein deutet bereits nachtragende Beweggründe seitens der Gag-Schreiberin an. Die Pointe ist aber hinterlistiger: Rorschach hat gar kein Kulturzentrum. Was kann man da schon erwarten.

Nicht ärgern, Rorschach. Rorschach ist überall, wenn es um die Ängste geht, vor leeren Stuhlreihen zu performen. Lara Stolls fünftes Programm „Volume 5 – Die Rückkehr!“ ist frech, laut und lustig. Die Spoken Word-Künstlerin kommt  zur Premiere auf die Bühne in Weinfelden mit einem Blaumann in Rot, an dem diverse Hupen angebracht sind. Die bringt sie in den bescheidenen Klangfarben zum Erklingen, die Hupen zur Verfügung stehen, indem sie zuckt, als ob sie jemand ohne Sinn und Verstand an unsichtbaren Fäden hin und her zerren würde.

 

Immer eine zündende Idee - die Kabarettistin Lara Stoll. Bild: Fiona Murtaj

Beobachtungen aus dem Reformhaus

Dabei ist die Salzburger Stier-Preisträgerin eigentlich auf der Seite von Sinn und Verstand, wenn das in Bezug auf ihre Person nicht viel zu dröge klingen würde. Sie zeigt nämlich, wo diese im Alltag abhandengekommen sind. Der „charmante Poetry-Punk aus der Schweiz“, wie sie von der Jury des Deutschen Kleinkunstpreises bezeichnet wurde, den sie unter anderen bekommen hat, liest, wenn es ganz präzise werden soll, auch vom Blatt ab. So ihre Beobachtungen aus dem Reformhaus, die sie mit Bildmaterial unterstreicht, das diesen unübertrefflich schlecht ausgeleuchteten Blickwinkel hat. Als ob sie das hier einkehrende Bildungsbürgertum mit seinem kleinen Hochmut ärgern will.

Da sieht man als Beleg für das Gesagte das Brötli auf der Tüte liegen. Diese grau-bräunliche, völlig überteuerte Trockenmasse, auf die sie selbst nach eigenem Bekunden steht, obwohl es ihr nicht schmeckt. Ich muss das nicht essen, sagt sie, ich will. Der heutige Mensch und die Willensfreiheit am Ort, wo aus dem Spendersilo Dinkel und Hirse rieseln. Am Ende ist noch neben dem Flohsamenregal auf romantische Begegnungen zu hoffen, was auch deshalb nicht zu verachten ist, weil man an der Kasse ersehen kann, ob da einer als Vater seiner Kinder in Frage kommt.

Video: Lara Stoll crasht die Tonhalle St.Gallen

Lara Stoll fährt Auto

Bei Lara Stoll lohnt sich der zweite Blick. Ihre Reformhaus-Beschreibungen sind gleichzeitig Anmerkungen zum gesellschaftlichen Ist-Zustand inklusive sozialer Unterschiede. Beim Thema Frauen und Autofahren, am Beispiel ihrer selbst, denkt man zunächst: abgefrühstückt. In Tat und Wahrheit bedient die Komikerin das scheinbar altväterliche Sketch-Motiv so genial hinterlistig, dass man zunächst selbst in die Falle tappt, die der alltägliche Chauvinismus aufstellt. Frauen hinterm Steuer! Diese ganzen Zeichen und Zahlen, wer soll das alles begreifen. Und dann noch dieses ständige Angehuptwerden!

Man darf selbstverständlich auch einfach nur lachen über die eigenwillige Interpretation der Schilder am Strassenrand oder diesen Kleinstwagen auf grossstädtischen Parkflächen, der immer quer zur öffentlich vorgezeichneten Eingrenzung zum Stehen gekommen ist. Ist das noch Fahruntüchtigkeit oder schon Anarchie? Da sind wieder diese Fotos, die gerade wegen ihrer schnörkellosen Realitätsabbildung das Zeug haben, unseren Alltag ad absurdum zu führen.

Zwischen den Themenblöcken nutzt die Frau mit den vielen Talenten, die im Thurgau aufgewachsen ist und auch in Film und Fernsehen als Schauspielerin zu sehen ist, immer wieder die Gelegenheit, um mit dem Publikum in Interaktion zu treten. Einmal dirigiert sie es zu einem vierstimmigen Schimpfchor und begleitet das auf der Posaune. Das mit dem Musizieren ist bei ihr auch so eine Sache. Gekonntes Chaos in Tönen.

Video: Lara Stoll beim Deutschen Kleinkunstpreis 2019

Die Schweiz als Assoziationsspielraum

Dann wieder die sorgfältig vor- und ausformulierten Texte wie der zu den Take away-Salaten, samt Fotostrecke von in Plastikschalen eingeklemmten Zutatenkombinationen. Wie sie die Wurst-Käse- oder Caprese Salate beschreibt, kann einen deprimieren, was die Massenproduktion sowohl mit uns als auch mit dem Essen macht. Die Schweiz als Assoziationsspielraum ist dabei immer präsent. Lara Stoll arbeitet sich wahrlich originell an ihrem Land und seinen Selbstverständnissen ab, ohne unfair zu werden. Und bläst bei dieser Gelegenheit mal wieder ins Instrument, dieses Mal für die Schweizer Nationalhymne. Alles bestens klingt anders.

Fasst zum Schluss dann wohl eines ihrer Herzensthemen, das in aller Deutlichkeit lautet: Furzen. Diesmal setzt sie bei frisch Verpartnerten an, die sich noch unsicher sind, wie weit sie gehen können mit der Offenbarung, selbst auch dem Naturgesetz der Flatulenz zu unterliegen. Sollte man gleich einen fahren lassen, wie entscheidend ist das Timing und Setting? Fragen über Fragen, direkt dem Leben entnommen.

Es gibt wohl wenige Motive, die mehr in der Lage wären, diese ganzen eitlen Konstruktionen vom Menschsein auszuhebeln.  Dass Lara Stoll ihre eigene Person nicht ausnimmt, versteht sich von selbst. Es kann tatsächlich komisch und lustig sein, wenn man bei seinen Gewissheiten gepackt wird. Der Applaus hat's bestätigt.

Video: Witze über Fürze - immer noch eine Paradedisziplin von Lara Stoll

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