von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 07.12.2016
Im Kopf von Donald Trump
Hochaktuell, politisch und sehr ideenreich zeigen Christian Lippuner, János Stefan Buchwardt und Stefan Postius in einer gemeinsamen Ausstellung, was falsch läuft in unserer Gesellschaft. Nicht alle Thesen der Künstler muss man teilen. Aber selten war eine Auseinandersetzung mit dem Thema so anregend
Auch vier Wochen nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA rätselt vor allem Europa immer noch, wie das eigentlich passieren konnte. Die Feuilletons sind jedenfalls voll von Erklärungsversuchen. Das erste Entsetzen ist einer Suche nach dem Begreifen des mal als unvorstellbar Gedachten gewichen. Wie wird Donald Trump die Welt verändern? Wird das Amt ihn verändern? Und was macht es mit der Gesellschaft, mit uns, wenn Menschen, die mit rassistischen, frauenverachtenden, tyrannischen Attitüden einen Wahlkampf bestreiten, und am Ende auch noch als Sieger dastehen? Es gipfelt in der Frage der Fragen: Wo hat das alles angefangen? Und hätten wir das vielleicht schon früher bemerken und bekämpfen können?
Christian Lippuner, János Stefan Buchwardt und Stefan Postius haben geahnt, dass es so kommen würde. Nicht nur die Geschichte mit Trump, sondern viel mehr. Sie hatten ganz offenbar ein sehr feines Gespür für das, was da auf uns zukommen würde. Das machen sie zumindest in ihrer noch bis Ende des Jahres zu sehenden Ausstellung „Hinter Kulissen und Stirn. Das Behagen am Unbehagen" sehr deutlich. Die beiden Thurgauer Lippuner und Buchwardt haben sich vor mehr als einem Jahr mit dem Konstanzer Fotografen Stefan Postius zusammengetan und entstanden ist auch durch grenzüberschreitende Förderung sowohl von der Kulturstiftung des Kantons als auch aus dem Konstanzer Kulturfonds eine Ausstellung wie es sie nicht alle Tage gibt. Schon gar nicht in unserer Region.
Worum geht es? Im Grunde ist der Titel - Hinter Kulisse und Stirn - da sehr eindeutig. Die Ausstellungsmacher wollen zeigen, was einerseits hinter den Kulissen gesellschaftlich schieflaufen kann, aber auch hinter der Stirn eines jeden Einzelnen. Malerei, Skulpturen, Fotografien, Videoinstallation und Textkunst treffen aufeinander und ergeben ein Netzwerk aus Ideen, Anregungen und Mahnungen zum Thema. Zum Beispiel in einer Arbeit von Christian Lippuner zur Flüchtlingskrise. Dunkelblauer Hintergrund, davor viele bunte Figuren hinter einem Stacheldrahtzaun. In das bunte Menschengemenge hinein hat Lippuner eine Schwarz-Weiss-Zielscheibe platziert. Sein Gedanke dahinter impliziert beides: Auf die Flüchtlinge wird gezielt, aber getroffen wird am Ende auch die Gesellschaft.
Von Minotaurus und Musen: Arbeiten von Christian Lippuner in der Ausstellung "Hinter Kulisse und Stirn", die noch bis Ende 2016 im Konstanzer Richentalsaal zu sehen ist. Bild: Stefan Postius
Christian Lippuner versteht es glänzend, in seinen Arbeiten sehr lakonisch den Punkt zu treffen. So auch beim Werk „Luzifers List". Es zeigt eine schemenhafte dunkle Gestalt mit weissem Kopf bei der Einflüsterung von Gedanken an eine andere Figur. Die Arbeit soll die vielen Einflussnahmen auf Politik thematisieren. Sei es von Lobbygruppen, Demagogen oder sonstwie einseitig Interessierten. Von dieser Arbeit spinnt sich über den Raum des Richentalsaals hinweg ein Netz zu einer Arbeit von Stefan Postius. Seine Porträts von Donald Trump und Wladimir Putin spielen genau mit diesem Gedanken. Wer flüstert ihnen was ein? Welches Gesicht zeigen sie wirklich? Und welche Interessen vertreten sie am Ende?
Auf diese Weise geht es in der Ausstellung vielfach hin und her. Einem Ping-Pong-Spiel gleich ergeben sich Referenzen und Verknüpfungen. Alles hängt mit allem zusammen und immer wieder entsteht Neues. Kontexte schaffen über die bildnerischen Gedanken hinaus vor allem auch die Texte von János Stefan Buchwardt. Der Dichter und Wortkünstler hat seinen ganz eigenen Zugang zum Thema gewählt und gibt der Schau so auch nochmal eine andere Tiefe. Wenn der Autor schreibt: „Drohgebärden entlarven sich als lächerliche Domestikationen des Unbeherrschbaren, als vergebliche Ambition, sich die Welt verfügbar und untertan zu machen", ist man wie von alleine wieder bei Putin, Trump und Konsorten.
Was für ihn die Ausstellung leisten soll, beschreibt Buchwardt so: „Besucherinnen und Besucher dürfen und müssen erfahren, was sich hinter ihrer eigenen Stirn tun kann, inwieweit sie selbst sich von Vorgespieltem täuschen lassen und es sich in dieser Situation auch noch bequem einrichten wollen. Geht denn die Existenz von Realität auf unser Bewusstsein zurück oder existiert das Seiende auch unabhängig davon? Philosophisch stoßen hier idealistische und realistische Anschauungsweisen aufeinander, handkehrum ist unser Alltag von Schreckgespenstern durchsetzt." Seine lyrische Kraft zeigt sich insbesondere in der Arbeit „Engelsturz". Ein Wirrwarr aus positiv belegten Begriffen auf einer Fahne, ein Sammelsurium von negativ belegten Begriffen direkt daneben. Und zwischen all diesem Buchstabensalat flackern Gedichte auf, an denen Kurt Pinthus, Gottfried Benn und Gerhard Trakl ihre Freude hätten: „Ich meißle Masken in die Sterne/ein Kinderspiel am Sarkophag/aus immergrünen Bernsteinssphären/ergießt sich zähes Rindenharz."
Stuhlbein: So heisst der Titel der Arbeit von János Stefan Buchwardt, die noch bis Ende 2016 in der Ausstellung "Hinter Kulisse und Stirn" zu sehen ist. Bild: János Stefan Buchwardt
Etwas plakativer sind da die Arbeiten von Stefan Postius zum Thema Rassismus. Auf eine Kulissenstaffage hat er ein Triptychon erstellt, das Oberfläche zeigt und was laut Postius in Wahrheit dahinter liegt. Eine einfache geografische Abbildung von Deutschland hinterlegt er mit einer Karte von rassistischen Übergriffen im Land. Auf einer weiteren Deutschland-bei-Nacht-Karte rechts daneben verzeichnet er lediglich den Ort Jamel in Mecklenburg-Vorpommern. Ein Dorf, in dem nur Nazis leben. Auf der Ebene dahinter zeigt er die offen nationalsozialistische Lebensweise der Menschen dort. Und mit dem dritten Bild ist er nicht mehr dem Rassismus auf der Spur, sondern dem VW-Konzern. Den Diesel-Skandal hat er zum Anlass genommen, die Firmenpolitik und das übliche Managergeschwafel zu hinterfragen. Er macht dies ganz einfach, in dem er einen klassischen Unternehmerspruch in mehreren Stufen bis zur vollkommenen Sinnlosigkeit auflöst.
Eines der eindringlichsten Exponate der Schau ist aber ein rund sieben Quadratmeter grosser Kubus. Aussen bebildert mit idyllischen Naturaufnahmen, innen ausgekleidet mit architektonischen Ansichten. Die städtische Enge ist hier das Thema. Was wird aus den Menschen, wenn immer mehr nachverdichtet wird, Freiflächen und konsumfreie Areale verschwinden, der graue Beton die grüne Natur vertreibt? Betritt man den Kubus, bekommt man das Unbehagen des Fotografen an dieser Entwicklung am eigenen Körper zu spüren. Es ist eng, es ist laut, man möchte sich hier nicht länger als notwendig aufhalten. So eindrücklich wie dieser Teil der Schau auch ist, so sehr kann man hinterfragen, ob der hier aufgezeigte Weg - Zurück in die Natur - tatsächlich der goldene Weg ist. Überhaupt stellt sich die Frage, ob die von den Ausstellungsmachern hier vorgelegte These nicht zu einfach ist. Dass Urbanität und gedrängtes Leben in den Städten eher zu gefährlichen Tendenzen in der Gesellschaft führen, kann man bezweifeln. Gerade in Städten durchmischen sich die Völker, leben die Menschen intensiver miteinander als nur nebeneinander. Die Stadt als Konglomerat als Wurzel des Übels zu sehen, geht am Ziel vorbei. Oft entsteht Rassismus, Ausgrenzung ja dort, wo kaum Minderheiten leben.
Aussen Natur, innen Urbanität: Der begehbare Kubus ist das vielleicht kontroverseste Ausstellungsstück der Schau. Bild: Stefan Postius
Trotzdem ist diese Ausstellung ein Glücksfall. Sie veranschaulicht hochaktuelle Themen auf so gekonnte und wohl durchdachte Art, dass niemand unberührt diese Schau verlassen dürfte. Man muss die Auffassung der Künstler nicht in allen Punkten teilen, aber die klare Haltung der Ausstellung lädt geradezu zur Auseinandersetzung ein. János Stefan Buchwardt hält auch eine Antwort parat, auf die Frage, was die Gesellschaft denn jetzt brauche: „Wir brauchen Kompromisse, Einkehr, Genügsamkeit und Aufrichtigkeit. Der Pragmatismus, dass nur das, was uns nützlich zu sein scheint, hochhaltenswert ist, hat sich längst und im Grunde von Beginn an als obsolet erwiesen."
Selten war eine Ausstellung in der Region so auf der Höhe der Zeit, selten war die politische Botschaft so wohltuend klar. Und wer weiss? Wenn 2017 mit den Wahlen in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland so weitergeht, wie es die US-Wahl nun angetönt hat, dann dürfte sich der prophetische Charakter der Ausstellung einmal mehr beweisen.
Termine: Die Ausstellung "Hinter Kulisse und Stirn" ist noch bis zum 29. Dezember im Richentalsaal im Kulturzentrum am Münster in Konstanz zu sehen. Geöffnet Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr sowie Samstag/Sonntag/Feiertag 10 bis 17 Uhr. Eintritt: drei Euro. Weitere Informationen zur Ausstellung und dem Begleitprogramm gibt es hier: www.hinterkulisseundstirn.de
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