von Maria Schorpp, 17.06.2024
Wenn Elfen und Menschen Theater machen
Endlich wieder Theater unter freiem Himmel: Das Theater Konstanz eröffnet die Open-Air-Saison in unserer Region mit einer Komödie von Shakespeare und macht daraus ein Wahnsinnsspektakel. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
„Der Serotoninspiegel von Verliebten ähnelt dem von Menschen mit Zwangsstörung. Serotonin erzeugt eine Obsession.“ Sagt die Anthropologin Anna Machin, zum Wesen der Liebe befragt. Nachzulesen ist das im Programmheft des Konstanzer Stadttheaters, das in diesem Jahr Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ als Sommertheater bringt. Zwangsstörung, Obsession – klingt nicht lustig. Ist es aber auf der Freilichtbühne neben dem Konstanzer Münster. Weil es so kolossal irre ist, was dem Publikum da geboten wird.
Shakespeare stellt ja diesem hormongesteuerten Wahnsinn im Elfenwald die angeblich von der Vernunft gesteuerte Nüchternheit am Hof von Athen gegenüber. Interessen gesteuert wäre wohl der passendere Ausdruck. So tobsüchtig, wie Anna Eger den Egeus spielt, verbietet es sich wohl, von Vernunft zu sprechen. Er will einfach, dass es nach seinem Kopf geht: Tochter Hermia (Ruby Ann Rawson) soll den Demetrius (Leonard Meschter) ehelichen, obwohl sie Lysander (Ioachim-Willhelm Zarculea) liebt, der sie zurückliebt.
Video: Trailer zur Inszenierung
Da fehlt nicht viel zur Stalkerin
Nicht selbstverständlich in diesem fluiden Reich der Liebeswallungen. Helena hat sich völlig kopflos in Demetrius verknallt, der im Gegenzug rein gar nichts von ihr wissen will. Nicht viel fehlt zur Stalkerin. Noch vor Beginn der Vorstellung läuft sie durchs Publikum, um ungefragt zu beteuern, „Ich lieb den über alles“. Auch in der Pause gibt sie keine Ruhe. Ihre Darstellerin Luise Harder ist eine grossartige Komikerin. Dabei möchte man ihr tatsächlich tröstend über den Kopf streichen. Wenn man nicht fürchten müsste, diese Wahnsinnsfrisur mit der haargewordenen Schleife zu zerstören.
Kostüm- und Bühnenbildnerin Anike Sedello hat ganze Arbeit geleistet mit den völlig überdrehten Frisuren und, ja, Kostümen des Shakespearschen Personals, das sich in diesem Zauberwald trifft, um auch noch den letzten Rest an zivilisatorischem Ballast abzuwerfen. Bunt und freundlich wie in einer überdimensionierten Kinderwelt sieht es da aus. Das kann sich allerdings im Handumdrehen zu einem Höllenfeuer abgründiger Nachtgestalten drehen. Besonders dann, wenn vor dem Münster die Sonne untergegangen ist.
21. Juni: Eröffnung der St. Galler Festspiele: Mit der Verwechslungskomödie The Fairy Queen von Henry Purcell finden die Festspiele von Konzert und Theater St.Gallen erstmalig am Flumserberg statt. Die Barockoper, die auf Shakespeares Sommernachtstraum basiert, entführt in einen verwunschenen Wald, für den die Naturkulisse im Süden des Kantons St. Gallen die perfekte Umgebung bietet. Mehr dazu gibt es hier.
11. Juli: Premiere im See-Burgtheater Kreuzlingen: Das neue Leitungstrio aus Giuseppe Spina, Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli inszeniert „Prometheus“ auf der Kreuzlinger Seebühne. „Revolution im Götterreich“ lautet der Untertitel und die Aufführung will laut Veranstaltertext mit „Dynamik, Pyrotechnik, Puppenspiel, ins Herz treffende Livemusik – und viel Humor“ überzeugen. Mehr dazu gibt es hier.
7. August: Start der Schlossfestspiele Hagenwil: Walter Andreas Müller spielt den Papst in der Komödie „Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde“. Regie führt Florian Rexer. Im Kinderprogramm gibt es ab 11. August einen Märchenklassiker „Hänsel und Gretel“ in der Version von Florian Rexer.
9. August: Freiluftttheater im Greuterhof Islikon: Auch die Frauenfelder Theaterwerkstatt Gleis 5 spielt in diesem Sommer wieder draussen: ab 9. August steht Tennessee Williams’ Stück „Die Katze auf dem heissen Blechdach“ auf dem Programm im Greuterhof. Regie führt Giuseppe Spina. Mehr Infos zu der Produktion gibt es hier.
14. August: Das „Theater Jetzt“ von Oliver Kühn gastiert in diesem Sommer in Berlingen. Der Schauplatz ist nicht willkürlich gewählt - schliesslich geht es um den Thurgauer Maler Adolf Dietrich. Musiktheater am See nennt Kühn sein Programm. Gespielt wird tatsächlich direkt am Bodensee. Mehr Infos dazu gibt es auf der Website des Theaters.
Liebe, dieser undurchdringliche Klumpen aus Emotionen
Die Inszenierung wartet mit einigen Überraschungen auf. Sind Hermia und Helena zwei mit Girl-Power, die entgegen allem Anschein wissen, was sie wollen, entpuppen sich Lysander und Demetrius als echte Knallchargen. Lysander, auf den zunächst beide Freundinnen (!) stehen, ein selbstgefälliger behäbiger Knilch, Demetrius ein blässliches Jungchen. Allein an den beiden Figuren lässt sich ablesen, wie blind die Liebe ihre Opfer macht – dieser undurchdringliche Klumpen aus Emotionen.
Dissonanzen bestimmen Ekat Cordes‘ Inszenierung, für die er die fast flappsige Übersetzung des „Sommernachtstraums“ von Rebekka Kricheldorf herangezogen hat, die nicht unerheblich zu dem ideenreichen und witzigen und keinesfalls sich anbiedernden Theaterabend beiträgt. Die Band (Ekaterina Afanasieva, Fancy Axmo, Rudolf Hartmann) durchkreuzt den Superhitschwung von Songs wie „Love is in the air“, „Something stupid“ oder „I put a spell on you“ mit gekonnt kruden Tönen, die die Schauspielenden mit Lust am Skurrilen noch verstärken.
Rödiger und Hoppe – ein alleinunterhaltendes Duo
Und da sind natürlich auch die beiden königlichen Ehepaare, in Athen auf dem Rundbogen Theseus und Hippolyta, die ihre Hochzeit vorbereiten, im Wald Oberon und Titania, ihres Zeichens König und Königin der Elfen und in einem Ehestadium angelangt, wo man sich von Herzen bekriegt. Dass beide Paare mit Ulrich Hoppe und Jana Alexia Rödiger identisch besetzt sind, kann nicht wirklich überraschen. Vernunft und Gefühle – zwei Seiten derselben Medaille. Rödiger und Hoppe könnten in beiden Varianten als alleinunterhaltendes Duo gehen.
Zu dem Überfluss an schauspielerischen Glanzleistungen gehört Julian Mantajs grün verfranzter Puck, der von seinem Herrn Oberon Leckerli kriegt. Oder auch nicht, wenn er wieder einmal etwas versemmelt hat. Dass er mit seinem Zaubersaft Lysander statt Demetrius beträufelt (oder umgekehrt?), ist ihm allerdings nachzusehen. Shakespeare hat wohl grossen Spass daran gehabt, die Liebesverwirrung auf die Spitze zu treiben. Egal. Ganz grosse Oper ist Pucks Liebesgerangel mit einer zotteligen Elfe, die Anna Eger in ihrer ergiebigeren Rolle und Julian Mantaj zu einem der Epizentren des Abends machen.
Shakespeare kannte bereits die Triggerwarnung
Apropos Lust an der Verwirrung: Die Vier von der Handwerkszunft, die ein Stück für die Hochzeit von Theseus und Hippolyta vorbereiten - das berühmte Spiel im Spiel im „Sommernachtstraum“ - hat Ekat Cordes dazu genutzt, sich auch übers Theater selbst lustig zu machen. Wo man sich doch hier über alles lustig macht.
Dabei scheint schon bei Shakespeare die Triggerwarnung bekannt gewesen zu sein. Handwerker Zettel, hier ganz einfach Klaus, ist ein Meister der Awareness. Thomas Fritz Jung schafft es, den übermotivierten Laiendarsteller, der alles will und wenig kann, mit seiner weltumarmenden Begeisterung fürs Theater als Sympathieträger rüberzubringen.
Am Ende hat Oberon dafür gesorgt, dass die Verhältnisse sich wieder einrenken. Dabei haben sich allerdings klammheimlich die Ober- und die Unterwelt gemischt. Da ist das eine oder andere spitzohrige Wesen erkennbar einem Menschenwesen zugetan. Dass die Inszenierung auch noch eine dritte Ebene eingebaut hat, indem das Ganze eine gemeinsame Theatervorstellung von Menschen und Elfen sein soll, hat man im Vorhinein mit Schrecken vernommen. Verwirrung total? Tatsächlich hat der Dreh diesen Spass eigentlich erst richtig ermöglicht. Denn wo und wann lässt es sich so aufdrehen, wie wenn Elfen und Menschen gemeinsam Theaterspielen?
Termine & Tickets
Bis 20. Juli spielt das Theater Konstanz die diesjährige Sommerproduktion. Alle Aufführungsdaten gibt es auf der Website des Theaters. Direkt zu den Tickets geht es hier.
Von Maria Schorpp
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