von Urs Oskar Keller, 26.09.2025
Ein melancholischer Geschichtenerzähler

Augenblicke (16): Er wollte Goalie werden, wurde zuerst Lehrer und landete als erfolgreicher Liedermacher und Musiker auf den helvetischen Bühnen: Blues Max alias Werner Widmer (74) aus Kreuzlingen. Fotoreporter Urs Oskar Keller kennt ihn seit seiner Jugend am Bodensee. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
«Ja weisst du, wir spielen einfach dort, wo wir eingeladen werden. In Amriswil waren wir eben und zweimal ausverkauft in Häggenschwil. Am 22. November 2025 ist Premiere mit der neuen Band im Casinotheater Winterthur», mailte mir Blues Max, alias Werner Widmer (74), im Mai auf seiner «never ending tour» (Bob Dylan).
Werner kenne ich seit der Pfadfinderzeit in Kreuzlingen, wo wir beide aufwuchsen. Er hiess «Hamster», war Venner, und sein Fähnchen (Gruppe) trug den Namen «Delphin». Mein Fahrten- oder Spitzname lautete «Tiger». Widmer, der ein guter Fussballspieler und Eisläufer war und eigentlich Goalie werden wollte, besuchte das Lehrerseminar in Kreuzlingen und spielte in seiner Freizeit am liebsten Gitarre. Unser Szenentreffpunkt war das Restaurant Sonnenhof im Zentrum der Grenzstadt.
Video: So klingt Blues Max live
Der Polizist mit dem Gummibärentrauma
Von 1976 bis 1978 war er Mitglied der famosen, 1973 von Andreas Rüber und Hans-Jörg Enz gegründeten Liedermacher-Truppe «Thurgauer Galgevögel» aus Frauenfeld. Im April 1977 wurde unter den Freunden eine grosse Dreier-Hochzeit (Enz–Rüber–Widmer) im Kirchgemeindehaus in Hüttwilen gefeiert, und Blues Max wechselte bald ins Profilager – zu Beginn mit Musiker Max Lässer, als Tonmeister agierte Andreas «Assel» Rüber.
«Mach mir bloss keine Geschichten!», ist man in der Jugend ermahnt worden. Vergebens. Dafür hat man dann etwas zu erzählen. Werner, den wir immer «Wips» nannten, oder eben Blues Max, hat viele Geschichten – kleine und grosse, kluge und saudoofe, glückselige und himmeltraurige. Vom Sensemaa, dem legendären Ego-Blues, «Uf de Kurve» oder der Lottomarie, vom Polizisten mit dem Gummibärentrauma und vom Bügelbrett, das dem Dichter aus der Sinnkrise hilft. Max hat Kino im Kopf – und macht mit der Gitarre den Soundtrack dazu.
1978 erschien sein erstes Album «Zyt zum Go» im Berner Zytglogge-Verlag, ein Jahr später «Ehrewort». Unter anderem spielten Max Lässer, Jury Clormann und Walter Keiser mit. Thurgauer Dialekt spricht er nur noch privat, die Mundartlieder kommen auf Züritüütsch daher. Für sein vielseitiges Schaffen wurde Blues Max 2022 mit dem «Ehrenpreis der Oltner Kabarett-Tage» ausgezeichnet. «Er hat gearbeitet wie ein Tier und nichts einfach so erreicht», sagt sein Freund Andreas Rüber über ihn.
Es ist noch lange nicht vorbei
Nach der pädagogischen Ausbildung zog es ihn in die grosse Stadt. Er war Primarlehrer in Wagerswil und später Reallehrer in Zürich, wo er sich als Liedermacher durchschlug und als «Blues Max» mit grosser «Zürischnurre» bekannt wurde. Inzwischen ist der Geschichtenerzähler, melancholische Komiker, Comedian und Musiker mit Jahrgang 1951 in Männedorf an der Goldküste gelandet – vom See an den See. Das Didaktische blieb. Seit Jahren veranstaltet er für Gitarrenbegeisterte Musikferien im Piemont. In einer Villa in der Gemeinde Ameno oberhalb des Ortasees wird unter seiner Leitung mit Verve gemeinsam Gitarre gespielt. Ein italienischer Koch und seine Frau sorgten bislang für eine authentische «Cucina italiana».
Max Werner Widmer hat für Theater, Radio und Fernsehen Musik, Geschichten und Lieder geschrieben und solo wie auch in wechselnden Formationen – in weit über zweitausend Vorstellungen – auf kleinen und grossen Bühnen aufgeführt. Und standhaft hält sich die dumpfe Ahnung: Das Beste kommt noch.
Mein Bild entstand am 11. September 2010 im Casinotheater in Winterthur. Blues Max spielte damals an einer Hochzeit eines Heimweh-Thurgauers vom Bodensee.
Die Serie «Augenblicke»
In der Fotokolumnen-Serie «Augenblicke» zeigt Urs Oskar Keller besondere Momente aus seiner Zeit als Foto-Reporter in unserer Region. Zu den Fotografien schreibt er in kurzen Texten auch, wie die Aufnahmen entstanden sind und was sie so besonders macht. Gewissermassen entsteht so eine kleine Geschichte besonderer Foto-Momente aus den vergangenen 50 Jahren. In einem Interview hat er erläutert, wie er die Momente eingefangen hat.
Alle weiteren Beiträge der Serie bündeln wir in einem Themendossier.

Von Urs Oskar Keller
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