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Kultur unter Druck

Kultur unter Druck
Der Druck auf die Kultur nimmt von vielen Seiten zu. | © Canva AI

Wie im Thurgau, nur noch drastischer: Bürgerliche Parteien im St. Galler Kantonsrat planen Umbau des Lotteriefonds. In die Kultur sollen nur noch 40 Prozent der Gelder fliessen. Zuletzt war es fast doppelt so viel. Von weiteren Kürzungen ist auch die Kalender-Kooperation von Saiten und thurgaukultur.ch betroffen. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Wer Anfang Dezember im St. Galler Kantonsrat sass, der konnte sich in einer deja-vu-gleichen Zeitreise ins Jahr 2022 zurückversetzt fühlen. Denn, so wie damals im Oktober 2022 Thurgauer Kantonsräte eine Neuordnung des Lotteriefonds forderten, so waren es in St. Gallen nun die bürgerlichen Fraktionen aus SVP, FDP und Die Mitte, die mit Hilfe einer Motion eine Neuverteilung der Swisslos-Erlöse erzielen wollten. Anders als im Thurgau, drohen der St. Galler Kulturszene durch diese politische Initiative aber noch drastischere Einschnitte.

Die Motion fordert eine Deckelung des Anteils für Kultur, Soziales und Entwicklungszusammenarbeit „auf höchstens 40 Prozent". Das wäre mit einem Schlag fast eine Halbierung der bisherigen Mittel für diese Bereiche. Nach Zahlen der Interkantonalen Geldspielaufsicht hatte die Kultur in den Jahren 2023 und 2024 einen Anteil zwischen 75 und 77 Prozent der insgesamt ausgezahlten Beträge der Swisslos-Erlöse. Das entsprach in absoluten Zahlen 16 bzw. 17 Millionen Franken.

Auch im Kanton St. Gallen ist ein erheblicher Teil des Kulturlebens jenseits der grossen Institutionen nur dank Lotteriefonds möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Fördertopf in St. Gallen (23 Millionen Franken) nicht so voll ist wie im Thurgau (66 Millionen Franken). Einschnitte hier werden also schneller spürbar.

Wie die Gelder neu verteilt werden sollen

Die Motion von SVP, FDP und Die Mitte (die drei Fraktionen haben im St. Galler Kantonsrat 90 von 120 Sitze inne) will nun eine Neuregelung. Neben den geplanten 40 Prozent für die Kultur, soll es künftig 30 statt 20 Prozent für den Sport aus dem Lotteriefonds geben, obwohl auch in St. Gallen ein separater Sportfonds existiert, aus dem bereits jetzt zwischen 5 und 6 Millionen Franken pro Jahr in die Sportförderung fliessen.

Dies sei nicht genug, finden die Motionäre. „Eine Erhöhung des Anteils für sportliche Projekte - insbesondere im Jugend- und Vereinsbereich - ermöglicht eine nachhaltige Förderung und Planungssicherheit für eine Vielzahl von Vereinen und Initiativen im gesamten Kantonsgebiet", heisst es im Text der Motion.

Die restlichen 30 Prozent des Topfes sollen in innovative Projekte „für die Zukunftsfähigkeit des Kantons" fliessen (20 Prozent), sowie in „eine Reserve für ausserordentliche Investitionen oder einmalige Projekte mit kantonaler Tragweite", heisst es weiter. Im Kanton Thurgau wurde die Verteilung der Swisslos-Erlöse gerade erst neu geregelt. Auch hier bekommt der Sport künftig 30 Prozent aus dem Topf, während 70 Prozent an Kultur, Wissenschaft, Baukultur und Soziales gehen.

 

Es wird enger - Kultur wird von vielen Seiten bedrängt. Bild: Canva AI

ig Kultur Ost warnt vor den „verheerenden Folgen"

Die ig Kultur Ost kritisiert das Anliegen der St. Galler Motion. Sie habe „verheerende Folgen für das St. Galler Kunstschaffen", schreibt der Verband, der die Kulturschaffenden in der Ostschweiz vertritt, in einer Medienmitteilung. „Mit einer Deckelung wären zahlreiche kulturelle, aber auch soziale und humanitäre Projekte gefährdet oder würden verunmöglicht", notiert die ig Kultur Ost weiter.

Die grosse Frage nun lautet - wie geht es jetzt weiter? Der politische Prozess ist mit der Einreichung der Motion zunächst gestartet. Wird eine Motion wie hier geschehen vom Kantonsrat gutgeheissen, gilt grundsätzlich eine Bearbeitungsfrist von drei Jahren – innerhalb dieser Zeit muss die Regierung Bericht erstatten und das Anliegen umsetzen. Wird die Motion nicht innerhalb der Frist erledigt, muss die Regierung die Verzögerung begründen — und das weitere Vorgehen übers Parlament abstimmen lassen.

Wie der Veranstaltungskalender von Saiten und thurgaukultur.ch von Kürzungen betroffen ist

Bereits einen Tag vor der Abstimmung über die Neuverteilung der Swisslos-Erlöse hatte sich gezeigt, wie sehr die Politik in St. Gallen Einfluss nehmen kann auf die Nutzung der Lotteriefondsgelder. Anders als im Thurgau, kann das Kantonsparlament in St. Gallen über jedes einzelne Projekt aus dem Lotteriefonds entscheiden.

Das hat in der Vergangenheit schon häufiger dazu geführt, dass verschiedene Kulturprojekte kurzerhand gestrichen wurden. So erging es jetzt auch dem Veranstaltungskalender Minasa, den das Ostschweizer Magazin „Saiten" und thurgaukultur.ch gemeinsam betreiben. Hinter dem Namen verbirgt sich ein digitales Cockpit für Veranstaltungsdaten, das Kulturakteur:innen in der Ostschweiz Arbeit abnimmt, Sichtbarkeit verschafft und Daten für alle öffnet.

 

Die Idee hinter Minasa

MINASA ist eine gemeinnützige Kooperation zwischen thurgaukultur.ch und Saiten und steht für einen zukunftsfähigen Service Public von Eventdaten in der Ostschweiz. MINASA (arabisch für „Plattform") umfasst alle Services rund um die Erfassung und Verbreitung der Eventdaten. Für Veranstalter:innen bietet Minasa eine grössere Verbreitung, weniger Zeitaufwand – dies ohne zusätzliche Kosten.

Dafür braucht es eine komplexe IT-Infrastruktur, die den Service Public erst möglich macht und redaktionelle Arbeit, welche die Qualität sichert. Sowohl der produktive Betrieb zwischen thurgaukultur.ch und Saiten, als auch der Unterhalt und die Weiterentwicklung der dazugehörigen IT-Infrastruktur sind Bestandteil von MINASA. 

Von den MINASA-Services profitieren zahlreiche Datenabnehmer:innen und Datenlieferanten (Institutionen, Städte, Gemeinden, Kulturpools, der Tourismus und die grossen Schweizer Plattformen Guidle, Eventfrog, Hinto)

Die IT-Infrastruktur von MINASA wird unter anderem auch von Zürichsee-Linth und appenzellkulturell genutzt.

Weiter Informationen zu MINASA  gibt es hier

Für den Betrieb und die Konsolidisierung der Agenda-Services und der IT-Infrastruktur hatte der Verein „Saiten" 195'000 Franken für die nächsten drei Jahre beantragt. Der Regierungsrat hatte das Vorhaben unterstützt, in der vorberatenden Finanzkommission wurden keine Streichungsanträge dazu dokumentiert, erst in einem kurzfristig eingereichten Antrag der SVP-Fraktion wurde dies gefordert.

Moniert wurden unter anderem die Höhe des Betrags, eine vermeintliche Wettbewerbsverzerrung durch die Förderung sowie eine angebliche Querfinanzierung des Magazins „Saiten". Der Antrag wurde am Ende überraschend von einer knappen Mehrheit von 59:55 angenommen.

 

Symboldbild für den Netzwerkgedanken von Minasa: Was wird aus der Kooperation, wenn Gelder fehlen? Bild: Canva AI

Saiten: Vorgang ist „demokratiepolitisch fragwürdig"

In einer Medienmitteilung kritisiert Saiten diesen Entschluss: „Der Antrag ist aufgrund seiner Kurzfristigkeit demokratiepolitisch äusserst fragwürdig, es konnte sich niemand auf eine fundierte Debatte vorbereiten. Trotzdem ist der Kantonsrat dem schwach begründeten und mit Falschaussagen gespickten Ansinnen gefolgt", heisst es in der Mitteilung.

Auf die Kritikpunkte der SVP hat Saiten detailliert geantwortet. So könne es keine Wettbewerbsverzerrung durch die Förderung geben, da es keinen funktionierenden Markt für Veranstaltungsdaten gebe: „Eine zeitgemässe Kalenderdatenbank, welche die Bedürfnisse der Nutzer:innen und Veranstaltenden ins Zentrum stellt, lässt sich nicht kommerziell betreiben", heisst es in der Mitteilung.

Zudem wird darin darauf verwiesen, dass die Summe des beantragten Geldes realistisch und transparent in dem Gesuch erläutert werde. Eine Querfinanzierung des Magazins „Saiten" finde ausserdem nicht statt, da Magazin und Minasa getrennte Budgets haben - „da fliesst keine versteckte Medienförderung durch irgendwelche Hintertürchen", versichern die Saiten-Verantwortlichen. Mit dieser Entscheidung werde der gesamte digitale Veranstaltungskalender gefährdet, so Saiten weiter. Dies schade vor allem der Bevölkerung sowie sämtlichen Veranstalter:innen aus allen Regionen der Ostschweiz.

Was das alles für die Agenda bei thurgaukultur.ch bedeutet

In der Konsequenz bedeute dies laut Saiten: „Ob und in welchem Umfang der Saiten-Kalender ab 2026 überhaupt zur Verfügung stehen kann, werden die aktuell auf Hochtouren laufenden Abklärungen zeigen. Stand heute ist klar, dass für die Jahre 2026 bis 2028 rund 40 Prozent des Budgets wegfallen."

Nicht unmittelbar, aber doch mittelfristig könnte das auch einen Einfluss haben auf die Agenda von thurgaukultur.ch. Schliesslich ist Minasa eine kantonsübergreifende Kooperation mit Saiten, die IT-Infrastruktur wird gemeinsam betrieben und die technische Entwicklung kolloborativ geplant und finanziert. Wenn nun bei einem Partner die Finanzierung wegbricht, dann hat dies Konsequenzen für den gesamten Service Public, den die beiden Partner:innen gemeinsam für die Ostschweiz aufgebaut haben. Das könnte mittelfristig die Sichtbarkeit des kulturellen Lebens, auch im Thurgau, gefährden.

Sarah Lüthy, Co-Leitung bei thurgaukultur.ch, erklärt es folgendermassen: „An unserer Agenda und unseren Services für die Veranstaltenden im Thurgau wird sich kurzfristig nichts ändern. Im Hintergrund werden wir unseren Beitrag leisten, um den operativen Minasa-Betrieb zu sichern. Sicher ist - alleine werden wir die Minasa IT-Infrastruktur nicht finanzieren und weiterentwickeln können. So ist die Entscheidung des St. Galler Kantonsrats ein herber Dämpfer für unseren Service Public und unsere Mission. Für mich ist es schwer nachvollziehbar, dass einer so elementar wichtigen Infrastruktur für die Sichtbarkeit der Kultur, basierend auf falschen Informationen die Finanzierung abgesprochen werden kann – dies nachdem drei Instanzen den Antrag geprüft und als förderungswürdig eingestuft hatten."

 

Explosion oder Implosion? Der Kultur stehen schwere Zeiten bevor. Bild: Canva AI

Ist der Entscheid juristisch anfechtbar?

Bei „Saiten" arbeitet man nun intensiv an einer Lösung. Wie die aussehen könnte, um den Service für Veranstaltende auch 2026 aufrecht halten zu können, ist noch offen.

Ob die Entscheidung juristisch anfechtbar ist, dazu gibt es unterschiedliche Perspektiven. Grundsätzlich gilt erstmal: Wenn eine Entscheidung eines Kantonsrats auf falschen Tatsachen beruhte — und diese falschen Angaben eine wesentliche Rolle spielten — dann ist rechtlich gesehen eine Anfechtung trotzdem sehr schwierig. Eine erfolgreiche Anfechtung dürfte nur möglich sein, wenn zusätzlich Rechts- oder Verfahrensregeln verletzt wurden. Politische oder sachliche Fehler alleine sind kaum „gerichtsfähig".

Verwaltungsrechtliche Rechtsmittel wären nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Zum Beispiel, wenn aus einem parlamentarischen Beschluss eine konkrete Verwaltungsverfügung resultiert, die jemanden oder eine Gruppe persönlich und aktuell betrifft. Dann könnte man Artikel 61 Absatz 2 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege ziehen. Der legt fest, dass falsche oder unvollständig festgestellte Sachverhalte als Beschwerdegrund dienen können — also theoretisch auch Fälle, in denen ein Entscheid auf (nachweislich) falschen Tatsachen beruhte. Dass dieser Fall eintritt, scheint bei dieser Einzelfallentscheidung aber nicht wahrscheinlich.

Was die Politik jetzt tun könnte

Grössere Erfolgsaussichten hätten da vermutlich neue Initiativen aus dem Parlament heraus. Fraktionen können das Thema in eigenen Vorstössen erneut auf die Agenda rücken. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im St.Galler Kantonsrat erscheint das allerdings schwierig. Dafür müssten bisherige Unterstützer:innen des Antrags ihre Meinung ändern, um neue Mehrheiten zu ermöglichen. Ebenfalls denkbar: der Verein „Saiten" reicht ein überarbeitetes Gesuch neu ein und der Kantonsrat befasst sich erneut damit.

 

 

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