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von Inka Grabowsky, 15.05.2019

Wie die Kultur den Tourismus stärken soll

Wie die Kultur den Tourismus stärken soll
Kräutergärten in der Kartause Ittingen. | © Bodenseegärten

Die deutschen und schweizerischen Bodensee-Touristiker wollen gemeinsam mit den Kirchen mehr Menschen in die Region locken. Anziehungspunkte sollen die religiösen Monumente sein.

Wer heute eine Kirche betritt, ist nicht mehr unbedingt mit allen Bedeutungen der sakralen Kunstwerke vertraut. Darauf müssen Touristenführer heute eingehen. Über hundert haben gerade an einer Weiterbildung in Konstanz teilgenommen, damit eine Führung durch eine Kirche nicht langweilig ist, sondern ein Erlebnis wird. „Kirchen waren immer auch ein sozialer Treffpunkt – quasi das YouTube des Mittelalters“, so Helmut Fiedler. Er ist Leiter des neuen Projektes «Inspiration Bodensee», bei dem Kirchen und Touristiker zusammen spannen.

„Kirche und Tourismus gehören natürlicherweise zusammen“, sagt Fiedler. „Die ersten Reiseführer sind von Pilgern geschrieben worden.“ Ausserdem habe eine Umfrage ergeben, dass jeder Dritte in den Ferien gerne eine Kirche besichtigt. Natürlich auch mit Smartphone. Die Touristiker wollen das für sich nutzen: Instagrammer sind dazu aufgerufen am 27. Juli ihre Fotos aus den Kirchen und Klöstern der Bodensee-Region mit dem Hashtag #instakirchebodensee zu versehen.

Inspiration Bodensee (von links): Helmut Fiedler, Cornelia Mechler, Dr. Norbert Kebekus, Stefanie Negd, Eric Thiel und Mandana Roozpeikar. Bild: Inka Grabowsky

Der Thurgau ist Teil des neuen Projektes

Mit im Boot bei «Inspiration Bodensee» ist auch die Kartause Ittingen. Cornelia Mechler, Kommunikations- und Marketingchefin im Kunstmuseum Thurgau, kennt das gewachsene Bedürfnis nach Spiritualität aus eigener Anschauung. «Bei uns in der Kartause sind die Achtsamkeitskurse des Tecum sehr gut gebucht», bestätigt sie. «Stille, wie sie schon die Kartäuser zelebriert haben, ist genau das, was die Menschen suchen.» Nach Wunsch kann man Ittingen aber auch aktiv erleben. Die Kartause hat zwölf neue Themen-Wanderwege angelegt. Ausserdem sehr beliebt sind die Gartenführungen. «Jeder Mönch hatte früher sein eigenes Gärtchen. Der Themenschwerpunkt ‘Kloster und Garten’, den wir zusammen mit dem Interreg Projekt ‘Bodenseegärten’ gestalten, passt deshalb ideal zu uns.»

Ebenfalls beteiligt an «Inspiration Bodensee» sind die Evangelische Landeskirche in Baden, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die evangelische Landeskirche in Württemberg und die Erzdiözese Freiburg, die gemeinsam die Landesarbeitsgemeinschaft Kirche und Tourismus in Baden-Württemberg bilden. Die Kirchen stellen nicht nur ihre Sakralbauten für Besichtigungen oder als Ziel von Pilgerwegen zur Verfügung. Sie haben eigene Angebote für Reisende. Es gibt viele kirchliche Bildungs- und Einkehrhäuser. „Pilgern und Urlaub hinter Klostermauern liegen im Trend“, bestätigt Norbert Kebekus, der Sprecher des Arbeitskreises Tourismus der Kirchen. Die „Klostererlebnistage Bodensee“, die im Oktober zum 2. Mal durchgeführt werden, tragen dem Rechnung.

Während die Touristiker ihre Aufgabe eher darin sehen, den Gästen die Grundlagen der abendländischen Kultur näherzubringen, wollen die Kirchen die Gelegenheit durchaus nutzen, ihre christliche Botschaft zu verbreiten und mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sich vielleicht von der Kirche entfernt haben. „In den Ferien ist man offener für Sinnfragen“, meint Norbert Kebekus. Im Juli und August wird es deshalb Gottesdienste auf dem Bodensee geben, so dass man touristische und spirituelle Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen kann. Das Angebot ist gratis, muss aber vorreserviert werden, deshalb wissen die Veranstalter jetzt schon, dass auch viele Einheimische mit dem Kirchenschiff ablegen wollen.

Das Konstanzer Münster. Bild: Tourismus Information Konstanz 

Eine bessere Vernetzung ist ein Ziel der Kampagne

Jeder einzelne der neun Projektpartner bietet ohnehin Attraktionen für Touristen. Die gerade eröffnete Ausstellung zum Klosterplan in St Gallen beispielsweise ist nicht wegen des Projekts „Inspiration Bodensee“ zustande gekommen, aber im Rahmen der Zusammenarbeit werben nun die Insel Reichenau, wo der Plan geschrieben wurde, und der Campus Galli in Messkirch, wo er baulich umgesetzt wird, gemeinsam um Besucher. Ausserdem wird über „Inspiration Bodensee“ eine mehrtägige Reise angeboten, die die drei Attraktionen vereint.

„Die Menschen, die zu uns kommen, neigen nicht gerade dazu, ihre Zigarette im Weihwasserbecken auszudrücken“, sagt Norbert Kebekus. Insofern gäbe es in den Kirchgemeinden keine Vorbehalte gegen ein Mehr an Besuchern. „Wir wenden uns an Bildungsbürger, die an Inhalten interessiert sind und das Authentische suchen“, so auch Eric Thiel von Marketing und Tourismus Konstanz. „Die Gäste, die Kirchen besuchen, sind ja meist selbst Christen“, ergänzt Helmut Fiedler. „Deshalb gibt es keinen Gegensatz zwischen den Gruppen.“

Finanziert mit Fördergeldern

Für „Inspiration Bodensee“ musste keine neue Infrastruktur geschaffen werden. Die eigentlichen Attraktionen gibt ja schon seit Jahrhunderten. Insofern besteht die Projektarbeit vor allem darin, die Tourismus-Verbände und Kirchenvertreter diesseits und jenseits der Grenze zusammenzubringen, um gemeinsam Werbung für die Angebote zu machen. „In einer Zeit, in der andere Mauern aufbauen wollen, machen wir genau das Gegenteil: Wir arbeiten eng zusammen“, betont Eric Thiel.

Der EU und der Eidgenossenschaft ist diese Vernetzung etwas wert. Der „Europäische Fond für regionale Entwicklung“ und der „Schweizer Fond der neuen Regionalpolitik“ zahlen gemeinsam die Hälfte des Budgets von rund 500.000 Euro. Das Projekt läuft zwar Ende 2020 aus, wird dann aber möglicherweise mit weiteren Partnern – wie zum Beispiel aus Vorarlberg – wiederaufgelegt. «Ideen hätte wir genug für zehn Jahre», sagt Helmut Fiedler.

Überblick: Die gesamte Liste der Attraktionen im Projekt „Inspiration Bodensee“ findet sich hier 
 
 
 

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