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von Judith Schuck, 05.05.2021

Menschlichkeit aus Stahl

Menschlichkeit aus Stahl
Angekommen in Bad Ragaz: Hier ist Christian Lippuners «Humanitas» nun bis Ende Oktober 2021 zu sehen. | © zVg

Der Thurgauer Christian Lippuner ist für seine grossformatigen Gemälde bekannt. Bei der «Bad RagARTz» ist er nun mit seiner ersten Grossskulptur vertreten. Mit der «Humanitas» möchte der Künstler ein Zeichen setzen für mehr Toleranz in der Gesellschaft. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Die «Humanitas» misst mit gut 5 x 3 x 2 Metern eine stattliche Grösse. Vom 8. Mai bis 31. Oktober 2021 findet Europas grösste Freiluft-Skulpturenschau bereits zum 8. Mal in Bad Ragaz statt. Christian Lippuner ist einer von 80 internationalen KünstlerInnen, die bei der «Bad RagARTz» ihre Arbeiten zeigen. Ebenfalls dabei in diesem Jahr: Die beiden Thurgauer KünstlerInnen Veronika Dierauer und Daniel Schmid, sowie der Konstanzer Künstler Markus Brenner.

Von seiner Kunstvermittlerin sei er angefragt worden, ob er sich bei der 8. Triennale der Bad RagARTz bewerben möchte, erklärt Christian Lippuner. «Ich dachte zunächst: ‹Oho, eine Grossskulptur, das wird mich aber herausfordern.›», erinnert sich der 73-Jährige. Als er auf sein eingereichtes Dossier eine positive Antwort erhielt, freute sich der in Ermatingen arbeitende kreative Kopf sehr über die Zusage.

In Bad Ragaz auszustellen, sei ein Highlight seiner bisherigen Künstlerkarriere. Das diesjährige Motto dort lautet «Distanz schärft den Blick». Da es ihm seit jeher ein Anliegen ist, sich mit dem «gesellschaftlichen Ungemach» auseinanderzusetzen, wählte der Künstler eine Skulptur zum Thema Menschlichkeit.

«Ich will nicht mit dem mahnenden Finger auf die Menschen zeigen. Aber ich möchte einer Zunahme an rassistischer Gewalt etwas entgegenhalten.»

Christian Lippuner, Künstler (Bild: Judith Schuck, mit im Bild: Atelierbesucherin Cleo)

«Humanitas» besteht aus drei miteinander verschlungenen geometrischen Formen. Das Dreieck symbolisiert die Stabilität, der Ring die Einheit und das Quadrat steht für Integration. Ein halbes Jahr lang wird sie nun in der Altstadt des Weltkurorts zu sehen sein.

Aus rohem, weiss gespritzten Stahlblech gefertigt, wird die «Humanitas», der Witterung ausgesetzt, mit Licht und Schatten spielen. Ein Modell des Objekts entstand bereits 2001 als Teil eines Schulklassenprojekt unter dem Patronat der Eidgenössischen Kommission gegen Rassimus Bern sowie dem Bündnis für Demokratie und Toleranz Berlin.

Die Einheit löste sich zuerst auf

Damals, beim Kleinformat, waren die geometrischen Figuren in den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb lackiert. Nach einer Ausstellung in Polen zur deutsch-polnischen Gastfreundschaft lag sie zehn Jahre ungeschützt vor seinem alten Atelier in Ermatingen am See. Lippuner wollte sehen, was mit der Menschlichkeit da draussen geschehe. «Der Kreis, der für Liebe und Einheit steht, ist als erster zerfallen», beobachtete er.

Wieder hergerichtet ruht diese «kleine Humanitas» heute in seinem Atelier. Von dieser dreiteiligen Plastik gibt es noch einen weiteren Prototypen in Form eines Schmuckanhängers.

Kunst im Prozess: «Humanitas» in der Produktion. Bild: Bruno Lorenzato

Was tun, wenn die Welt brennt?

Für die Bad RagARTz probierte er zunächst Neues aus, kam aber wieder zu dieser Ursprungsidee zurück. Produziert wurde seine Skulptur mittels einer CAD-Zeichnung eines Freundes von der Schlosserei Ammann AG in Tägerwilen.

«Als ich die ‹Humanitas› in ihrem Rohzustand, dem hellen Stahlton, sah, fand ich, die Farben brauchts gar nicht mehr. Die Form ist vollkommen.» Die Plastik wirke als solche noch viel stärker und wenn alles vorgegeben sei, werde Kunst beliebig.

Christian Lippuner möchte die BesucherInnen in Bad Ragaz zum Nachdenken über Menschlichkeit und Rassismus anregen. «Ich will nicht mit dem mahnenden Finger auf die Menschen zeigen. Aber Übergriffe passieren immer öfter in unserer Gesellschaft. Ich verfolge das seit vielen Jahren und möchte einer Zunahme an rassistischer Gewalt etwas entgegenhalten.» Wir müssten aufpassen, dass wir nicht wieder in einen bodenlosen Sumpf gerieten. «Ich male bewusst keine Blumen oder den Bodensee, denn die Welt brennt.»

«Mich interessieren die Zwischenräume. Ist eine Gesellschaft zu stark verdichtet, neigt sie zu Aggression.»

Christian Lippuner, Künstler (Bild: János Stefan Buchwardt)

Der 73-Jährige Künstler hat selbst schon viel durchlebt. Mehrere Krebsleiden und eine Muskelerkrankung, das Guillain-Barré-Syndrom, zwangen ihn immer wieder zu Pausen in seinem künstlerischen Schaffen.

Seine Inspiration schöpft er aus der Beobachtung gesellschaftlicher Zusammenhänge. «Mich interessieren die Zwischenräume. Ist eine Gesellschaft zu stark verdichtet, neigt sie zu Aggression.» Darum passe seine «Humanitas» so gut in den Kontext der Ausstellung: «Distanz schärft den Blick». Stabilität, Einheit und Integration ineinanderverschlungen und doch jede für sich stehend.

Kunst für alle

Im Jahr 2000 gründeten Esther und Rolf Hohmeister die für BesucherInnen kostenlose Freiluftausstellung im sankt-gallischen Heidiland. Um die rund 2,5 Millionen Franken für die Bad RagARTz zusammenzubekommen, schreibt das Ehepaar Jahr für Jahr zahlreiche «Bettelbriefe» an Stiftungen, Mäzene und sonstige mögliche Sponsoren.

Ihr Anliegen, Kunst und Kultur in den Süden des Kantons zu holen und allen zugänglich zu machen, scheint aufgegangen zu sein. Rund 400 Kunstwerke werden gezeigt, dieses Jahr erstmals auch in Valens im Taminatal. Die Ausstellung wächst also.

In Bad Pfäfers findet ausserdem wieder das «Festival der Kleinskulpturen» statt. Auch hier ist Lippuner mit zwei Arbeiten vertreten, «Selbstredend» und «Selbstreferenziell».

Unter anderem mit dieser Arbeit («Selbstreferentiell»)  ist Christian Lippuner beim Festival der Kleinskulpturen in Bad Pfäfers vertreten. Bild: János Stefan Buchwardt

Ein Spätzünder: Lippuner begann erst im Alter von 50 Jahren mit der Kunst

Für die Umsetzung seiner Plastik musste der in Kreuzlingen lebende Lippuner ebenfalls Gelder beschaffen, über Stiftungen und private Kontakte. «Ich habe meinen Freunden und Bekannten aber versprochen, dass ich ihnen, wenn die Skulptur verkauft wird, ihren Beitrag zurückzahle.»

Der Werdegang des bescheidenen Künstlers ist speziell: Obwohl er in seiner Jugendzeit in St. Gallen und Zürich Kunst studierte, begann seine künstlerische Phase erst mit 50 Jahren. Er hatte sich immer vorgenommen, bis dahin so gut verdient zu haben, dass er sich «das brotlose Dasein eines Künstlers» leisten kann.

So brotlos wie zunächst angenommen ist die Kunst für den vielseitigen Schaffer gar nicht, werden seine Werke doch international ausgestellt und finden Einzug in Museen und Kunstsammlungen. Die Teilnahme an der Bad RagArtz ist nun ein Höhepunkt für den Künstler, der sich nach mehr Menschlichkeit in der Gesellschaft sehnt.

Die Bad RagARTz wird am 8. Mai eröffneet und läuft noch bis 31. Oktober 2021. Mehr zur Ausstellung in Bad Ragaz: https://badragartz.ch/

Kurz vor der Verladung in der Werkstatt: «Humanitas». Bild: Christian Lippuner

 

 

 

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