von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 04.04.2024
Machen statt labern
Vor zwei Jahren hat Stephan Militz das Kreuzlinger Kulturzentrum Kult-X im Streit verlassen. Jetzt hat er viele neue Ideen, um die Thurgauer Kulturlandschaft zu bereichern. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der neue Arbeitsplatz von Stephan Militz gerade mal 50 Meter Luftlinie von seinem alten entfernt liegt. Im April 2022 hatte er gemeinsam mit seiner Co-Geschäftsführerin und Lebenspartnerin Christine Forster die Leitung des Kreuzlinger Kulturzentrums mit grossem Knall hingeschmissen. Die Konflikte innerhalb des Vereins waren zu gross, die Atmosphäre so vergiftet, dass ein konstruktives Miteinander nicht mehr möglich schien. Insgesamt eine eher unschöne Geschichte für alle Beteiligten.
Fragt man den 55-Jährigen heute danach, dann winkt er ab. Er habe damit abgeschlossen. Viel lieber blicke er jetzt nach vorne. „Ich habe Lust, etwas zu gestalten. Im Thurgauer Kulturleben sehe ich noch viel Potenzial, genau das zu tun“, sagt Militz an einem Dienstag im März. Er trägt einen hellblauen Pullover, eine beigefarbene Hose, dazu Schuhe, die eher nach Wandern als nach Konzertsaal aussehen. Das Äussere spiegelt da ein Stück weit auch das Innere: Stephan Militz ist keiner, der sich einfach einer Schublade zuordnen lässt. Lieber bricht er mit Konventionen, als sich selbst zu verbiegen. Seine Herkunft aus dem Rheinland hat ihn da vielleicht auch geprägt.
Inszenierung kann Militz gut
Sein neues Büro in der Molki an der Hafenstrasse unterstreicht diesen Eindruck. Es gibt einen Tresen, Möbel, wie sie in Berliner Hipster-Cafés stehen könnten, und sein Schreibtisch steht erhöht auf einem bühnengleichen Podest. Keine Frage: Inszenierung kann der aus dem Marketing stammende Militz gut. Aber auch inhaltlich hat der 55-Jährige seit dem Kult-X-Aus zugelegt.
Der von ihm gegründete Verein Kultur Worx ist gewachsen. Er veranstaltet inzwischen wieder regelmässig im Kult-X. Aber nicht nur dort, sein Aktionsradius hat sich über den Thurgau hinaus ausgedehnt. Mit dem Ostschweizer Jazzkollektiv, das er von Claude Diallo administrativ übernommen hat, gastiert er beispielsweise auch in St.Gallen und Herisau. Und der Verein ist auch keine reine Familienangelegenheit mehr: Im Vorstand sitzt inzwischen, neben seiner Partnerin und seiner Schwiegermutter, auch die PHTG-Studentin Sanja Villabruna.
Video: Auftritt des Ostschweizer Jazzkollektiv
Das Ziel: Mehr Auftrittsmöglichkeiten schaffen
Bis zu 12 Konzerte organisiert Militz allein im Kult-X, dazu kommen noch Literaturveranstaltungen, Podcastformate und auch Kulturkurzformate, die er „Afterwork shorts“ nennt. Hier bekommen Nachwuchs-Künstler:innen zur Feierabendzeit die Chance auf einen Bühnenauftritt. „Diese Formate helfen dabei, die Szene am Leben zu halten“, ist Militz überzeugt. Es fehle ja ohnehin überall an Auftrittsmöglichkeiten. Das will er ändern. Finanziert wird das Ganze vor allem über Fördergelder des Kantons Thurgau, die über das Kult-X zu Militz’ Verein fliessen.
Musikalisch zeigt er sich programmatisch offen, schwerpunktmässig bietet er vor allem Jazz, aber das müsse nicht immer so sein. Mindestens einmal im Jahr will er bekannte Namen nach Kreuzlingen holen. Im November gastiert beispielsweise Jazz-Pianist Aaron Parks (Tickets gibt es hier). In der Hinsicht ergibt es auch Sinn, dass der Verein seine Aktivitäten kantonsüberschreitend ausbaut: Bekanntere Musiker:innen kann man dann mit mehreren Gigs in der Region locken.
Reinhören: Podcastfolge mit Peter Stamm
Weniger Konsum, mehr Teilhabe
Poetry Slam hat er inzwischen in sein Portfolio ebenso aufgenommen wie Kinderkinoprogramme. Stephan Militz will nicht nur Veranstalter sein, sondern auch Kulturvermittler: „Nach der Pandemie gilt es hier noch viel aufzuholen. Ich möchte möglichst viele Menschen runter vom Sofa, rein in den Kultursaal bekommen“, sagt Militz. Die Haltung dahinter lautet: Raus aus dem passiven Konsum, hin zur aktiven Teilhabe.
Dazu passt, dass er Kindern und Jugendlichen auch die Gelegenheit bieten will, in die verschiedenen Berufe eines Kulturbetriebs reinzuschnuppern: Aufbau, Ton, Video, Schnitt - Kinder ab neun Jahren können hier Gratis-Einblicke bekommen. Auch um Schwellenängste gar nicht erst entstehen zu lassen: „Nur wenn die Menschen die Arbeitsbedingungen in der Kultur kennen und schätzen lernen, werden sie auch nachhaltig die Bedeutung dieser Veranstaltungen verstehen“, ist der 55-Jährige überzeugt (wer sich dafür interessiert, kann sich per Mail an info@kulturworx.ch wenden).
Ein Verlag, der vieles will
Als wäre das nicht schon genug, hat Stephan Militz zudem noch einen Verlag gegründet: 8280-edition.ch (benannt nach der Kreuzlinger Postleitzahl) will Menschen den Weg zum eigenen Buch ebnen: „Als Autor:in bieten wir Ihnen Unterstützung bei der Veröffentlichung, dem Lektorat und der Vermarktung Ihrer Werke“, heisst es auf der Website des jungen Verlags.
Aktuell hat er fünf Bücher im Angebot: Von Musiktheorie über Poetry Slam bis zu Science-Fiction ist alles dabei. Noch ist es eine ziemlich wilde Mischung, die kein klares Profil erkennen lässt. Der Fokus liegt auf Unterhaltungsliteratur, aber auch Sach- und Fachbücher sollen Teil des Verlagsprogramms werden, erklärt Stephan Militz. Zuletzt gastierte der Verlag auch bei der Leipziger Buchmesse am Schweizer Gemeinschaftsstand.
Auf die Frage, wie er das schaffen will, einen Verlag ohne Erfahrungen und explizite Expertise in Literatur, aufzubauen, verweist Militz darauf, dass man Erfahrungen ja erstmal machen müsse, um sie zu haben: „Es gibt einen Drei-Jahresplan, danach sehen wir weiter“, erläutert der 55-Jährige. Zu seinen persönlichen Lieblingsbüchern zählt er unter anderem die Jack-Reacher-Romane des amerikanischen Thrillerautors Lee Child. „Die kann man in einem Rutsch Weglesen, das mag ich“, so der Verlagsgründer.
„Bei uns hat der Autor immer das letzte Wort.“
Stephan Militz, Verlagsgründer
Bereits jetzt gebe es jedenfalls professionelle Lektor:innen, die bei Bedarf die einzelnen Projekte begleiteten. Welche Bücher sein Verlag wirklich publiziere, das entscheide am Ende vor allem er. „Ich lese selbst alle Manuskripte, nach den ersten 30 Seiten weiss ich in der Regel, ob das Buch Potenzial hat oder nicht“, sagt Militz. Wenn er sich mit einem Autor, einer Autorin auf eine Zusammenarbeit geeinigt hat, dann ist ihm ein gutes Miteinander wichtig: „Bei uns hat der Autor immer das letzte Wort“, betont er. Damit will er sich auch von anderen Verlagen abheben.
Tatsächlich verfolgt er damit eine andere Haltung als übliche Verleger. Nicht selektieren und aussieben sieht er als seine Hauptaufgabe, sondern das Ermöglichen von Büchern, die in klassischen Verlagen vielleicht keine Chance hätten. Die Autor:innen erhalten gestaffelte Honorare - je mehr Exemplare verkauft werden, umso mehr Geld erhalten sie.
Reich wird man davon allerdings noch nicht. „Letztlich geht es mir auch hier darum, Hürden zu senken und Zugänge zu erleichtern“, findet Militz. Für ihn ist das auch so etwas eine Demokratisierung des Literaturbetriebs. Darin sieht er eine Chance, die Akzeptanz der Kulturbranche in der Gesellschaft zu erhöhen.
Noch eine Idee: Die erste Bodensee-Buchmesse
Am Ende, das weiss aber auch Stephan Militz, muss sich das Ganze trotzdem irgendwie rechnen. „Im Moment gleiche ich jedes Minus privat aus. Aber ich glaube an die Idee des Verlags genauso wie an den Verein Kultur Worx. Deshalb investiere ich da in die Hoffnung, dass es sich am Ende rentieren wird“, erklärt der 55-Jährige.
Um das Ziel zu erreichen, setzt er auch auf Marketing: Buch-Influencer:innen sollen die Produkte des Verlags in den Sozialen Medien bewerben, zu einzelnen Büchern seines Verlages gibt es Merchandise-Artikel, im August (24.8.) veranstaltet er die erste Bodensee-Buchmesse. Die soll zur Plattform für klassische Verlage und Self-Publisher rund um den Bodensee werden.
Die Website dazu ist derzeit noch rudimentär und enthält neben einer Timeline für ein mögliches Programm vor allem viele Stockfotos (lizenzfreie und vorproduzierte Fotos, die nichts mit dem eigentlichen Anlass zu tun haben) und vage Angaben. Aber der Verlagsgründer ist überzeugt von der Idee. In anderen Städten habe das Konzept gut funktioniert, warum also nicht auch rund um den Bodensee? Das Programm und die Inhalte werden in den nächsten Wochen schon noch wachsen, gibt sich der 55-Jährige gelassen.
Scheitern? Vielleicht später
Spricht man mit Stephan Militz über all seine Ideen und Projekte, wundert man sich manchmal, wie er das alles unter einen Hut bekommen will. Angst davor, sich zu übernehmen, zeigt er jedenfalls nicht: „Ich habe ein gutes Team im Hintergrund, das mich unterstützt. Ausserdem bin ich verdammt effizient“, sagt Militz.
Seine Devise lautet: Lieber erstmal machen als nur rumlabern. „Scheitern kann man immer noch später, aber wenn man gar nicht erst anfängt, verändert sich auch nichts“, sagt der umtriebige Kulturveranstalter. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs vielleicht nicht die schlechteste Haltung.
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