von Jana Mantel, 12.08.2024
Auf der Suche nach dem Klick
Neidische Schwiegertöchter, rivalisierende Söhne und ein Ehepaar, das nicht weiss, ob es sich überhaupt noch liebt: Die Theaterwerkstatt Gleis 5 bringt mit «Die Katze auf dem heissen Blechdach» eine Familiensituation mit viel Emotionen auf die Bühne. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Heute ist Premiere. Es ist ein guter Tag, um zur Premiere zu gehen. Das dachten sich wohl die 120 Menschen, die sich am vergangenen Freitag auf den Weg zum überdachten Innenhof in Islikon machten und das Kammertheater unter freiem Himmel erleben wollten. Bei angenehmen und fast schon spätsommerlichen Temperaturen wurde es dann zu einem vergnüglichen Abend, den Regisseur Giuseppe Spina charmant einläutete.
«Wir schöpfen dieses Mal aus dem Vollen», begrüsste er launig seine Gäste zur Einführung. Hier im Sommer passiere wieder etwas im Greuterhof. Schon kurz nach der Produktion «Brennende Geduld» im Sommer 2023 wäre er auf der Suche nach einer passenden Nachfolgeproduktion gewesen und hätte sich gern an das Stück «Die Katze auf dem heissen Blechdach» von Tennessee Williams erinnert. «Ich hatte beim Lesen zunächst den Impuls, ein paar Stellen und Figuren herauszustreichen», erzählt er, «doch der Verlag war streng und liess dies nicht zu. Was ich zunächst als ärgerlich empfand, sehe ich nun voller Dankbarkeit. Alle Figuren im Stück verbindet das gleiche Thema analog einer Katze auf dem heissen Blechdach, weiter aushalten oder springen, gehen oder bleiben.»
Gern geblieben sind die Zuschauer an dem Abend, denn die Darsteller:innen boten schauspielerisch gute bis sehr gute Leistungen und sie boten vor allem unterschiedlichste Möglichkeiten, sich selbst in die verschiedenen Situationen und Personen hineinzuversetzen oder sich darin wiederzuerkennen. «Das Gute am Theater ist aber ja», ergänzte Spina, «dass man die Probleme nach dem Ende des Stücks einfach im Theater lassen kann.»
Worum geht es eigentlich?
Tennessee Williams, der eigentlich Thomas Williams hiess und aufgrund seines Dialektes den ihm gegebenen Spitznamen als Künstlernamen behielt, lebte von 1911-1983 und verarbeitete eigene familiäre Themen in seinen Stücken. Bei «Die Katze auf dem heissen Blechdach» geht es um eine Familiensituation, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Neben neidischen Schwiegertöchtern trifft man auf rivalisierende Söhne und ein Ehepaar, das so lange verheiratet ist, dass es sich gar nicht mehr daran erinnert, ob es sich eigentlich noch liebt oder nicht. Neid und Angst, Hass und Gier, Liebe und Freundschaft werden in dem Stück thematisiert und das Beste: Das Ende bleibt offen. «Ich denke, ich spoilere nicht, wenn ich dennoch verrate, dass Big Daddy, um dessen Erbe es im Stück geht, irgendwann in nächster Zukunft sterben wird», fasst Spina es bei der Begrüssung salopp zusammen.
Auf dem Flyer heisst es: «Heute ist Big Daddys Geburtstag. Es ist sein letzter Geburtstag und alle wissen es, ausser er und Big Mama. Das alternde Ehepaar besitzt die grösste Plantage des Mississippi Deltas. Zwei Söhne, welche unterschiedlicher nicht sein könnten, sind die Kandidaten für das potenzielle Erbe: Brick, das ehemalige Footballtalent und jetziger Vollzeittrinker, sowie Gooper, der rechtschaffene Anwalt und 5-fache Familienvater. Deren Ehefrauen Margaret und Mae haben auch ein Auge auf das reiche Gut geworfen. Es geht an diesem besonderen Abend also nicht nur um das gerechte Aufteilen von Tortenstücken.»
Tatsächlich geht es vielmehr um die Dynamiken, die im Vorfeld innerhalb dieser Familie passieren.
Da haben wir Brick, hervorragend gespielt von Florian Steiner. Der jüngere und erklärte Lieblingssohn des alternden Ehepaars hat vordergründig ein Alkoholproblem. «Ich warte auf den Klick», heisst es mehrfach im Stück und damit meint er den Moment, an dem er sich dank des Alkohols regelrecht wegbeamen kann. Die Momente, an denen er verloren an der Bar sitzt und vor sich hin summt, sind zugleich stimmig, wirken still und kraftvoll und geben dem Stück eine gute Portion Ruhe.
Im klassischen Männergespräch mit seinem Vater Big Daddy, sehr gut und überzeugend gespielt von Ingo Oppelt, geht es um das viele Reden, ohne etwas zu sagen, um Gespräche, die sich im Kreis drehen und die Menschen nur ermüdet, ohne eine Lösung aufzuzeigen. «Unsere Gespräche waren nie ganz offen und ehrlich», wirft der Sohn dem Vater vor, letzterer brüllt zurück, «Ein Mann, der trinkt, schmeisst sein Leben weg und sein Leben könne man nicht zurückkaufen.»
Brick kontert, dass die Menschen sowieso immer das machen wollten, was sie früher gemacht hätten, auch wenn sie das nicht mehr könnten. Und dass jeder Mann eine grosse Sache im Leben hätte. Dass Letztere nicht seine Ehefrau Maggy, sondern der verstorbene enge Freund Skipper war, überrascht an dieser Stelle niemanden mehr.
In diesem mehrminütigen Dialog passiert mehr auf der Bühne als lange Zeit vorher. Zwar bemüht sich Moira Albertalli als Maggie um eine Präsenz im ersten Teil und es gelingt ihr zwischendurch auch immer wieder die Aufmerksamkeit vom schweigenden, trinkenden Ehemann auf sich und ihren Text zu lenken, aber in Summe bleibt sie doch etwas nuancenlos, vor allem was die Sprache angeht.
Der Text dagegen gäbe dagegen so einige Highlights her, werden doch die Kinder von Schwager und Schwägerin beschrieben mit «fette Köpfe auf fetten Körpern und ohne Hals, sodass man ihnen diesen noch nicht einmal umdrehen kann». Auch die in die Runde gestellte Frage «Warum habt ihr euren Kindern eigentlich Hundenamen gegeben?» erntet so einige Lacher, von denen es gern noch etwas mehr hätte geben können.
Dagegen spricht Big Daddys spontan auf das Sofa hochgelegtem Bein Bände, damit verhindert er nonchalant die Absicht seiner Ehefrau Big Mama, sich zu ihm zu setzen.
Apropos Sofa: Das hätte als Bühnenausstattung zusammen mit der Bar und vielleicht ein-zwei Sitzmöbeln völlig ausgereicht. Stattdessen ist diese bestückt mit Türen, die es nur selten wirklich braucht, und einem Bett, Dusche und einem Tischensemble, auf die man hätte verzichten können. Etwas mehr Ruhe auf der Bühne hätte dem Stück sicherlich gutgetan und den Fokus zurückgelenkt auf die kluge Sprache von Williams, die jeder Figur eine eigene Welt gab. Regisseur Spina formuliert es so: «Ich konnte jede einzelne Figur in ihrem Denken nachfühlen, sie wirken wie dreidimensional aus dem Papier herausgeschnitzt.»
Stoff für Gespräche
«Freunden muss man die Wahrheit sagen», heisst es gegen Ende im Gespräch zwischen Vater und Sohn, was dieser mit seinem Lieblingsspruch «Scheissdreck» kommentiert. Ein Scheissdreck war der Abend ganz sicher nicht, sondern zuweilen vergnüglich, hin und wieder mit ein paar Längen, doch dafür dicht gespickt mit Ansätzen zum Gespräch im Nachgang und das wiederum passiert bei leicht luftigen Sommertheater-Aufführungen nicht so häufig und macht den Besuch im Greuterhof in jedem Fall wertvoll.
Da wären zum Beispiel Textzeilen wie diese: «Wünscht man sich doch gegenseitig immer viel Gesundheit und Glück zum Geburtstag und dazu ein langes Leben. Gleichzeitig ist man als Mensch damit konfrontiert, dass wir uns als einziges Lebewesen den Tod auch wirklich vorstellen können. Dabei wünschen wir uns so sehr das ewige Leben, und zwar schon hier auf Erden.»
Weitere Vorstellungen und Tickets
Noch bis zum 24. August laufen zehn Abendvorstellungen, Beginn ist jeweils um 20:15, Karten gibt es unter www.theaterwerkstatt.ch.
Von Jana Mantel
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