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von Judith Schuck, 19.09.2024

Kunst als Form der Therapie

Kunst als Form der Therapie
Die Kunsttherapeut:innen Bennett Hutzelmeier und Lenka Roth freuen sich auf mehr Community | © Judith Schuck

In Kreuzlingen heisst das Offene Atelier seit August Living Museum. Das Ziel: Psychisch erkrankten Menschen mehr Teilhabe ermöglichen. Und einen neuen Ort für Kreativität zu schaffen. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Vor über 20 Jahren brachte Rose Ehemann das Konzept des Living Museum in die Schweiz. In der Psychiatrie Wil fing sie zunächst klein an. Heute leitet Dr. Rose Ehemann die inzwischen sechs verschiedenen Ateliers des Living Museum Wil: Keramikatelier, Kunst- und Medienatelier, Musikatelier, Theateratelier, Papieratelier und Werkatelier. Riesig sei das Areal heute, sagt Lenka Roth, die Rose und die Idee des Living Museum schon lange kennt und sie im Grunde auch schon lange lebt. 

Die Kunsttherapeutin führt zusammen mit Gaby Horber und Bennett Hutzelmeier das Offene Atelier Kreuzlingen der Stiftung Mansio. Auf dessen Schaufenstern ist die Umbenennung schon seit diesem August zu lesen. Offizielle Eröffnung des ersten Thurgauer Living Museums ist am 19. September unter Anwesenheit von Rose Ehemann, welche auch die Gründerin und Präsidentin des Vereins Living Museum Schweiz ist.

Progressiv und aktivistisch

Living Museum ist eine internationale Bewegung, die ihre Anfänge 1983 in New York nahm. Inspiriert vom Living Theater, das progressiv und aktivistisch das Theater auf die Strasse brachte, wird das Konzept des Living Museum als Kunst-Asyl beschrieben. „Individuelle Eigenschaften, die einen zum Aussenseiter in der Gesellschaft machen, werden im Living Museum zelebriert und bieten einen Vorteil bei der Schaffung von Kunst“, heisst es in der Beschreibung des Konzepts auf der Seite des Vereins. 

Es gilt als vierte grosse Revolution in der Psychiatriegeschichte „nach der Befreiung der Menschen mit psychischen Erkrankungen von den Ketten durch Philippe Pinel, der Einführung von Psychopharmaka, der Psychoanalyse durch Sigmund Freud und C.G. Jung“.

 

Arbeitsplatzsituation im Living Museum Kreuzlingen. Bild: Judith Schuck

Niederschwelligkeit und Integration im Fokus

Der Begriff Museum kann hierbei im Deutschen irreführend sein, findet Bennett Hutzelmeier, der darin eher etwas Abgrenzendes sieht: „In ein Museum muss man reinpassen, die Kunst wird entfremdet. Ein Museum ist eher exklusiv.“ Der Begriff Living Museum habe einen hohen Deutungsspielraum, wobei das Lebendige der Bewegung eine grosse Rolle einnehme. 

Das Living Museum sei vielmehr ein Arbeitsort, an dem etwas passiert, fügt Lenka Roth hinzu. „Es geht darum, an der Gesellschaft mitzugestalten“, sagt Bennett Hutzelmeier, der seit etwa einem Jahr Teil des Teams im bisherigen Offenen Atelier ist. Das Konzept wird hier im Grunde schon immer gelebt. „Es ist uns ein Anliegen, dass alle mitreden und sich einbringen können. So entstehen natürlich auch Reibungen und Spannungen.“ 

Vorher arbeitete er als Kunsttherapeut in der Klinik, wo alles strukturierter, hierarchisierter ablief. „Hier habe ich gelernt, dass es nicht immer eine Lösung geben muss.“ Wenn alle mitsprechen, sei das manchmal gar nicht so einfach, aber es bleibe lebendig.

Arbeitsort und Sozialraum zugleich

Im Offenen Atelier haben schon immer alle zusammengefunden, die künstlerisch, kreativ tätig sein wollten. Das Angebot richtet sich an IV-Empfänger:innen wie Selbstzahler:innen. Lenka Roth beschreibt die Atmosphäre im Kreuzlinger Atelier als „Zusammenarbeit auf Augenhöhe“. Die Kunstschaffenden hätten viel Mitspracherecht. Das Miteinander spiele sich auf einer sehr persönlichen Ebene ab. Für manche ist das Atelier mehr Arbeitsort, für andere vielleicht mehr ein Sozialraum. Die Übergänge seien fliessend, so Roth. 

Bennett Hutzelmeier, der vorher nur das Setting auf einer klinischen Abteilung kannte, sagt: „Für mich als Kunsttherapeut ist das teils herausfordernd. Wir erfahren uns hier ja auch als Mensch im Sozialraum. Es ist spannend zu beobachten, mit welcher Absicht die Menschen im Atelier zusammenkommen.“ Für ihn sei das eine faszinierende Art von Gemeinschaft.

 

Atelierbesucherin am Töpfertisch. Bild: Judith Schuck

Ausstellungen sollen Aufmerksamkeit und Verbindung fördern

Im Ursprung des Living Museums liegt die Annahme, dass der psychiatrische Patient zum Kunstschaffenden wird. Menschen, die extreme psychische Erfahrungen gemacht haben, verfügen oft über ein grosses künstlerisches Potenzial. Der Kunsthistoriker und Psychotherapeut Hans Prinzhorn erkannte dies schon in den 1920er Jahren, wo er sich bereits dafür einsetzte, Patientenwerke in Museen auszustellen. 

Seit 2001 hat die Sammlung Prinzhorn ein eigenes Museum auf dem Gelände der Universität Heidelberg. Für das Team vom Offenen Atelier war die Öffnung nach draussen stets zentral. Es finden auch immer schon Ausstellungen und Veranstaltungen statt, die allen offen stehen.

„Inhaltlich wird sich mit dem Living Museum wenig für uns ändern, weil wir dem Konzept schon nahe sind“, sagt Lenka Roth. Die Philosophie des Living Museums distanziere sich aber noch mehr von der Therapie. „Es geht um freies Gestalten der einzelnen Kunstschaffenden und die Zugehörigkeit zum Kunstbereich.“ Identitätswechsel findet sie zwar ein starkes Wort, aber die Bewegung ginge in diese Richtung. „Nicht alle, die das Atelier betreten, sind Künstler:innen. Es geht um die Auseinandersetzung mit Kunst und dem Kunstmarkt, mit Erfahrungen und dem Voneinanderlernen.“

Kostengünstiger Therapieraum

Indem das Offene Atelier Teil dieser Bewegung wird, soll seine Wichtigkeit noch mehr hergestellt werden. Alle können kommen, frei schaffen und gleichzeitig bewegen sie sich in einem geschützten Rahmen. Die Community habe zudem noch stärker den politischen Ansatz, Menschen mit psychischen Erkrankungen mehr Raum in der Gesellschaft zu verschaffen respektive die Gesellschaft ins Living Museum zu holen, von wo aus sie geheilt werden soll. 

Das Konzept beherbergt aber auch einen ganz praktischen Aspekt: Das Living Museum bietet vielen Menschen Raum und ist kostengünstiger als die Therapie in der Klinik. Die allgemeinen Sparmassnahmen von Bund und Kantonen werden wohl auch nicht Halt vor dem Living Museum in Kreuzlingen machen. Als Teil eines Netzwerks hoffen Lenka Roth und Bennett Hutzelmeier, vom Austausch und Miteinander profitieren zu können.

Aktuell nutzen im Schnitt gut 50 Leute das Living Museum in Kreuzlingen als kreativen Arbeitsort. Die Räumlichkeiten und personellen Ressourcen sind begrenzt, sonst wären es noch mehr, glaubt Lenka Roth. „Mal sehen, was die Community für Impulse gibt“, sagt sie und Bennett Hutzelmeier ergänzt: „Wir sind mittendrin in einer neuen Bewegung.“

 

Das Living Museum Kreuzlingen - ein Ort für Kreativität. Bild: Judith Schuck

 

Eröffnung des ersten Living Museum im Thurgau

19. September, 16 bis 21 Uhr, Hauptstrasse 22 in Kreuzlingen.

18 Uhr offizielle Begrüssung

Apéro mit Livemusik der Band „Herr Oberförster und Elke trommelt“

Rose Ehemann, Leiterin des Living Museum Wil sowie Präsidentin dse Vereins Living Museum Schweiz, wird als Gästin anwesend sein.

 

 

 

 

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