von Anabel Roque Rodríguez, 23.11.2023
Das Ego ist tot – lang lebe das Kollektiv?
Lange herrschte das Bild von genialen Einzelkünstler:innen bei uns vor. Wäre es nicht an der Zeit dieses Verständnis aufzubrechen? Das internationale Künstlerkollektiv Cosmos zeigt, wie es gehen kann. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Kunst entsteht immer im Austausch – keine Ausstellung ist möglich ohne ein Team an Menschen in verschiedenen Funktionen, die dafür sorgen, dass Ideen umgesetzt werden und Kunst gezeigt wird. Je bekannter ein:e Künstler:in, desto mehr muss man davon ausgehen, dass ein ganzes Team hinter der künstlerischen Produktion steht, dennoch wird im Zuge des Geniekults gerne das Individuum in den Vordergrund gestellt. Künstlerkollektive und die verschiedenen Formen kollektiver Kunst fordern das Credo der Einmaligkeit heraus.
Oder wie Claude Bühler es in unserem Gespräch formuliert «Kollektive gab es eigentlich schon immer, sei es in Form von Werkstätten oder eben Künstler:innen, die im Verbund arbeiten. So wie der Kunstmarkt funktioniert, mit seiner Fokussierung auf Einzelnamen, scheint es aber ein Grundproblem zu sein, dass Kollektive schwierig zu kapitalisieren sind.»
Je mehr Teile eine Kollektiv hat, desto schwieriger wird es zusammenzuhalten
Kollektive sind kompliziert, vor allem je mehr Mitglieder:innen diese haben, da sie die Grenzen von klarer Zuschreibung verwischen, sie lassen sich weniger leicht vermarkten und oft geht es bei dem gemeinsamen Schaffen nicht um ein Endprodukt, sondern um den gemeinsamen Weg und den Blick nach innen: Gedanken über die Welt werden geteilt und Modelle des gemeinsamen Arbeitens definiert.
Kollektive Produktion ist oft mit dem Versuch verbunden gesellschaftlich alternative Modelle zu leben und andere Produktionsverhältnisse zu etablieren: Nicht mehr die neoliberalen Ideen von Konkurrenz, Optimierung und Arbeitsteilung, die den Kunstmarkt prägen stehen im Vordergrund, sondern der soziale Moment im Kollektiv wird zur Priorität. Wem wird wie Raum zugesprochen? Welche Bedürfnisse gibt es? Wie wird kommuniziert?
Vom ich zum wir
Wie schafft man also Momente der Zusammengehörigkeit und wie schafft man eine Verbindung zwischen einer individuellen zu einem kollaborativen künstlerischen Praxis? Sylvia James beschreibt ihre Perspektive als ein Gefühl, dass man wohl als «zusammen ist man weniger allein» zusammenfassen könnte. «In meinem Fall bei dem Kollektiv Cosmos ging es stark darum was uns verbindet und wie wir in Beziehung stehen. Das Stichwort ist wohl Empathie und damit meine ich nicht unbedingt Freundschaft, sondern ein kollaboratives Miteinander. Wir haben gemeinsame Erfahrungen im Fundraising oder in der Produktion über die wir uns austauschen können. Neben diesem praktischen Wissen interessieren mich persönlich die individuellen Geschichten und wie die Orte und Lebensgeschichten die Personen prägen. Das Ausstellungen machen steht nicht unbedingt im Vordergrund.»
Der Künstler und Mitglied des Kollektivs Streunender Hund, Wassili Widmer sieht im gemeinsamen Aufstellen von Regeln und Ordnungen eine positive Kraft, die zusammenhalten kann: «Es gibt das schöne Zitate von Greil Marcus über den Dada, dass die Gesetze des Raumes von den Menschen im Raum gemacht werden können und dies von der Kunstbewegung gezeigt wurde. Das ist keine Idealisierung, sondern kann durchaus auch negative Dinge mit sich bringen. In unserem Fall in der Kultur, wo wir als Kollektive eng mit Empathie und einer allgemeinen Neugierde Arbeiten, gibt es eine schöne politische Kraft in Kollektiven, die auch ansteckend sein kann.»
Kollektive als Experimentierraum für gesellschaftliche Alternativen
Kollaborative Arbeitsweisen stellen sich zwangsläufig die Frage, auf welcher Basis gemeinsam produziert werden soll. Das nicht-hierarchische Arbeiten stellt Anforderungen an die gemeinsame Selbstverwaltung der Gruppe und durch welche Ideen und Werte eine Grundbasis geschaffen werden kann. Es ist interessant, wie sich diese Gedanken aus dem künstlerischen Kosmos sehr wohl auf unsere Gesellschaft anwenden lassen, auf der Suche nach einer funktionierenden Form des Zusammenarbeitens und -lebens.
Claude Bühler unterstreicht in ihren Gedanken, wie Kollektive auch Gesellschaftsmodelle hinterfragen. «Wir im Salon Vert sind nicht unbedingt ein Kollektiv oder vielleicht sind wir mehrere Kollektive, die in diesem Netzwerk zusammenkommen. Wir verstehen den Salon Vert als eine Art Community und weniger als ein festes Kollektiv. Ein grosses Thema bei uns ist die Frage nach dem Raum: Wie gestalten wir Raum? Wer gestaltet ihn? Und was ist der Inhalt – was passiert im Raum? Viele Salon-Vert-Menschen haben gemerkt, dass wir als weiblich sozialisierte Personen die Erfahrung gemacht haben, dass der Raum nicht für uns gemacht oder gedacht ist, nicht nur in der Musik. So entstand das Bedürfnis einen Raum zu schaffen, wo wir das verändern können; wo wir den Raum bestimmen können und die Regeln setzen können. Wir kommunizieren dabei viel darüber, wie es jeder Person geht und versuchen daraus zu lernen. Es geht auch viel um Entwicklung, wir wollen nicht nur Projekte abschliessen, sondern es ist auch ein Experiment, wie wir zusammenarbeiten. Wir brechen immer wieder Strukturen aus der Privatwirtschaft oder hierarchischen Organisationsformen.»
«Wir brechen immer wieder Strukturen aus der Privatwirtschaft oder hierarchischen Organisationsformen.»
Claude Bühler, Künstlerin im Kollektiv Salon vert
Wassili Widmer sieht Kollektive auch als Möglichkeitsraum für Diversität. «Ich trenne meine künstlerische Praxis in meine eigene künstlerische Praxis und den Teil, der sich organisatorischen Strukturen widmet, wo ich in Kollektiven arbeite aber auch Festivals oder Ausstellungen organisiere. Dabei folge ich den Ideen von Diversität, damit meine ich auch das Einbeziehen unterschiedlichen Alters von sehr erfahren bis gerade am Anfang der Ausbildung stehenden Kunstschaffenden. Ich bin sehr von der Fluxus Bewegung inspiriert, die sehr kollaborativ war, da sie die Autorenschaft als Reaktion auf den männlich Geniekult der Kunstgeschichte im Bereich Malerei und Skulptur hinterfragt hat. Der Realist in mir ist sich aber sehr bewusst, dass wir in einer hyperkapitalistischen Welt leben, die nach eigenen Gesetzen arbeitet und Kollektive nur insofern was bewirken können, wie die Gesellschaft auch selbst bereit ist sich zu ändern.»
Ist das Kollektiv die die Zukunft für künstlerisches Schaffen?
Kollaboratives Schaffen bringt klare Vorteile bei der Teilung von begrenzten Ressourcen. Ist das Kollektiv also die die Zukunft für künstlerisches Schaffen?
«Man muss verstehen, dass die grossen Einzelnamen in der Kunst schon längst eher wie Unternehmen agieren. Dabei arbeiten unterschiedliche Spezialist:innen im Auftrag der jeweiligen Künstler:innen. Die Frage ist, ob man so weitermachen möchte, was für Frustration für unbekanntere Künstler:innen sorgt, da diese oft die Mechanismen des Kunstmarktes nicht kennen und es wegen der mangelnden Transparenz schwierig ist hinter die Illusion des Einzelnamens zu blicken. Oder, ob man aktiv an Lösungen arbeiten sollte. Als Kollektive hinterfragen wir gerade, was die Möglichkeiten von Kunst wirklich sind. Wie real sind die Möglichkeiten und können wir damit eine Welle der Veränderung schaffen? Die Anerkennung des Kollektiven ist für unsere Zeit essentiell, für uns alle, nicht nur für die Kunst.», unterstreicht Sylvia James die Dringlichkeit von kollektivem Nachdenken.
«Als Kollektive hinterfragen wir gerade, was die Möglichkeiten von Kunst wirklich sind. Wie real sind die Möglichkeiten und können wir damit eine Welle der Veränderung schaffen? Die Anerkennung des Kollektiven ist für unsere Zeit essentiell, für uns alle, nicht nur für die Kunst.»
Sylvia James, Künstlerin aus dem COSMOS-Kollektiv
Können Kollektive also wirklich so viel Sprengkraft haben und die Wahrnehmung von dem wir und dem Ego verändern? Mirjam Wanner, Teil des Cosmos Kollektivs und kollaborative Kuratorin sieht auch Grenzen in der Wirkungsmacht von Kollektiven: «Ich glaube nicht, dass Kollaborationen allein dies ändern können. Was sie im besten Falle können, ist es wohl eher, bestehende Strukturen zu unterwandern. Oder aufzuzeigen, dass es auch noch andere Formen von künstlerischer Arbeit gibt, die dann auch andere Resultate hervorbringt. Und hier denke ich liegt wohl auch die Stärke von künstlerischen Kollektiven, nämlich eine Vielfalt aufzuzeigen. Eine weitere Stärke sehe ich in der Kraft, der Lust und der Experimentierfreude, die im Zusammenkommen und -arbeiten entsteht. Im besten Fall springt diese Lust auf das Publikum, die Institution über und kann so festgefahrene Vorstellungen, Erwartungen und Kriterien die künstlerischer Arbeit entgegen gebracht wird etwas auflockern.»
Wie sehr ist die Kunstwelt für kollektives Schaffen und Perspektiven bereit?
In Zeiten in denen Dominanz und Machtmissbrauch immer wieder in den Schlagzeilen stehen können wir eigentlich von kollektiven Modellen nur lernen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Museen und Ausstellungsplattformen die richtigen Orte dafür sind. Immer wieder hört man den Vorwurf gegenüber Kollektiven, dass gestalterische Freiheit für politische Ziele geopfert wird. Man nehme das Beispiel der Mega-Ausstellung Documenta, die im vergangenen Jahr erstmals von einem Kollektiv, der Gruppe Ruangrupa aus Indonesien, kuratiert wurde.
Dieses hat als Konzept der Ausstellung die Prinzipien von Lumbung - einer gemeinschaftlichen Verteilung von Ressourcen – ausgegeben, daraus folgte, dass fast ausschliesslich im westlichen Kunstkanon weniger bekannte künstlerische Kollektive auf der Teilnehmerliste standen und die sonst üblichen grossen Namen fehlten. Es sorgte auch dafür, dass der westliche Kunstkanon knallhart darüber nachdenken musste, wie verschiedene globale Perspektiven unterschiedliche mit Erinnerungskultur, Kolonialisierung und politischen Ereignissen umgehen. Das ernüchternde Fazit ist, dass die Schau und alle Fragen, die aufgeworfen wurden, die Documenta tief in eine Krise gestürzt hat, die zuletzt dazu führte, dass die gesamte Findungskommission zurückgetreten ist.
«In unserem Fall in der Kultur, wo wir als Kollektive eng mit Empathie und einer allgemeinen Neugierde Arbeiten, gibt es eine schöne politische Kraft in Kollektiven, die auch ansteckend sein kann.»
Wassili Widmer, Künstler im Kollektiv streunender Hund
Fragen danach, wie wir gemeinsam leben und arbeiten wollen beinhalten immer eine gewisse Institutionskritik. Kann und darf eine Institution bei dem Diskurs aber wirklich so nicht-hierarchisch sein, wie kollaboratives Arbeiten es erfordert?
In der Publikation «Chaos» reflektieren die Akteur:innen darüber, wie die bisherige künstlerische Praxis an neue politische und soziale Rahmenbedingungen angepasst und weiterentwickelt und somit die gemeinsame Arbeit weitergeführt werden kann. Die eingeladenen Autorinnen Eliana Otta, Jenny Fonseca Tovar und Rebekka Ray formulieren dabei kritische Fragen und paaren diese mit interessanten Einblicken, die eine Brücke zu kollaborativem Arbeiten schlagen.
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- Soziale Herkunft als künstlerisches Forschungsfeld (01.06.2023)
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