von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 29.10.2018
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Wissenschaftler und Kulturschaffende haben einen Hang dazu, komplizierte Sprache für einen Ausdruck von Intelligenz zu halten. Warum das fatal für die ganze Gesellschaft ist
Die deutsche Sprache hat es manchmal schwer. Weil es Menschen gibt, die ihr willentlich Gewalt antun. Sie so entstellen, dass sie kaum mehr verständlich ist. Wissenschaftler zum Beispiel. Sie bauen ein Gewirr aus Schachtelsätzen, benutzen möglichst exotisch klingende Fremdworte und kombinieren beides so hinterhältig, dass der gemeine Leser am Ende nur noch Fragezeichen sieht oder die Lektüre nach fünf Versuchen abbricht. Spiegel Online hat vor einigen Jahren mal ein paar besonders schöne Perlen gesammelt. Diese hier zum Beispiel:
„Es stehen sich daher eine in die Breite und Tiefe gehende Wissensentwicklung, die idealiter die Historizität der Gegenstände und ihrer Konzeptionen, also die Fachgeschichte selbst, mit im Blick behält, und ein auf enge Innovationszonen bezogener Erkenntnisfortschritt, der auch das noch nicht Gewusste bereits als Aufgabe scharf umrissen hat, gegenüber.“ Alles klar? Das Zitat stammt aus einem Handbuch für Literaturwissenschaft. Komplizierte Sprache ist in Teilen von Wissenschaft und Kultur noch immer ein Ausweis von Intelligenz. Dabei ist es doch gerade andersherum: Es ist viel schwieriger und den eigenen Intellekt herausfordernde, komplexe Sachverhältnisse einfach und verständlich zu beschreiben als sie durch eine aufgeblähte Sprache noch komplexer zu machen.
Kunst und Kultur sollten für alle offen sein
Was in der Wissenschaft in Teilen noch nachvollziehbar sein mag, weil sich wissenschaftliche Texte in der Regel an ein Fachpublikum richten, und nicht in allen Fällen von allen gleich verstanden werden müssen, wird in der Kunst und Kultur absurd. Kunst, Theater und Literatur sollten einen viel weiteren Publikumsbegriff mitdenken, wenn sie breit und umfassend wirken wollen. Aber auch dort wird das oft nur halbherzig und wenn, dann auch eher schludrig gemacht. In einem Beitrag in dem Blog Marta hat das Roland Nachtigäller, Direktor des Kunstmuseums „Marta Herford“, schön auf den Punkt gebracht und die Bezeichnung „Fachsprech" dafür eingeführt.
„Fachsprech dient nicht dazu, Zusammenhänge zu präzisieren und einen Gedanken differenziert darzustellen. Nein, diese Begrifflichkeiten sind Instrumente der Verschleierung, unspezifisches Wortgewölk, das den Anschein involvierten Sprechens (aber ohne erkennbare geistige Anstrengung) erzeugen soll.“
Wer so schreibt, der schafft ein Innen und ein Aussen
Das ist eine Sprache, die sich nur selbst bestätigen will, wie komplex sie sein kann. Die sich darin gefällt, wie rätselhaft und unverständlich sie ist. Natürlich hat das auch was mit einer Sehnsucht zu tun. Einer Sehnsucht, sich abheben zu wollen. Und Grenzen zu ziehen. Wer so spricht oder schreibt, der schafft ein Innen und ein Aussen. Das Innen ist ein Club, der aus Menschen besteht, die ihre eigenen Codes, ihre eigene Sprache ganz geil finden, weil sie sich vor allem unter ihresgleichen wohlfühlen und eigentlich nichts erklären wollen. Das Aussen sind all die vielen anderen Menschen, die nicht die Entschlüsselgewalt all jener ausgefeilten Codes besitzen, die nicht aus der gleichen Filterblase stammen. Für sie ist die Fachsprache wie ein breitschultriger Türsteher, der sagt: Du kommst hier nicht rein.
Kultur als Brücke über ein Filterblasen-Meer
Das ist nicht nur ein Problem für Kunst und Wissenschaft. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Weil es mit dazu beiträgt, dass die Gesellschaft auseinander driftet und sich Fronten bilden zwischen denen, die die jeweilige Sprache verstehen und jenen, die sie nicht verstehen. So wächst nur eins - gegenseitiges Unverständnis. Dabei könnten gerade Kunst und Kultur zu mehr Verständnis beitragen. Sie verfügen über die Kraft, Brücken über ein Meer von Filterblasen sein zu können. Sie könnten eine Verbindung schaffen zwischen all den unterschiedlichen Realitäten, die es mittlerweile da draussen gibt. Im besten Fall vermögen es Kunst und Kultur, eine komplizierte Welt aus ganz vielen Perspektiven zu betrachten und helfen uns so dabei, diese Welt am Ende vielleicht ein klein wenig besser zu verstehen.
Wendet sich Kunst vom Publikum ab, wird sie zu eitler Selbstbefriedigung
Das geht aber nur, wenn man sich verständlich ausdrückt. Freilich bedeutet das nicht, dass jede Kunst ihr Geheimnis auf den ersten Blick preisgeben soll. Man darf durchaus auch vom Publikum etwas erwarten. Man darf zum Beispiel erwarten, dass es Fragen stellt, sich Zeit nimmt. Die Enträtselung der Welt geht schliesslich nicht im Handumdrehen. Was Kunst und Kultur indes vermeiden sollte: Sich selbst zu sehr in der eigenen Rätselhaftigkeit und Unentschlüsselbarkeit zu gefallen. Dann wendet sie sich von den Menschen ab und ist nur noch eitle Selbstbefriedigung.
Wir bei thurgaukultur.ch versuchen, das anders zu machen. Wir wollen über Kunst und Kultur so schreiben, dass man es auch verstehen kann, wenn man kein Fachstudium dazu absolviert hat. Das gelingt uns wahrscheinlich mal besser, mal schlechter. Für den letzteren Fall: Zögern Sie nicht, uns darauf hinzuweisen. Denn: Unser Ziel ist es, mehr Antworten zu geben, als neue Fragen zu verursachen.
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
- Der vierte Neuanfang im siebten Jahr (19.12.2024)
- Adrian Bleisch gibt Galerie auf (16.12.2024)
- Die Qual der Wahl (16.12.2024)
- „Wir müssen wieder lernen, Widerspruch zuzulassen.“ (16.12.2024)
- Die Welt hinter dem Vorhang (10.12.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kolumne
Kommt vor in diesen Interessen
- Die Dinge der Woche
Ähnliche Beiträge
Es ist angerichtet
Als die Kulturstiftung ihren neuen Wettbewerb „Ratartouille“ lancierte, gab es viel Kritik. Die drei Final-Teilnehmer zeigen: Keine der Befürchtungen hat sich bewahrheitet. mehr
Geht das gut?
Mit den Öffnungsschritten inmitten steigender Infektionszahlen geht die Politik ins Risiko. Man kann daran verzweifeln. Oder seinen eigenen Teil dazu beitragen, die Gefahr zu minimieren. Ein Appell. mehr
Man müsste mal
Auf ins Abenteuer: Es gibt so viele Dinge im Leben, die man mal tun müsste. Aber dann kommt doch wieder irgendwas anderes dazwischen. Eine Kolumne zwischen Lebenslust und Sofa-Bequemlichkeit. mehr