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von Anabel Roque Rodríguez, 30.08.2023

Der Streunende Hund geht schnüffeln

Der Streunende Hund geht schnüffeln
Eine Wand voller Post-its: Die Ausstellung im Shed entsteht. | © Anabel Roque Rodriguez

Wie entsteht eine Ausstellung? Welche:r Künstler:in erhält welchen Platz? Und überhaupt, was ist schon Kunst? In der Frauenfelder Shedhalle gibt das Kollektiv Streunender Hund erfrischende Einblicke. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Wenn man Ausstellungen besucht, haben viele Besuchenden das Gefühl ein Endprodukt zu sehen. Es scheint, als würden Kunstschaffende auf genau dieses Ereignis hinarbeiten. Dabei ist jede Ausstellung ein offener Prozess: Kunstschaffende und ihre Arbeiten werden in Kontext gesetzt, Besuchende sehen die Werke in genau diesen bestimmten Bedingungen und vermutlich sind diese für jede:n anders, Kurator:innen vermitteln und schaffen Bezüge - aber eine Ausstellung ist nicht die einzige Form Kunst zu zeigen und sich Fragen zu stellen und schon gar nicht der Endpunkt. 

«Die Eröffnung ist nur Teil des Prozesses. Das gesamte Projekt Gedächtnispalast ist eine Art Skizzenbuch und an der Vernissage ist der Peak von dem, was sichtbar ist. Danach wird es ephemerer und geht wieder in Richtung Erinnerung», äussern sich die Mitglieder des Kollektives Streunender Hund, die derzeit den grossen industriellen Raum der Shedhalle in Frauenfeld gemeinsam über vier Wochen bearbeiten. 

Mirjam Wanner von der Programmgruppe erklärt, dass sie bei der diesjährigen Schlüsselübergabe bewusst ein Kollektiv gewählt und ihnen eine Carte Blanche für den Raum erteilt haben. Es darf also experimentiert werden, etwas gezeigt oder eben auch nicht gezeigt werden. Die Kunstschaffenden «sollten einfach ein Experimentierfeld erhalten.»

 

Wo fängt sie an, wo hörr sie auf? Aus der Ausstellung «Gedächtnispalast». Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

Der Hintergedanke – eine antike Lerntechnik

Der philosophisch klingende Titel der Ausstellung «Der Gedächtnispalast» ist angelehnt an eine Lerntechnik, die auf der Tradition der Erzählung beruht. Die Technik wurde bereits im antiken Griechenland genutzt und ist noch heute unter Gedächtnisakrobaten genutzt. Dabei wird Erzählung mit Stichworten und Orten in Verbindung gesetzt. 

Zurück in der Kunstwelt ergeben sich da interessante Fragen: Wie erinnert man sich an Ausstellungen zurück? Wie begeht man künstlerische Orte in seinem Kopf? Nach welchen Mustern oder Kategorien vergleicht man Ausstellungen aus seiner Erinnerung heraus?

 

Arbeiten zusammen im Shed des Frauenfelder Eisenwerk: Das Kollektiv Streunender Hund. Bild: Anabel Roque Rodrigueez

«Wir kommunizieren über die Arbeit und alles entsteht im Miteinander. Am Anfang haben wir darüber gesprochen, was wir dürfen oder sollen. Aber es war schnell klar, dass es keine Parameter braucht, sondern alles möglich ist.»

Kollektiv Streunender Hund

Bei meiner Begehung – der aktuelle Zustand könnte schon wieder ganz anders – sind an den Wänden Post-it Haftnotizen angebracht, auf den ersten Blick ergeben sie ein interessantes Muster, geht man näher, begegnen einem Zitate, Fragen, Erinnerungen für Recherchen und Inspirationsquellen – eine Art Zettelkasten für die Ausstellungsgestaltung. 

Vor allem geben diese Fragmente Anknüpfungspunkte, die bestimmte Teile der Werke in Relation setzen. Zu sehen sind an dem Tag malerische Arbeiten, Installationen, Zeichnungen und immer wieder fragmentarischer Text. Man muss sich den Raum immer wieder erlaufen. Überhaupt spielt das Begehen, die Erinnerung und die Assoziationen sowie die vielen Verbindungslinien eine zentrale Rolle, um das Wesen dieses Projektes zu verstehen. 

Auch ein Experiment für das Kollektiv

Während des Sommerateliers lässt das Kollektiv Streunender Hund aus Appenzell AR / AI also eine gemeinschaftliche Installation entstehen, dabei darf jede und jeder Arbeiten umplatzieren, neu interpretieren oder weiterführen. «Wir kommunizieren über die Arbeit und alles entsteht im Miteinander. Am Anfang haben wir darüber gesprochen, was wir dürfen oder sollen. Aber es war schnell klar, dass es keine Parameter braucht, sondern alles möglich ist. Wichtig ist, die individuellen Interventionen und das Verhältnis zum Ganzen zu lesen und die individuellen Fragestellungen wiederum zum Kollektiv in Verbindung zu setzen.» 

Es ist auffällig wie gut die Kommunikation innerhalb der Gruppe funktioniert und wie viel Freiheit dies auch ermöglicht. Die Autorenschaft der Individuen fällt weg, keines der Werke ist mit Namen versehen, sondern soll als Teil des Ganzen verstanden werden. Interessant ist, dass es auch für das Kollektiv Streunender Hund eine Premiere ist vor Ort gemeinsam zusammenzuarbeiten, bisher haben sie zwar Ausstellungen gemeinsam organisiert und Gäste dazu eingeladen, aber die Werke waren bereits fertig.

 

Work in progress: Das Kollektiv erarbeitet die Ausstellung gemeinsam. Bild: Anabel Roque Rodriguez

Der Streunende Hund als Ideenschmiede

Gegründet hat sich die Gruppe im Dezember 2018 mit einer Grundbesetzung von acht Künstler:innen: Birgit Widmer, Rita Kappenthuler, Nathan Federer, Harlis Schweizer, Maria Nänny, Mirjam Kradolfer, Florian Gugger, Wassili Widmer. Das Kollektiv ist aber fluide, immer wieder werden auch Gäste für einzelne Projekte eingeladen. In Frauenfeld arbeiten sie zu siebt, Maria Nänny geht anderen Projekten nach. 

Interessiert sind sie daran Ausstellungen an Orten zu machen, die so eigentlich nicht als Kunstorte gelten und Künstler:innen im ländlichen Raum eine Plattform zu bieten. 2019 war das zum Beispiel die Bespielung einer Stube in einem Appenzeller Haus. «Das phantastische Zimmer» verwandelte den Ort in eine Grafikkammer. 2022 wurde ein alter Oltner Stadtbus zum mobilen Kulturhaus umfunktioniert. An zwei Wochenenden wurden 7 Appenzeller Gemeinden angefahren und die spartenübergreifende Kunst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

«Als Kollektiv haben wir keine Fiskosten, sondern können aus einem Bedürfnis schaffen. Als Streunender Hund kann man schnüffeln.»

Ein Spiel zwischen Vorhandensein und Wegnehmen

Ihr Projekt in der Shedhalle in Frauenfeld zeigt eine Ausstellung als lebendigen Organismus. Es sind so viele Einzelkomponenten, die in ihrer Summe das Erlebnis ausmachen. Wie viel kann man also wegnehmen? An wen richtet sich die Ausstellung eigentlich? Wo beginnt und wo endet das Projekt?

«Im ersten Schritt war der gelbe Faden und die Schaukel da und haben ein neues Lesen der vorhandenen Architektur ermöglicht. Von dort ging es weiter.» Offen ist nun wie weit der Gedächtnispalast aufgebaut bleiben darf oder ob der Abbau und die Erinnerung auch als Ausstellung funktionieren könnte. Es ist in jedem Fall eine feine Balance zwischen Material, Erinnerung und dem Erlauben von Freiräumen.

 

Auch das gehört zur Kunst - der Boulevard der geplatzten Träume. Bild: Anabel Roque Rodriguez

 

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