von Fabian Ziegler, 17.08.2023
«Habt keine Angst vor zeitgenössischer Musik!»
Mein Leben als Künstler:in (10): Der Schlagzeuger Fabian Ziegler über seine Lieblingsmusik und warum es nicht immer Mozart, Beethoven oder Bach sein müssen. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Heute möchte ich über ein für mich wichtiges Thema sprechen. Die zeitgenössische Musik. Als Schlagzeuger bin ich dafür prädestiniert. Unser Instrument, die klassische Perkussion als Kammermusik und Soloinstrument, besteht noch keine 100 Jahre.
Deshalb gibt es für diese noch junge Musiksparte keine Werke grosser Komponisten wie zum Beispiel Mozart oder Beethoven. Darum ist der grösste Teil der Werke, welche ich an Konzerten präsentiere von zeitgenössischen Komponisten.
Zeitgenössische Musik heisst eigentlich nur, dass es Musik von heute ist
Zeitgenössische Musik wird vom Publikum oft als inhaltslos und zufällig angesehen. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch sehr schnell fest, dass dieser Eindruck täuscht.
Es gibt viele verschiedene Arten der zeitgenössischen Musik. Vereinfacht gesagt ist jeder neue Popsong zeitgenössische Musik, denn der Songwriter oder die Songwriterin, haben das Lied in der heutigen Zeit geschrieben.
Musik der Zeit voraus?
Landläufig wird der Begriff «zeitgenössische Musik» als wenig verständlich oder abstrakt eingeschätzt. Komplexe Strukturen, ungewohnte Akkorde oder Rhythmen, dissonante Klänge oder oft Musik die ausschliesslich auf Effekten basiert, überfordern vielfach Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher, die sich nicht mit dieser Art Musik auseinandersetzen.
Vergessen wir nicht – auch zu Zeiten von Hector Berlioz, in der Romantik und mit dem Start der Programmmusik, war seine Musik neu, schwer zu verstehen und wurde von einem breiteren Publikum nicht angenommen. Seine «Symphony Fantastique» war bei der Uraufführung ein Debakel – heute ist sie eines der grossen, klassischen Werke. Sind Komponistinnen und Komponisten mit solchen Werken ihrer Zeit voraus? Die Zukunft wird es zeigen.
Musikalische Geschichte von heute
Meine bevorzugte Art der zeitgenössischen Musik sind Werke, die eher der Programmmusik/Filmmusik näher sind als der Avantgarde Musik.
Mir ist es wichtig in meinen Konzerten Geschichten mit der präsentierten Musik zu erzählen. Das mache ich zum einen mit der bewussten Zusammenstellung der Konzertliteratur, zum anderen mit den einzelnen Werken, welche oft eine klare Geschichte im Hintergrund haben.
So zum Beispiel mit dem Werk «RealBadNow» von John Psathas, welches sich mit der Entwicklung unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Unterstützt wird dieses Stück unter anderem auch von Visuals, welche vom Komponisten so vorgesehen sind und Teil der Perfomance sind. Das folgende Hörbeispiel soll die Hemmschwelle zur zeitgenössischen Musik etwas abbauen helfen.
Mut haben für Neues
Es muss nicht immer nur Mozart, Beethoven, Brahms oder Bach sein. Die verschiedenen Arten von zeitgenössischer Musik werden oft in einen Topf geschmissen. Vorurteile wie «Ich gehe nicht ins Konzert – diese Musik werde ich sowieso nicht verstehen – das ist nichts für mich» verhindern vielfach überraschende musikalische Erlebnisse und andere Sichtweisen.
Genau diese Gedanken möchte ich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser ändern. Haben Sie Mut für Neues! Zeitgenössische Musik kann genauso bereichernd sein, wie das Repertoire der Klassik, des Barocks oder anderer bekannten Stilrichtungen. Und manchmal ist es auch die zeitgenössische Interpretation genau dieses «alten» Repertoires, welche uns zum Staunen versetzt. Folgendes Hörbeispiel verdeutlicht meine These eindrücklich.
Auf zum Konzert
Höchste Zeit also, sich die nächsten Konzerttermine mit Programmen ohne Beethoven und Mozart in die Agenda einzutragen. Der Mut wird bekanntlich belohnt 😉 Hier auch dafür eine Hilfe von www.fabianziegler.ch, Ihrem Percussionisten aus Leidenschaft (und zeitgenössischen Künstler).
Die Serie «Mein Leben als Künstler:in»
Im Juni 2023 lancieren wir die neue Kolumnenserie «Mein Leben als Künstler:in». Darin schreiben die vier Künstler:innen Ute Klein, Fabian Ziegler, Thi My Lien Nguyen über ihren Alltag und ihre Arbeit. Diese vier Künstlerinnen und Künstler schreiben bis Ende Oktober 2023 regelmässig und abwechselnd ihre Kolumnen für die neue Serie. Sie erscheint ab dem 15. Juni immer donnerstags. Die Vorgaben, die wir aus der Redaktion gemacht haben, waren minimal. In Thema, Stil, Darstellungsform, Tonalität und Medialität sind alle Autor:innen frei. Die Autor:innen können sich aufeinander beziehen, müssen es aber nicht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Dingen, die die Künstler:innen beschäftigen, wie den Bedingungen des Kulturbetriebs oder auch mit dem Kulturleben im Thurgau oder was auch immer, ist genauso möglich wie eine Schilderung des Alltags. Ziel der Serie ist es, ein möglichst realistisches Bild der verschiedenen Künstler:innen-Leben zu bekommen.
Idealerweise entsteht so ein Netz aus Bezügen - interdisziplinär und umspannend. Mit der Serie „Mein Leben als Künstler:in“ wollen wir den vielen Klischees, die es über Künstler:innen-Leben gibt, ein realistisches Bild entgegensetzen. Das soll unseren Leser:innen Einblicke geben in den Alltag der Kulturschaffenden und gleichzeitig Verständnis dafür schaffen, wie viel Arbeit in einem künstlerischen Prozess steckt.
Denn nur wer weiss, wie viel Mühe, Handwerk und Liebe in Kunstwerken steckt, kann die Arbeit von Künstler:innen wirklich wertschätzen. So wollen wir auch den Wert künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft transparenter machen. Neben diesem aufklärerischen Ansatz ist die Serie aber auch ein Kulturvermittlungs-Projekt, weil sie beispielhaft zeigt, unter welchen Bedingungen Kunst und Kultur heute entstehen.
Was wir uns als thurgaukultur.ch auch erhoffen mit der Serie ist, dass ein neuer Dialog der Kulturschaffenden untereinander entsteht, aber nicht nur. Es soll auch ein Austausch mit dem Publikum, also unseren Leser:innen stattfinden. Das geht über unsere Social-Media-Kanäle, in denen wir direkt miteinander diskutieren können oder in der Kommentarspalte zu den einzelnen Beiträgen auf unserer Website. Wenn du konkrete Fragen an die teilnehmenden Künstler:innen hast, wenn dich ein Themenfeld besonders interessiert, dann kannst du mir auch direkt schreiben, ich leite dein Anliegen dann gerne weiter: michael.luenstroth@thurgaukultur.ch
Alle erschienenen Beiträge der Serie bündeln wir im zugehörigen Themendossier.
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