von Anabel Roque Rodríguez, 12.07.2019
Zwischen Heimat und Kohl
Seit vielen Jahren bietet das Sommeratelier in der Remise Weinfelden Künstlern die Möglichkeit, konzentriert an einem neuen Werk zu arbeiten. Dabei entsteht oft Spannendes. So wie jetzt bei Esther Huser. Ein Atelierbesuch
Esther Huser ist eine figurative Malerin, die unprätentiös Dinge, die sie umgeben darstellt. Über vier Jahre hat sie sich in einer Serie dem Kohl gewidmet, in der neuen Serie geht es um das Thema Heimat. Ein Konzept, dass gerade in der heutigen Zeit nicht leicht anzupacken ist. Die Künstlerin ist in diesem Jahr Gast in der Remise in Weinfelden und arbeitet seit Februar - wobei es da noch zu kalt war das Atelier zu beziehen, wie die Künstlerin verrät - bis zur finalen Ausstellung im September an der neuen Serie vor Ort. Der Besuch im Atelier entwickelt sich zu einem spannenden Gespräch über Heimat, Klischees in der Kunst und der Suche nach Zufriedenheit.
In einer globalisierten Welt über Heimat zu sprechen fällt nicht leicht. Der Begriff ist in der heutigen Zeit politisch so vereinnahmt worden, dass er leider zu häufig im Zusammenhang mit Ausgrenzung fällt. Heimat ist ein individuelles Gefühl und vielleicht letzten Endes stärker mit Regionen als mit Nationalstaatlichkeit verbunden. Häufig offenbart sich das Gefühl gerade im Alltäglichen: Essen wird zum ersten Vokabular für Heimat. Betrachtet man die Werke von Esther Huser, liegt es irgendwie nahe, dass sie sich nach vier Jahren an ihrer Kohlserie nun dem Thema widmet. Die neue Serie befindet sich noch in der Recherchephase, erste Werke zu Wolken sind bereits entstanden. «Nicht jeder war von meiner Idee über Heimat zu arbeiten begeistert. Ich musste die Jury des Sommerateliers erst überzeugen. Es gibt viele Klischees über das Thema. Mich reizt es diese kennenzulernen.», erzählt die Künstlerin im Gespräch.
«Heimat wird so oft nur politisch benutzt, ich wollte danach suchen was Heimat schaffen eigentlich bedeutet.»
Esther Huser, Künstlerin
Wie setzt man sich also künstlerisch mit diesem Thema auseinander? An den Wänden im Atelier hängen verschiedene Recherchen zum Thema Landwirtschaft, Wolken und Fotos von geschützten Bäumen im Thurgau. In ihrer Recherche ist sie minutiös Ämter abgefahren, hat mit der Denkmalpflege über Scheunentore diskutiert und Fakten in ihr Arbeitsbuch eingetragen, um ein Gefühl zu bekommen wie sie das Thema als figurative Malerin darstellen könnte. «Heimat wird so oft nur politisch benutzt, ich wollte danach suchen was Heimat schaffen eigentlich bedeutet.»
Ihre Suche führt sie zu einer Art Heimat in der Imagination. Auf einem ihrer Arbeitstische im Atelier finden sich Skizzen mit fiktiven Landkarten in denen sich auf den zweiten Blick die gezeichneten Wege als Sätze über Heimat entpuppen: «Heimat ist im Thurgau» «Heimat hat auch viel mit Karten zu tun» Die Züricherin ist vor ein paar Jahren nach Weinfelden gezogen und hat hier ihre Heimat gefunden. Während ihre ersten künstlerischen Arbeiten noch die Züricher Stadtlandschaft zeigten, hat sich seit dem Umzug der Fokus Richtung Natur, Stillleben und Himmel verschoben. «Es ist eine Suche vom Schönen im Kleinen» beschreibt es die Künstlerin.
Mit dem Kohl der Zufriedenheit ein Stückchen nähe
Die Werke von Esther Huser werden immer wieder zum Fotorealismus gerechnet, dabei geht es bei ihr nicht unbedingt ausschliesslich um handwerkliche Perfektion, als vielmehr darum ein bestimmtes Gefühl zu transportieren. «Ich mag es, Dinge genau zu betrachten und nah ranzugehen», sagt sie. Das fällt auch in ihren Werken auf, die Motive sind dicht und man ist mitten im Ausschnitt, ohne den Bildrand für viel Kontext zu erhalten. Sie fotografiert ihre Motive und fügt sie anschliessend in wochenlanger Arbeit am Computer zu einer Komposition zusammen. Ein Werk kann aus unzähligen fotografischen Ausschnitten bestehen, bis es dann auf der Leinwand umgesetzt wird. «Das Schöne hat für mich mit einem Gefühl der Zufriedenheit zu tun. Es ist ein individuelles Gefühl. Ich bin immer noch auf der Suche, diesem inneren Gefühl in einem meiner Bilder nahe zu kommen».
Es scheint, als ob sie den Moment der Zufriedenheit festhalten möchte und doch weiss, dass dieser Zustand vergänglich ist. Ihre Werke stehen damit in der kunsthistorischen Tradition von Stillleben, die sich mit Vergänglichkeit, dem klassischen Thema des memento mori, auseinandersetzen. Bei ihrer künstlerischen Suche nimmt sie sich Zeit, neben den Studierbildern gibt es im Jahr vielleicht ein oder zwei fertige «Meisterstücke». Schon aus ökonomischen Gründen ist es ungewöhnlich, dass sich eine Künstlerin so viel Zeit leisten kann. Esther Huser geht aber gerne ihren eigenen Weg.
Über Klischees in der Kunst
Die Kunst war schon immer ihre grosse Liebe, aber professionell führte sie der Weg erst in andere Richtungen. So arbeitete sie über 10 Jahre als Navigatorin auf einem Segelschiff. Mit viel Disziplin und verschiedenen Kursen in den USA hat sie sich das Handwerk angeeignet und geht nun seit einigen Jahren den professionalen künstlerischen Weg. Bis heute ist es für Künstler deutlich schwieriger ohne ein Studium an der Kunstakademie in der Kunstwelt Fuss zu fassen. «Mich interessieren die absoluten No-Gos und Klischees. In der Kunst begegnen mir davon viele wie zum Beispiel, dass die figurative Malerei langweilig oder passé ist; die heutige Kunst ausschliesslich konzeptuell funktioniert; auch die eigenwillige Terminologie in der Kunst wundert mich oft, Aussagen wie, ‘einen Ausstellungsraum zu bespielen’, dabei mache ich doch ernsthafte Kunst. Es begegnet mir auch häufig das Klischee, dass figurative Malerei meist Menschen zeigt - oft in Form des weiblichen Aktes oder andere sexualisierte Darstellungen - und da komme ich mit meinem Kohl.»
Die Kunstwelt und ihre Regeln
Esther Huser ist diszipliniert und es überrascht kaum, dass sie an der Atelierwand ein eigenes Regelsystem über künstlerisches Arbeiten aufgehängt hat. Ihr System beinhaltet essentielle Fragen zu künstlerischer Originalität, Entwicklung sowie Kommunikation, aber auch eine Erinnerung daran, das Spielen unter dem Arbeiten nicht zu vergessen. Trotz ihrer Liebe für Systematik und Disziplin, gibt es in der Kunstwelt aber auch einige ungeschriebene Gesetze, die eher hinderlich sind. So hält sich der seltsame Glaube, dass künstlerischer Erfolg an Alter gebunden ist und somit linear mit den Jahren eintritt. Viele Ausschreibungen haben eine Altersbeschränkung bis 35 Jahre, als ob Künstler danach keine Optionen für Entwicklungen benötigen. «In den USA gibt es viel mehr Wettbewerbe die alters-, geschlechts- und bildungsfrei sind. In der Schweiz ist es für mich schwieriger an bestimmten Ausschreibungen teilzunehmen.»
Das ist ein Grund dafür, warum die Künstlerin in den USA bisher viel mehr Erfolge feiern konnte und dort regelmässig an Ausstellungen teilnehmen kann. Kurz vor meinem Besuch im Atelier hat die Künstlerin eine Auszeichnung in den USA erhalten. So ist eines ihrer Werke aus der Kohlserie «In the field» in dem jährlich stattfindenden Wettbewerb für die Art Renewal Center Salon Exhibition, zum Thema Contemporary Realism Art, angenommen worden. Die Wanderausstellung ‘Salon Exhibition’ beginnt im Dezember im Museum für moderne Kunst in Barcelona (MEAM) und endet im Juli 2020 mit einer Ausstellung bei Sotheby’s in New York. Bis dahin nimmt sich die Künstlerin weiterhin die Zeit, die sie braucht und arbeitet weiter in der Remise in Weinfelden.
Das Sommeratelier Weinfelden
Das Sommeratelier: Seit 1992 wird die Remise des Hauses zum Komitee für kulturelle Zwecke genutzt. Die Liste der bisherigen Stipendiaten liest sich wie das Who is who des Thurgauer Kulturlebens: Steffenschöni, Rahel Müller, Rachel Lumsden, Hans Gysi, Othmar Eder, Werner Widmer, Ernst Thoma und viele andere. Die Gemeinde Weinfelden vergibt jährlich dieses Stipendium. Kuratiert wird das Sommeratelier von Brigitt Näpflin Dahinden und Ivo Dahinden. Künstlerinnen und Künstler sollen hier die Gelegenheit haben, ein längerfristig angelegtes Kunstprojekt zu realisieren. Dafür bekommen sie einen finanziellen Sockelbetrag und alle drei Etagen der Remise, auf denen sie sich austoben können. Mehr zum Sommeratelier gibt es hier: https://sites.google.com/site/sommeratelier
Das Programm des Sommerateliers 2019: Besuch der Remise immer möglich, wenn die Türe geöffnet ist oder auf Anfrage 079 207 82 17
Freitag, 6. September 2019 19 Uhr Vernissage, Einführung: Brigitt Näpflin Dahinden
Freitag, 27. September 2019, 19 Uhr Finissage
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