von Inka Grabowsky, 14.04.2025
Vom harten Kampf um Aufmerksamkeit

Wie steht es um den Kulturjournalismus? Das Kunst-Duo Schellinger Zaugg nähert sich in einer Ausstellung im Steckborner Haus zur Glocke einer Antwort an. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
«Press Release» heisst die dreiteilige Arbeit von Schellinger Zaugg. Im «Bote vom Untersee» erscheinen Texte aus der Perspektive von Kunstschaffenden. Ein zehnminütiges Video imitiert die Fernsehberichterstattung über kulturelle Ereignisse. «Nicht ohne Humor», wie Stefan Schellinger anmerkt.
Für die Diskussion darüber, wie man mehr Kultur in die Medien bringen könnte, hat sich das Duo mit zwei Akteur:innen im Kulturpublizismus verstärkt: Kulturredaktorin Christina Genova von CH Media und Ulrich E. Gut, ehemaliger Chefredaktor der Zürichsee-Zeitung und heutiger Herausgeber unter anderem des spendenfinanzierten Newsletters «cültür».

Zu viel Arbeit für zu wenig Journalisten
«Wir haben gerade mal 250 Stellenprozente, verteilt auf vier Personen, um für das Ressort ‹Ostschweizer Kultur› drei Seiten pro Woche zu produzieren», sagt Christina Genova. «Das geht nur über freie Mitarbeiter.» In der Auswahl sei man relativ autonom. «Wir müssen uns nur mit der Mantelredaktion in Aarau absprechen. Themen von schweizweitem Interesse werden von dort bearbeitet.»
Die Künstlerin Samantha Zaugg verfügt wegen ihrer Tätigkeit als Journalistin (unter anderem auch für thurgaukultur.ch) über das passende Hintergrundwissen. Sie stellte die Frage, die allen Kulturschaffenden unter den Nägeln brennt: «Wie wählt ihr aus?» «Es ist keine exakte Wissenschaft», entgegnet die Leiterin der Kultur Ostschweiz . «Wir müssen alle Sparten von Tanz bis Graphic Novel abdecken, und ausserdem noch alle Regionen. Da die St. Galler auch gern mal nach Bregenz fahren und die Thurgauer nach Konstanz, beziehen wir auch grosse Events dort mit ein.»
Sie räumt ein, dass über das Theater St. Gallen relativ breit berichtet wird. «Das Haus bekommt viel Geld. Wir müssen zeigen, was damit passiert.» Ihr helfe bei der Entscheidung die Frage «Lohnt eine einstündige Anreise? Hat das Angebot eine Ausstrahlung über das Lokale hinaus?»

In den vergangenen Wochen hat die Debatte um den Zustand des Kulturjournalismus in der Schweiz Fahrt aufgenommen. Wir von thurgaukultur.ch haben uns intensiv daran beteiligt. Zum Beispiel mit einem Text unseres Redaktionsleiters Michael Lünstroth zur Selbstabschaffung des Kulturjournalismus, seine Rückschau auf den Kulturjournalismus-Kongress von Saiten, einer Analyse von Alex Bänninger und einem Bericht von einer Tagung aus Bern.
Die Neue Zürcher Zeitung hat die Frage der Unabhängigkeit des Kulturjournalismus neu aufgeworfen. Ulrich Gut, Präsident des Vereins «ch-intercultur» (zur Stärkung von Kulturberichterstattung und Kulturkritik, vormals Schweizer Feuilleton-Dienst), positioniert sich ebenfalls zum Thema. Auch die Thurgauer Zeitung hatte kürzlich ausführlich zur Lage des Kulturjournalismus berichtet. Der Beitrag steht allerdings hinter der Paywall.
Ein Tipp: Bloss nicht im September veranstalten
Kulturschaffenden gibt die Redaktorin einen Tipp: «Im September, nach dem Ende der Sommerferien, ballen sich die Angebote. Wer dann etwas veranstaltet, hat geringere Chance, damit in die Zeitung zu kommen.» Texte, die nicht in der Print-Ausgabe, sondern ausschliesslich auf den Webseiten von CH-Media erscheinen, helfen der Redaktion ein bisschen, den Berg an Themen abzutragen.
«Da haben wir natürlich mehr Platz, aber wir haben nicht die personellen Ressourcen, alle Artikel zu produzieren. Es macht viel Arbeit die Bilder auszusuchen und mit Legenden zu versehen oder die Titel und Zwischentitel zu texten.»
Online als Rettungsinsel
Ulrich E. Guts «cültür» beschränkt sich von vorneherein auf die Online-Publikation. Sein Verein will über das kulturelle Leben in der ganzen Schweiz berichten. Der Herausgeber beobachtet eine Medienkonzentration auf der Print-Seite und ein wachsendes Angebot an Online-Medien auf der anderen Seite.
«Wenn wie bei Tamedia diverse Ressorts zusammengelegt werden, kann die Kultur unter Druck kommen. Und wenn bei der der NZZ das Feuilleton als Zeitung in der Zeitung erscheint und sehr konservative Positionen vertritt, dann macht mir das Sorgen.» Auch die Initiative zu geringeren Gebühren für die SRG sieht er skeptisch. «Die SRG ist ein wichtig für die Kulturberichterstattung, auch wenn sie das Angebot jetzt schon herunterfährt.»

In der Serie „inside thurgaukultur.ch – wie wir arbeiten“ schreiben unsere Autor:innen über ihren Arbeitsalltag. Sie erklären, wie sie sich für ihre Termine und Texte vorbereiten, auf welchen Wegen sie recherchieren und welchen Herausforderungen sie dabei begegnen. Wir öffnen damit bewusst die Tür zu unserer Werkstatt, damit du besser nachvollziehen kannst, wie wir arbeiten und welche Kriterien uns in unserem Tun leiten. Alle erschienen Beiträge der Serie findest du im zugehörigen Themendossier.
Thurgaukultur als Vorbild
Gut betrachtet Thurgaukultur als ein mit öffentlichen Mitteln gefördertes Kulturportal als positives Modell. Es mache sichtbar, was über die Kulturförderung an Werten geschaffen würde. «In Basel diskutierte das Parlament gerade über die Einrichtung so einer Plattform. Und Thurgaukultur beweist, dass trotz finanzieller Unterstützung eine unabhängige Berichterstattung möglich ist. Konventionelle Printmedien sind von Werbeanzeigen abhängig – daran haben wir uns alle gewöhnt.»
Dass die Form der Kulturförderung über die Unterstützung von Medien funktioniert, betont auch Gastgeberin Judit Villiger: «Wir haben mehr Besucher bei den Ausstellungen im Haus zur Glocke, wenn die Thurgauer Zeitung oder Thurgaukultur berichten. Das merkt man!»
Personalisierung für Klickzahlen
Die Digitalisierung der Medienbranche ist für die Gesprächspartner Fluch und Segen zugleich. Einerseits erreicht man über das Internet oder Kanäle in den Sozialen Medien ein grösseres Publikum. Andererseits bestimmt das Online-Publikum, was – auch in Print – publiziert wird. «Wir werden an Klicks gemessen», so Christina Genova. «Es gehört zu den uns gesetzten Zielen, über einen Artikel Abos zu verkaufen.»
Buch-Rezensionen oder Ausstellungs-Kritiken hätten es schwer, diese Kriterien zu erfüllen – Besprechungen von Theater-Festspielen sind ausgenommen. «Da will man wissen, ob sich ein Besuch lohnt. Man sehnt sich nach Orientierung.» Personalisierte Artikel, die Kulturschaffende auf einer menschlichen Ebenen darstellten, funktionierten besser. «Menschen interessieren sich nun mal für Menschen. So können wir unsere Nische verlassen.»
Manch ein Zeitungsleser bleibe über Personalisierung bei einem Kulturthema hängen, obwohl er eigentlich nur zum Sportteil durchblättern wollte. «Ein Online-Medium wie Thurgaukultur arbeitet dagegen in einer Blase – hier treffen sich ausschliesslich Kulturinteressierte.»

Keine zahlungswillige Leserschaft
Das Geld ist Dreh- und Angelpunkt in der Diskussion. Die Abozahlen bei Bezahl-Medien gehen zurück, die Abonnenten sterben aus. «Unternehmen müssen nun einmal Profite machen», so Christina Genova. «Früher haben Stellen- oder Auto-Inserate die Redaktionen querfinanziert. Heute ist die Werbung ins Internet abgewandert. Und die Leser sind nicht mehr bereit, für Journalismus zu zahlen.»
Der Kultur-Journalismus in der Zeitung sei quasi ein Service Public, auch wenn er nicht wie ein solcher finanziert würde. Trotz aller frustrierenden Moment geniesst die Journalistin ihr Berufsfeld: «Es ist beglückend und bereichernd über Kultur zu schreiben.»

Von Inka Grabowsky
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