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von Judith Schuck, 23.03.2022

Wo sich Magie und Zufälle vermischen

Wo sich Magie und Zufälle vermischen
Zwar nicht Westbahnhof Wien, aber doch irgendwie Bahnhof: Nathalie Weider in Scherzingen. | © Judith Schuck

Bodenseekind mit grossem Wien-Faible: Das ist Nathalie Weider, Schlagersängerin aus Scherzingen. Mit ihrer neuen Single «Westbahnhof» erklärt sie der Grossstadt ihre Liebe. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Alles fing mit einem orangefarbenen Plastikplattenspieler an. Auf ihm hörte Nathalie Weider die Schallplatten ihrer Eltern: Schlager von Peter Kraus und was es da so gab, aber auch den King of Rock´n´Roll, Elvis Presley. Mit dem reinen Musikhören gab sich die Zehnjährige allerdings nicht zufrieden. Sie schrieb sich die Texte raus und sang die Lieder nach.

So ging die 1978 in Münsterlingen geborene und in Kreuzlingen aufgewachsene Künstlerin durch ihre eigene Gesangsschule. Schon ihr Vater war musikalisch. «Ich weiss nicht 100 Prozent, ob es stimmt, aber ich meine, sie hätten ihn früher den Elvis von Kreuzlingen genannt.»

 

«Eine Mischung aus sehr coolem Adrenalin und trotzdem fokussiert sein.»

Nathalie Weider, Schlagersängerin, über Bühnengefühle (Bild: Raffael Soppelsa)

Dann reihte sich Zufall an Zufall. Als sie als Kind mit ihren Eltern im vorarlbergischen Schruns in den Ferien war, lauschte sie fasziniert einem Alleinunterhalter. Als ein Song kam, den sie kannte, sang sie zunächst leise mit, bis dieser sie aufforderte, doch ins Mikrofon zu singen. «Meinem Vater wurde plötzlich bewusst, dass das seine Tochter war, die da sang», erinnert sich Nathalie Weider. Von da an nahm er sie hin und wieder mit zu seinen Auftritten.

In den 90ern nimmt sie spassenhalber in einem Kreuzlinger Tonstudio bei Michel Kliby auf. Da sei dann mal ein Produzent vorbeigschneit, der sie als Newcomerin entdeckte. «Es war einfach die richtige Zeit. Damals hatten die Plattenfirmen noch Geld», erinnert sich Weider.

1994 erlebt sie ihren ersten grossen Auftritt auf der Bregenzer Seebühne vor 4000 Leuten und das Bühnenfieber packte sie. «Eine Mischung aus sehr coolem Adrenalin und trotzdem fokussiert sein», so beschreibt Nathalie Weider diesen Zustand.

Videotrailer zur Single «Westbahnhof»

Verliebt in die Hauptstadt Österreichs

Dass diese ersten Erfahrungen auf österreichischem Boden stattfanden, seien Zufälle gewesen. Doch die Liebe zum Nachbarland und vor allem seiner Hauptstadt Wien lodert in der Sängerin und Songwriterin bis heute.

Ihre Faszination für die Heimat der Kaffeehäuser und des Schmäh beschreibt sie als das Selbstverständnis des Nebeneinanders verschiedenster Menschen, die dort leben oder zu Besuch sind. «Wien ist meine Energie- und Inspirationstankstelle», sagt sie. Wien sei eine Grossstadt mit viel Kultur und dennoch übersichtlich. Seit zehn Jahren versucht sie mindestens einmal pro Jahr dorthin zu reisen.

Verliebt in Falco und ...

Mit ihrem neuen Song «Westbahnhof» widmet sie Wien und dem Ausnahmekünstler Falco eine Hommage. «Beim Westbahnhof teilen wir die Magie» heisst es in einer Songzeile. Es geht darin um eine reelle Begegnung mit einem Menschen, der diese Faszination für die Stadt mit ihr teilt, aber auch um Falco, den österreichischen Star der 80er und 90er Jahre, der 1998 bei einem Autounfall mit nur 41 Jahren ums Leben kam.

Aus der Zufalls-Begegnung mit dem Unbekannten am Westbahnhof entspann sich ein magischer Moment über den Dächern von Wien. Der Kontakt bestehe bis heute. «Der Song ist geschrieben, unsere Geschichte aber noch nicht», verrät die Künstlerin.

Auf die Frage, was sie an Falco so mag, sagt die Sängerin: «Falco war einfach ein Wahnsinnskünstler mit einem unglaublichen Songwriting», schwärmt Nathalie Weider. Was er damals machte, nämlich Deutsch und Englisch, Sing- und Sprechgesang zu mischen, macht sie heute erstmals mit «Westbahnhof».

 

Grosses Vorbild: Der österreichische Sänger Falco (im Bild mit Managerin Claudia Wohlfromm im Jahr 1997). Bild: mit Managerin Claudia Wohlfromm (1997) Bild: Axl Jansen - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10666166

 

 

«Falco war einfach ein Wahnsinnskünstler mit einem unglaublichen Songwriting.»

Nathalie Weider, Schlagersängerin

Während die Elvis-Platten vom Vater kamen, gehörten die Falco-Platten ihrer Schwester. «Ich habe schon immer Falco gehört und frage mich oft, ‹warum tönt das so fett?›» Von ihm habe sie so manch eine Idee übernommen, wie zum Beispiel, anstatt selbst Backings einzusingen, dafür mehrere andere Stimmen als «Chor» zu nehmen.

An «Westbahnhof» wirkten einige österreichische Künstler mit, darunter Bertl Baumgartner als Drummer, der früher bei der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, EAV, mitspielte.

Video: Falcos «Rock me Amadeus»

Weg von den Managern, hin zur Eigenständigkeit

Während Nathalie Weider in ihrer Teeniezeit von einer Plattenfirma zur nächsten wechselte, entwickelte sie im Laufe der Zeit eine zunehmende Unabhängigkeit. Als Sängerin war sie irgendwann an dem Punkt angelangt, an dem sie ihrer eigenen Songs schreiben wollte. «Beim Songwriting springt mir meist ein Wort oder Thema entgegen, von dem ausgehend alles entsteht.»

Beruflich ist sie im Marketing tätig, weshalb sie sich Vermarktung, Management und Produktion immer mehr aneignete. Songs zu schreiben mache sie allerdings am liebsten im Team. Auch wenn die Pandemie für sie eine furchtbare Zeit war, habe sie doch in ihrem Homestudio in Scherzingen ihre Fähigkeiten ausgebaut.

Reinhören: So klingt Nathalie Weider

Vor- und Nachteile der Digitalisierung

Sie versuche immer das Beste aus jeder Situation zu machen. Durch Webinare lernte sie viel über Produktion. So entstand, „U-Boot“, ihr erster komplett selbst produzierter Song.

Die Digitalisierung in der Musikbranche bringe viele Vor- und Nachteile. Die Tantiemen sind so gering, dass es kaum möglich ist, mit Musik allein über die Runden zu kommen. Dafür entstünden zahlreiche Kontakte und die Songs hätten eine weitaus grössere Reichweite als früher.

 

Nathalie Weider bei den Aufnahmen des Songs «Westbahnhof». Bild: Nathalie Weider

Erste Theatererfahrungen in Bottighofen

Doch nicht nur das Produzieren war Neuland, dass sie sich in der Coronazeit aneignete. Im Sommer 2021 stand sie erstmals auf einer Theaterbühne. Regisseur Leopold Huber habe mal einen Artikel über sie ausgeschnitten, erzählt sie. Und seine Frau Astrid Keller suchte für ihre Musiktheaterproduktion «Don Camillo und Peppone» auf der Zentrumsbühne Bottighofen gesanglich starke Leute. Also fragten sie sie an.

Statt Showgirl, wie üblich, trat sie hier als Dorftrottel Smilzo auf. «Was mich mit Smilzo verbindet: er schläft viel, aber immer, wenn musikalische Action ist, ist er voll dabei!» Auch wenn sie nicht gleich wieder auf die Theaterbühne möchte, wegen des hohen Probenaufwands, entstanden hier wertvolle Kontakte, unter anderem zu Musikern wie dem Akkordeonisten Goran Kovačević, der die musikalische Gesamtleitung innehatte.

Generell sei sie experimentierfreudiger geworden: «Ich hätte zum Beispiel Urlust, mal einen französischen Song zu machen. Das passt vielleicht ganz gut zu meiner etwas nasalen Stimme.» Oder auch mit Kooperationen verschiedene Musikstile zu mischen wie Hardrock oder Rap.

 

«Es wird viel konsumiert, aber es darf nichts mehr kosten.»

Nathalie Weider, Schlagersängerin, wünscht sich mehr Wertschätzung für Künstler:innen

An die Musikbranche äussert sie den Wunsch, dass Künstler:innen wieder mehr Wertschätzung für ihre Leistung bekommen. «Es wird viel konsumiert, aber es darf nichts mehr kosten.» Plattformen wie Bandcamp findet sie hier gut, weil dort richtige Musikfans zu finden seien.

«Neulich haben wir, das heisst verschiedene über Twitter verbundene Indiemusiker, an einem Bandcamp-Friday vor allem bei ukrainischen Musker:innen eingekauft. So kam Geld für sie zusammen und wir haben tolle Entdeckungen an bisher unbekannter Musik gemacht.»

Für sich selbst wünscht sich das «Bodenseekind» noch lange Musik machen zu können und dadurch spannende Leute zutreffen. «Das ist es, was mich erfüllt.»

Anhören: Den ganzen Song «Westbahnhof» jetzt anhören

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