von János Stefan Buchwardt, 06.04.2018
Kopfkino mit Herz
Wo unter Matthias Bossharts künstlerischer Hand Askese und Ekstase verschmelzen, erheben sich Malerei und das Medium Film zur Pars-pro-toto-Funktion. Scharf gestellt wird auf Würde und Achtung. Teil 4 unserer Serie «Neue Kunst in der Kartause» widmet sich einer abermaligen bosshartschen Bildtafel im Kunstmuseum Thurgau.
Dass er nah daran sein dürfte, noch zu Lebzeiten als herausragender Sohn seiner thurgauischen Geburtsgemeinde Eschlikon geführt werden zu müssen, darf schmunzelnd vorangestellt werden. Die Erstvergabe des Adolf-Dietrich-Förderpreises ging 1984 an den jungen Matthias Bosshart, in Doppelpreisträgerschaft mit Richard Tisserand. Der Museumsdirektor Markus Landert zollt dem 1950 Geborenen seinen Respekt. Um einen Neuankauf von 2016 herum taxieren die Zuständigen des Kunstmuseums Thurgau den in Zürich lebenden Bosshart wie folgt:
Er sei ebenso Filmer wie Maler und füge die Medien auf ungewöhnliche Weise zueinander. Im geometrischen Bild mit langem und anspielungsreichem Titel (siehe Bildtext unten) bildeten 35-mm-Filmstreifen die dunkle Struktur. «Kaleidoskopisch muten die repetitiv gespiegelten, kristallinen Formen an. Von einem schematischen Konstruktivismus sind wir dennoch weit entfernt, suggerieren doch die kaum erkennbaren Szenen auf den Filmstreifen ein narratives Assoziationsfeld, das jeder mit seiner persönlichen Filmerinnerung füllt.»
Matthias Bosshart, Nachdem Jean-Luc Godard seinen Film «Le mépris» beendet hatte, sandte er Fritz Lang von Metropolis nach Persepolis, wo ihm vor den Toren der zerstörten Stadt Abbas Kiarostami ein Kaleidoskop schenkte., 2013; 35-mm-Film, Aluminiumbronze und Kunstharzlack auf Verbundplatte – Bild: János Stefan Buchwardt
Hymnik der Geometrie
Prägendes Material, so Bosshart, ist und bleibt für ihn der Filmstreifen, teils auf Flohmärkten entdeckt, teils in längst vom Aussterben bedrohten Filmlabors aufgespürt. Als Mann der Schere, des Messers und flüssiger Farbe dürfte er als steinzeitlich eingestuft werden, bemerkt er lächelnd. Bearbeitungen am Computer seien ihm fremd. Stiller Durchschlagskraft tut das keinen Abbruch. Mit handwerklichem Können und hoher ästhetischer Verpflichtung unterläuft er souverän die gängigen Anfordernisse des modernen Kunstbetriebs und überzeugt rundum.
Im Resultat sind die zumeist grossformatigen Filmstreifen-Tableaus, wollte man es poetisch ausdrücken, wie luftgefederte Schwingsitze. Was dem Raumfahrer recht ist, sollte dem Kunstinteressierten billig und teuer sein. Die auratischen Tafeln leben vom Rankenornament. Abstrahierte Arabesken versetzen unseren Geist in Schwingung. Arithmetisch vibrieren die Musterflächen vor unseren Augen und spulen das Sequentielle des Filmes sozusagen im Freeze-Modus ab. Das Bewusstsein für die Wertschätzung des eigenen endlichen Lebensablaufs steht im Raum. «Dichterischer Stimmungsgehalt, Zauber – so oder so ähnlich ist es mit meiner Bildsprache», resümiert Bosshart.
Originalton Matthias Bosshart: «Ausgangspunkt war die Werbefotografie eines Rings oder einer Brosche. Die Form des geschliffenen Steins hat mich interessiert. Durch die Repetition dieser überarbeiteten geometrischen Figur ist eine regelmässige Struktur entstanden.» Bild: János Stefan Buchwardt
Ausgereifte Preziosen
Generalisierend gesprochen ist Bosshart ein systematischer Konstrukteur, der Schöpferisches rational und Überbordendes gefasst ins Lot zu bringen weiss. In (farb)verspielter Formstrenge mutiert die Flüchtigkeit der Welten zur handfest feinsinnigen Schau auf das Wissen um all jene überwältigenden Kräfte, vor denen wir erzittern. Seine sporenbildenden kosmologischen Verzauberungen nähren sich von arabischer Ornamentik wie von der verpixelten Fotografie in Nahaufnahme, von digitalen Strukturen wie von einer sich über Mathematik kreierenden Kunst.
Das mit dem überlangen Titel versehene Bild sei eines der ganz wichtigen aus dieser Zeit, konstatiert Bosshart. Aus verschiedenen Ingredienzien habe er die fabulierfreudige Betitelung zusammengeschustert: «Le mépris», einer seiner Lieblingsfilme von Godard, in dem der über seinen Stummfilm «Metropolis» unsterblich gewordene Fritz Lang eine kleine Rolle habe; die Achtung vor dem iranischen Filmemacher Kiarostami; das von Alexander dem Grossen zerstörte Persepolis; die Freiheitsbewegungen des Arabischen Frühlings. Das Kaleidoskopartige sei hier auch Hinweis auf die unaufhörlich sich auffächernde Herrschsucht des Menschen.
Originalton Matthias Bosshart: «Zeichnen, kopieren, zusammenkleben. Zuerst alles nur schwarz-weiss. Später kommt Farbe, dann stufenweise Inhalte hinzu. Ich erinnere mich an etwas, treibe das Bild in eine Richtung, die mir vorschwebt. Das ist schriftlich nur schwer zu erklären. Findungen kommen oft aus Teilen von Bildern, die ich schon früher gemalt oder gezeichnet habe.» Bild: János Stefan Buchwardt
Metaphysik des Kategorisierten
Im Herstellungsprozess akkurat, inhaltlich assoziativ ausholend, so also versucht der Künstler sich mit seinen Mitteln auch erdrückenden realpolitschen Gegebenheiten zur Wehr zu setzen. Sein Output lebt von zwar gebündelter und gebändigter, keineswegs aber einengender Variation der Ausdrucksformen. Quintessenz, wenn Bosshart in bodennahen Prozessen hybriden Eroberungsgeist hinwegschnippelt, die Logik zweckrationalen Denkens abklebt, Bilderfolgen abrollt und sie mit dem Roller übermalt: Alles lässt sich eben nicht (er)messen.
Entdecken wir in der grossen neuen Tafel (122 x 298 cm) das Versprühen optischer Lustbarkeit in der Raumlehre, den Universalitätsanspruch einer meisterhaften Abstraktion und eine Formelhaftigkeit von Melancholie und Anfechtung gleichermassen. In proportioniert lauter Ruhe und gebotener Sachlichkeit birgt sie Spiritualität in sich. – Dem Museumsdirektor das letzte Wort. Er spricht von einer «Verbildlichung einer Bildtheorie des 21. Jahrhunderts». Alle Bilder, die uns umgeben, sind ein riesiges Kaleidoskop. Lassen wir uns zum Wahrnehmungserlebnis verführen.
Originalton Markus Landert: «Bosshart zelebriert die Materialität des Bildlichen und des Bildträgers und macht nichts anderes als Bilder, Filme wieder zu einem statischen Bild zurückzuführen. Im Prinzip ist das Reflexion und Abgesang auf die Bilderfluten, die sich in ihrer Materialität verändern und damit auch neue Bildqualitäten, also Bildeigenschaften erschaffen.» Bild: János Stefan Buchwardt
Originalton Matthias Bosshart: «Die Resonanz ist nicht gross. Ausser einem kleinen Kreis von SammlerInnen, GaleristInnen, KünstlerInnen und FreundInnen höre ich kaum etwas. Auch Rückmeldungen gibt es kaum.» Bild: János Stefan Buchwardt
Weiterlesen:
Links zu Matthias Bosshart:
https://www.gbg-galerie.ch/kuenstlerinnen
http://www.werkschautg.ch/kuenstlerinnen
http://www.kunstraum-kreuzlingen.ch/filmschnitt/
Die weiteren Teil der Serie "Neue Kunst in der Kartause"
Teil 1 unserer Serie "Neue Kunst in der Kartause" über das Werk «Terra incognita» von Herbert Kopainig können Sie hier lesen: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3529/
Teil 2 widmet sich dem Künstler-Duo huber.huber (Reto und Markus Huber) mit ihren Regenbogensteinen und ihrem «Prozess des Veschwindens». https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3539/
Teil 3: Die bemerkenswerten Bildkompositionen «After Hiroshige» der Arboner Fotografin Esther van der Bie https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3554/
Wer über die Ankäufe entscheidet
Die Sammlung des Kunstmuseums Thurgau wächst ständig. Seit 2012 gibt es zusätzlich zum ordentlichen Ankaufsbudget einen Kredit über 100.000 Franken aus dem Lotteriefonds für Ankäufe, über dessen Verwendung eine Kommission entscheidet. Diese setzt sich zusammen aus Katharina Ammann, Abteilungsleiterin beim Schweizerischen Institut für Kunstgeschichte, Alex Hanimann, Künstler, und Hans Jörg Höhener, Präsident der Kulturkommission Thurgau. In der Ausstellung «Neue Kollektion – Die Sammlung wächst» gibt das Kunstmuseum Thurgau noch bis zum 22. April 2018 einen Überblick über die Ankäufe der letzten drei Jahre. Anhand der Ausstellung lässt sich trefflich diskutieren, was denn heute gute und zukunftsträchtige Kunst sei.
Weitere Beiträge von János Stefan Buchwardt
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