von Anabel Roque Rodríguez, 26.08.2024
Das Sammeln als Philosophie
Noch bis 1. September stellt Katja Schenker ihre Arbeiten im Kunstraum Kreuzlingen aus. Darin gibt sie umfassenden Einblick in ihr Schaffen. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Einen Stein in jeder Hand, das fühlt sich gut an. Man geht anders als mit leeren Händen. Die Steine haben mir Gewicht gegeben. Ich war nicht allein. […] Ich sammle in der Hoffnung mit den Dingen vertraut zu werden.», hört man die Künstlerin Katja Schenker in ihrem Film «Dreamer (wie tief ist die Zeit?)» sagen. Und genau dieser intime Moment des «Sich-Vertraut-Machens» wird für Besuchende der Ausstellung sichtbar gemacht.
Im Kunstraum Kreuzlingen zeigt die 55-Jährige Videos ihrer Performances, Skulpturen und Zeichnungen, die zwischen 2011 und 2024 entstanden sind. Der Ausstellungstitel «Die Augen der Hand» hat etwas beinahe Spirituelles und vielleicht geht es um genau die sinnliche Erfahrung, etwas mit den Händen zu schöpfen und eine Vision handwerklich umzusetzen.
Betonplatten und Fischernetz
Der Körper und der Dialog mit dem Material sind ein zentrales Element im Werk von Katja Schenker. Da sind zum Beispiel die «dresses», Betonplatten mit Pigment gemischt, die fragil an metallischen Kleiderhaken hängen. Das Material selbst ist eher schwer und starr, wird aber durch das unterliegende Fischernetz aus seiner Starrheit befreit und beweglich. Es verhält sich auch deshalb anders, weil die Künstlerin diese «dresses» getragen hat und in Performances die Betonplatten an ihrem Körper gebrochen hat.
Das Material wird zum Zeuge des Körpers und der Körper wird zum Partner des Materials. Es sind eigenständige Arbeiten, die nicht die Performance dokumentieren, sondern sie schaffen es, eine Erfahrung im Material festzuhalten. Für die Künstlerin steht die Arbeit am Körper als Erfahrung im Zentrum, es passt also gut in ihre Vita, dass sie vor ihrem Weg zur Kunst viel Zeit mit Sport verbracht hat.
Erklärt sich die Intimität auch von selbst?
Die Arbeiten in der Ausstellung sind alle intim und persönlich und hier liegt die Herausforderung. Funktionieren die Werke, auch ohne, dass die Künstlerin als Mittlerin Kontext und ihre Erfahrungen liefert? In diesem Fall ja, denn die Arbeiten verewigen den Dialog zwischen Körper und Materialität, beinhalten eine sinnliche Ebene und öffnen sich als Archiv für verschiedene Dinge, die in Kontext gebracht werden.
Als Betracher:in darf man diesem Dialog beitreten und man fragt sich unweigerlich, wie wir uns eigentlich die Welt, die uns umgibt selbst vertraut machen.
Im Parterre des Kunstraumes finden sich vier Filme, die zusätzliche Perspektiven zu den Performances oder direkt in das Entstehen der Arbeit «Dreamer (Wie tief ist die Zeit?)» geben. Interessant ist, dass man als Besuchende hier angeleitet wird, selbst Zeit mitzubringen, denn die Filme laufen nicht gleichzeitig nebeneinander, sondern sind auf Wunsch der Künstlerin gestaffelt geschaltet; ein Countdown zeigt an, wie lange man zu warten hat. Kunst ist hier nicht einfach Konsumation, sondern erfordert Aufmerksamkeit.
Vom Sammeln und Finden
Neben dem Körper steht das Material im Zentrum und dazu gehört auch das minutiöse stundenlange, fast obsessive Sammeln von Rohstoffen: Steine, Hölzer und Metall. Sammeln wird zu einer Suche nach Verbindungen. Das einzelne Objekt einer Sammlung zu dem Träger von Bedeutung, die nur der Sammler oder die Sammlerin kennt. Sammler:innen sind Getriebene oder wie Katja Schenker es bezeichnet «von Lücken getrieben auf der Suche nach Speziellem». Eine Sammlung hat nie den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist immer nur eine Momentaufnahme.
So gehen alle gefundenen Materialien immer wieder durch die Hand der Künstlerin, verbinden sich mit ihr und gehen diesen intimen Dialog mit ihr ein. Warum gerade dieser Stein? Warum jener Ast hier? In den Arbeiten werden Dinge zusammengebracht, die einen poetischen Blick auf die Welt geben: Eine Form der Fürsorge für das Material und die Welt in der sie gefunden werden.
Für den Kunstraum sind die «Mise en abyme» entstanden. Arbeiten, die an Gefässe erinnern und in sich eine Welt an Materialien preisgeben, die erst gesammelt, dann angeordnet, schliesslich in Beton gegossen und zuletzt in Form geschnitten werden und so eine Art Mosaik vom Inneren preisgeben. Die Grenzen von Innen und Aussen, Haut und Oberfläche sowie Mensch und Natur verschwimmen.
Raus aus dem Ausstellungsraum
Ausstellungen werden gerne als Endresultat gesehen. Künstler:innen arbeiten darauf hin und präsentieren ihre Werke, dabei sind Ausstellungen im besten Fall eher ein Prozess, der einen Kontext aufmacht, neue Gedankenrichtungen ermöglicht und Stationen im Schaffen von Kreativen zeigt. Gerade die Arbeiten von Katja Schenker fallen unter die Kategorie Prozess, weil die Entstehung Teil des Werkes ist.
Bei den Arbeiten mit den Rohstoffen scheint es fast, als animiere sie die Materialien im Sinne eines Belebens. Die einzelnen Materialien gehen Beziehungen ein, zur Künstlerin, verbinden sich aber auch in den Arbeiten selbst zu einem Netzwerk an Aussagen über Material, Zeit und Ort. Es hat etwas Archäologisches und man fragt sich unweigerlich, welche Aussage Materialien über Orte treffen und wie die Arbeiten von Katja Schenker selbst einen Ort verändern können.
Kunst im öffentlichen Raum
Es ist also kaum verwunderlich, dass die Arbeiten der Künstlerin an einer Fülle von Orten im öffentlichen Raum zu finden sind. In Kreuzlingen selbst befindet sich zum Beispiel am Familien- und Sportbad Bad Egelsee ihre Arbeit «einsinken» über das Areal. Zu sehen ist dort die Aussenhaut der Gebäudekomplexe mit der charakteristischen Senke. Dazu nutzte sie eine Kupferfolie, die sie über ein von ihr angefertigtes schematische Modell des Areals gelegt hat und immer wieder in ein Galvano-Bad eintauchte, wo sich das Modell unter Einwirkung von Strom in eine stabile Skulptur aus Kupfer verwandelt hat.
Es sind ausserdem noch zwei weitere Werke temporär zu Gast in der Stadt. An der Pädagogischen Hochschule Thurgau befinden sich die beiden Blöcke «Wie tief ist die Zeit? (Cut)», die von einem ihrer grössten Werke in der Fachhochschule Nordwestschweiz am Campus Muttenz stammt: einem 12 Meter hohen Monolithen, 100 Tonnen schwer.
Innensichten eines Betonriesen
Über ein Jahr arbeitete sie daran, allein fünf Monate auf der Baustelle selbst. Die Cuts sind Schnitte, die getätigt wurden nachdem die Materialien in Beton gegossen und die Aussenwände des Monolithen anschliessend in Form geschnitten wurden – der Betonriese gibt hier also sein Inneres preis.
Ein kleiner Spaziergang weiter an die Pädagogische Maturitätsschule Kreuzlingen, steht die Bronzearbeit «abfedern», eine temporäre Leihgabe vom Bundesamt für Gesundheit BAG, Bern.
Rundfahrt zu den Arbeiten von Katja Schenker
Am 31. August kann man selbst an der zweiten Car Fahrt weitere Arbeiten der Künstlerin besuchen und sich in den Kosmos des Schaffens begeben. Für Kurzentschlossene gibt es noch ein paar wenige Plätze. Vielleicht findet man beim weiteren Sammeln von Eindrücken selbst neue Zugänge über das Ordnen und die Welt.
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