von Maria Schorpp, 17.02.2025
Romeo, Julia und das richtige Leben
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Theater, das in die Schulen geht, aber nicht nur Neulingen Spass macht: Das Theater Bilitz zeigt eine erfreulich zugängliche Fassung von Shakespeares Liebesdrama und kommt damit im Theaterhaus in Weinfelden bei den Kids bestens an. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Fangen wir ausnahmsweise mit dem Theaterprogramm an, gemeint ist das für die Inszenierung des Theater Bilitz von „Romeo und Julia“. Da ist zu lesen, dass der Balkon in Verona, auf dem Julia angeblich ihren Romeo erhörte, tatsächlich ein alter Sarkophag ist, der 1937 als touristische Attraktion angebracht wurde. Das Leben schreibt wirklich die besten Geschichten.
Die allerbesten sind allerdings diejenigen, die solche Wucht entwickeln, dass sich mit der Zeit in den Köpfen der Menschen die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit auflösen. Bei den vielen Schaulustigen, die in den Veroneser Innenhof pilgern, kann man nur vermuten, dass ihnen im Fall des berühmten Liebespaars etwas durcheinandergeraten ist.
Wie im richtigen Leben
Köchin Maria und Kellner Alex sind da sortierter, sie erkennen, dass diese Geschichte um Liebe und Hass viel mit dem richtigen Leben zu tun hat. Sie kocht und er kellnert mit viel Herzblut für eine Hochzeitsgesellschaft. Jetzt gerade legen die Gäste eine Tanzrunde ein, und die beiden gönnen sich vor dem Hintereingang der Gaststätte eine kleine Verschnaufpause.
Auf der Bühne des Theaterhauses Thurgau in Weinfelden siehts aus, wie es in solch einem Hinterhof aussieht: Mülltonne, Kisten mit Leergut und diese Plastikboxen, die sich zusammenklappen lassen. Gabor Nemeth hat die Bühne passend eingerichtet. Wie sich herausstellt, wird jeder einzelne dieser Gegenstände den beiden für ihre neu erzählte Geschichte von Romeo und Julia nützlich sein.
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Schlimme Geschichten scheinen spannender zu sein
Irgendetwas scheinen die Menschen an schlecht ausgehenden Geschichten spannender zu finden als an guten. Da ist diese fröhliche, friedliche und stimmungsvolle Hochzeitsgesellschaft, und was assoziieren die beiden? Dass es kürzlich eine derartige Veranstaltung gab, bei der sich die Familien von Braut und Bräutigam nicht ausstehen konnten.
Und schon sind sie bei Shakespeare und den beiden Sprösslingen der zwei sich spinnenfeindlich gesinnten Veroneser Familien. „Romeo und Julia“ ist nicht nur die Geschichte einer grossen Liebe, sondern handelt auch von Feindschaft und Hass, wobei wahrscheinlich niemand unter den Beteiligten noch weiss, was ursprünglich die Gründe für die ätzenden Gefühle waren.
Konkurrenz kann es wohl nicht sein, warum die Montevecci und die Capuletti sich bekriegen. Die Familie von Romeo handelt mit Wein, die von Julia mit Olivenöl. Das ist so in der Romeo und Julia-Bearbeitung von Magrit Bischof, Werner Bodinek und Ueli Blum, der das Theater Bilitz zusätzlich die Rahmenhandlung von Maria und Alex angefügt hat.
Mit den etwas anderen Familiennamen orientiert sie sich an der gleichnamigen Novelle von Matteo Bandello, aus der Shakespeare wiederum seine Theaterversion erstellte. Diese Herkunftserklärung dürfte das Komplizierteste an der Inszenierung des Theater Bilitz sein. Das Publikum, insbesondere das junge, bekommt tatsächlich einen wunderbar zugänglichen Shakespeare.
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Spielerisch barrierefreier Zugang zu Shakespeare
Am Ende ist dann aber dem Theaterteam um Regisseur Roland Lötscher für den spielerischen barrierefreien und unprätentiösen Zugang zum Shakespeare-Klassiker zu danken. Dazu gehört auch das Wissen nebenbei, das nicht nur das Theaterprogramm (siehe Balkon) zu bieten hat, sondern auch das Stück selbst, in dem Agnes Caduff und Simon Gisler immer wieder aus ihren Rollen als Maria und Alex aussteigen, um den Kids ab sieben zum Beispiel zu berichten, dass es zu den Zeiten des Paares Frauen nicht allein auf die Strasse durften und es noch kein Gelato gab.
Caduff und Gisler, deren Spielfreude bis in die hintere Publikumsreihe ausstrahlt, werden vom Musiker Daniel R. Schneider unterstützt, der Cembalo-Klänge beisteuert, deren Sound historisch nicht immer ganz authentisch, dafür umso mitreissender ist. Er ist der musikalische Alleinunterhalter der Hochzeitgesellschaft und unterlegt gleichzeitig am Cembalo das Phantasiespiel der Köchin und des Kellners.
Die lassen sich von ihrer eigenen Spiellaune einsaugen in Shakespeares Liebesdrama. Da wird der Schneebesen spontan zum Schreibwerkzeug und der Spaghettilöffel zum Mikrofon, mit dem der Kampf zwischen Romeo und Julias Cousin Tybalt kommentiert wird. Der tödlich ausgeht. „So’ Seich.“ Der Anmerkung von Maria bleibt nichts hinzuzufügen.
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Weinflasche trifft Olivenölflasche
Die Leute vom Theater Bilitz wissen, wie man Theater mit Spass auch für Neulinge auf die Bühne bringt. Romeo wird im Spiel der beiden Partyveranstaltenden entsprechend dem familiären Geschäftsmodell von einer Wein-, Julia von einer Olivenölflasche dargestellt. Die daraus entstehenden Spielszenen haben für die Kids ab sieben unüberhörbar grossen Unterhaltungswert. Und doch wird’s nicht selten unter der Hand ziemlich ernst.
Es sieht zwar zunächst aus wie ein Geplänkel, wenn sich Maria und Alex als verfeindete Familienmitglieder mit leeren Wasserflaschen (aus Plastik) einen Schwertkampf liefern. Dann mit einem Mal bekommt die Gewalt ihre eigene Dynamik. Pater Lorenzo, gespielt von Daniel R. Schneider, kommt auch noch Spiel. Das ist der mit dem „Pülverli“, der diesen sagenhaften Schwachsinn mit dem Trank einfädelt, der Julia scheintot macht, worauf Romeo dem Irrtum seines Lebens verfällt. Die Inszenierung entschlackt nicht nur den Handlungsfaden, sondern versteht es auch, für heutige junge Menschen merkwürdige Dinge wie diese Giftmischerei mit Gespür ins komische Fach auszulagern.
Die Pause der beiden ist am Ende dann doch etwas länger ausgefallen. Kann man nur hoffen, dass die Gäste nicht auf ihre Torte warten mussten. Für das junge Publikum im Theaterhaus Weinfelden wars auf jeden Fall sehr kurzweilig. Und nicht nur für das junge. Der Applaus nach der Premiere liess daran keinen Zweifel. Das Theater Bilitz wird in nächster Zeit mit ihrem Liebespaar in die Schulen gehen. Da kann man allen nur viel Spass wünschen.
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Von Maria Schorpp
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