von Judith Schuck, 08.11.2023
Bildforscher und Dramaturg: Magaros Illusionen sind nah an der Realität
Leicht verdaulich ist das Werk Valentin Magaros nicht. Dafür sehr eindrucksvoll in seiner Fülle an Formen, Konstruktionen und Variationen, mit denen er unsere Gesellschaft abbildet. Seine Ausstellung «Die Brücke» ist bis März im Museum Kunst + Wissen in Diessenhofen zu sehen. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)
Es ist eine Mischung aus durchstrukturierten Kompositionen und freiem Assoziieren, welche die Bilder von Valentin Magaro ausmacht. Seine Sujets wiederholen sich, werden ausprobiert in verschiedensten Konstellationen und Posen. Wer sich auf die Suche nach einer Bedeutung macht, wird sich bei seinem Werk schwertun; kaum glaubt man, einen stringenten Zusammenhang erfasst zu haben, entzieht er sich wieder durch Widersprüche, Zweifel oder etwas Humoristisches.
1972 in Münsterlingen geboren, lebt und arbeitet Valentin Magaro heute in Winterthur. Für ihn war früh klar, dass er Künstler werden möchte. Im Bücherregal der Eltern fand er vor allem Renaissancekünstler. Statt eines freien Kunststudiums entschied er sich für ein Studium in Wissenschaftlichem Zeichnen an der Schule für Gestaltung in Zürich, da er sich zunächst weniger für zeitgenössische Kunst interessierte, sondern das Handwerk von der Pike auf erlernen wollte. 2007 wurde er mit dem Adolf-Dietrich-Förderpreis ausgezeichnet, 2012 mit dem Förderbeitrag des Kantons Thurgau.
Auseinandersetzung mit christlicher Bildtradition
Valentin Magaro sieht sich als Forscher. Er erforscht die Erzählkraft von Bildern; wie mit den Mitteln des Visuellen Geschichten erzählt werden können. Dazu studiert er seit einigen Jahren auch intensiv die christliche Bildtradition. Nicht, weil er – wie man beim ersten Blick auf einige seiner Werke denken könnte – Kirchenkritik ausüben möchte. Und auch nicht, weil er in irgendeiner Form religiös wäre. «Mich interessiert die Dramaturgie und die Raumentwicklung», sagt er bei einem Telefonat, bei dem wir uns über seine aktuelle Ausstellung im Museum kunst + wissen in Diessenhofen unterhalten haben.
Wer in der Museumgasse 11 das verwinkelte, schmucke Gebäude mit herrlichem Blick auf den Rhein betritt, befindet sich im zweiten Obergeschoss. Seit September ist dort und ein Stockwerk tiefer seine Ausstellung «Die Brücke» zu sehen. In der oberen Etage, in der die Besucher:innen empfangen werden, konzentriert sich der Künstler auf christliche Themen. Für ihn entsteht in Konfrontation mit der christlichen Religion eine Reibungsfläche. Auch wenn er kein religiöser Mensch ist, sei er doch in einer christlich geprägten Kultur aufgewachsen, die Sinn- und Lebensfragen beeinflusse.
Nonnen in lüsternen, bisweilen obszönen Posen, mal nackt, mal tough im Minirock mit schwarzen Stiefeln und von einem ikonenhaften Strahlenkranz umgeben. In Déssous oder breitbeinig auffordernd. Mit überschlagenen Beinen auf einem Thron sitzend und rauchend, umgeben von Katzen, erhaben über einer weiteren, breitbeinig liegenden Nonne. Die Gesichter bleiben Masken, sind schemenhaft und ohne Gefühlsausdruck. Es geht nicht um Individuen, sondern vielmehr um immer wieder in neuer Konstellation anwendbare Schablonen.
Einflüsse von Pop-Art, Spätgotik oder Renaissance
Die Motive werden Bestand eines grossen Fundus, an dem sich Valentin Magaro immer wieder bedient und die er durchdekliniert und auf unterschiedlichste Weise variiert: Collagen, Zeichnungen, Acryl, Drucke, Papierskulpturen mit Tapetenmuster. Wir finden Elemente aus der Pop-Art, Computer-Ästhetik, dem Konstruktivismus, auch mal dem Kubismus, wenn Brüste wie zwei Kugeln auf das Kleid der Nonne aufgesetzt werden, die ohnehin wie ein aus geometrischen Formen gebastelter Papierhampelmann wirkt. Ausserdem bewundert er das Werk von Hans Memling und Hieronymus Bosch.
Die Bilder sind gespickt von Figuren, Raumkonstruktionen, Formen und Mustern. Auch Tiere huschen immer wieder durch, allen voran die Katze und der Hase. In der chinesischen Kultur ist 2023 das Jahr des Hasen. Mit Peter Stohler, dem neuen Direktor des Kunstmuseums Thurgau, verbindet ihn eine lange Freundschaft. Anlässlich Stohlers chinesischer Neujahrsparty erarbeitete Magaro eine Hasen-Ausstellung. Die Katze sei einfach sehr präsent in seinem Leben, da er selbst eine habe. «Meine Arbeit funktioniert wie ein grosser Mixer. Die Attribute haben keine Symbolik.»
Geometrische Formen werden organische Gebilde
Der Mixer taucht auch als Attribut auf. Im Werk «Aufsicht» aus dem Jahr 2022 wirken die fliegenden Küchengeräte im 70er-Jahre-Design wie die Raumschiffe aus frühen Science-Fiction-Filmen. Ein Rührer kommt dem Kopf einer im linken Bildrand leicht gebeugt sitzenden Figur gefährlich nahe. Der Kopf ist eine Kugel, in der sich viele kleine rosa-fleischfarbene Kugeln befinden – Gehirnassoziationen finden sich bei Magaro immer wieder, meist in geometrischen Spielereien, die zunächst rein ornamental scheinen, die Verbindung zum Organischen kommt erst beim zweiten Hinschauen auf. Sein spielerischer Umgang mit Formen und Mustern überrascht immer wieder durch seine Genialität.
Auch wenn er seine Arbeitsweise mit der surrealistischen Technik der Écriture automatique vergleicht, sind die Kompositionen ausgetüftelt, klug und das Düstere, Monströse, das in Form von Skeletten, Totenköpfen und Dämonen auftaucht, wird durch den humorvollen Umgang mit Formen, Räumen oder Wiederholungen der Sujets immer wieder aufgeheitert. Oder umgekehrt: Das scheinbar Harmlose verkehrt sich ins Schreckliche.
Empörungsgesellschaft mit viele Meinungen
Magaro sieht sich als Beobachter des Lebens und unserer Gesellschaft. «Ich habe haufenweise Anspielungen auf sexualisierte Inhalte. Ich möchte die Dinge offenlegen. Die natürlich menschlichen Sachen. Aber seit Jahrzehnten fragen wir uns, wie wir mit Sexualität umgehen sollen, was man darf und was nicht.» Wir lebten in einer unglaublichen Empörungsgesellschaft. «Die Zeiger der Meinungen gehen diametral auseinander. Die einen wollen unbedingt dies, die anderen unbedingt das – und bei gewissen Fragestellungen sehe ich einfach, dass es nicht zusammenkommt.» Als Künstler versucht er ungefiltert die Eindrücke des Lebens darzustellen, in all seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit, ohne zu werten.
Aus diesem Grund entziehen sich den Rezipient:innen auch immer wieder die Bedeutungen; es gibt nicht die eine Aussage, aber es gibt unendlich viele Perspektiven, aus denen wir die Dinge betrachten können. «Wir leben in einer Zeit, in der eine unglaubliche Orientierungslosigkeit herrscht. Ständig ploppen neue Räume auf», sagt der Künstler, der auch gerne mit Illusionsräumen und Fragmentierungen spielt. Seine Skulpturen sind hier ein weiteres Medium, bei dem die Betrachtung anders funktioniert, weil wir drumherum laufen müssen bei gleichzeitig gleichen Sujets wie in seinen Bildern. Dass seine Werke sich immer wieder einer Deutung entziehen, heisst nicht, dass sie keine Bedeutung haben. Sie bilden vielmehr unsere pluralistische, postmoderne Welt ab. «Ich möchte, dass die Betrachtenden ihren eigenen Weg durch die Bilder machen können. Ich sehe sie als mündige Bürger:innen.»
«Die Zeiger der Meinungen gehen diametral auseinander. Die einen wollen unbedingt dies, die anderen unbedingt das – und bei gewissen Fragestellungen sehe ich einfach, dass es nicht zusammenkommt.»
Valentin Magaro, Künstler
Spannende Propaganda-Malerei
Die sachliche Gestaltung seiner Werke erinnert bisweilen an Plakate und Propaganda-Malerei. In seiner neuesten Monografie «Into the Monastery», deren Veröffentlichung am 18. November mit einer Vernissage im Museum kunst + wissen gefeiert wird, sagt er im Gespräch mit Verleger Thomi Wolfensperger und der Fotografin Shirana Shihbazi: «Propaganda-Malerei interessiert mich tatsächlich sehr. Hier geht es um die Frage: Was können Bilder? Wie funktioniert eine Leserichtung, wie komponiert man eine klare Aussage, welche Mittel stehen den Künstler:innen zur Verfügung, um zum Beispiel pathetische Idealbilder zu erschaffen?»
Ihm geht es um das Handwerk der Bildsprache, nicht um die Ideologie dahinter. «Bei Propaganda-Bildern denkt man ja gerne an den sozialistischen Realismus. Aber nehmen wir zum Beispiel die Bilder der katholischen Kirche der letzten Jahrhunderte. Die sind eigentlich nichts anderes als Propaganda-Kunst in eigener Sache», so Magaro.
Gewagte Perspektive einer bedeutsamen Brücke
Einen Stock tiefer setzt er sich mit dem Werk des Diessenhofer Malers Carl Roesch auseinander. Als Anknüpfungspunkt fand er dessen Brückenbilder. Er findet Roeschs Darstellungsweise sehr interessant: Dieser habe einen Kunstgriff verwendet, indem er die Brücke diagonal statt im 90 Grad-Winkel malte. «Das ist ein Kunstgriff, den man erst mal wagen und machen muss», sagt Magaro. Die Diessenhofener Brücke habe ausserdem eine kulturhistorische Bedeutung, die nicht zu unterschätzen sei. Sie verbindet Deutschland und die Schweiz. Roesch stammte ursprünglich aus dem deutschen Gailingen und wuchs in Diessenhofen auf. Gerade während der Nazi-Zeit habe die Brücke eine bedeutende Rolle gespielt.
«Ich wollte eine eigene Arbeit zu dieser Brücke entwickeln und verbrachte dazu vier Tage in Diessenhofen.» Tagsüber lief Valentin Magaro um die Brücke herum, fertigte jede Menge Skizzen an, aus denen er schliesslich eine Werkserie «mit sehr eigenen Interpretationen» entwickelte. Seine Arbeit an der Brückenserie ist noch nicht abgeschlossen. Neue Arbeiten würden in der aktuellen Ausstellung ab Januar gegen alte ausgetauscht. Wer die Ausstellung also bereits besucht hat, kann sie im neuen Jahr noch einmal mit neuen Werken angereichert betrachten. Das reichhaltige, originelle Werk Magaros gibt ohnehin immer wieder neue Entdeckungen preis.
Valentin Magaro im Interview mit arttv.ch
Rahmenprogramm «Die Brücke»
18. November, 17 Uhr: Buchvernissage mit Apéro: «Into the Monastery»
8. Dezember, 18 Uhr: Adventsfensteranlass «Unsere Brunnen und ihre Sterne», Präsentation von Madeleine Felber mit Musik von Nathanael Meier-Bonilla
28. Januar, 14 Uhr: Neujahrsapéro mit Künstlerführung
17. Februar, 14 Uhr: Atelierbesuch in Winterthur
7. März, 18 Uhr: Geburtstagsapéro
10. März, 16 Uhr: Finissage mit Führung und Apéro
Von Judith Schuck
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