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von János Stefan Buchwardt, 12.06.2018

Von der Brache zum Wunderland

Von der Brache zum Wunderland
Originalton Olga Titus: «Wenn man so viele Pläne hat in der Kunst, dann muss man Gas geben, sonst wird man nicht fertig. Und viel umsetzen, sonst ist man ständig enttäuscht von sich selber.» | © János Stefan Buchwardt

Insbesondere für eine neue Form von Projekten mit Wendepailletten will Olga Titus den neuerlichen Förderbeitrag des Kantons Thurgau verwenden. Obwohl sie hier keine Unbekannte mehr ist, möchten wir ihr Werk und Wesen näher zu fassen versuchen.

Würde sie reinkarniert werden, sie käme als schimmernder Kolibri auf die Welt. In einem weiteren Leben erneut als Olga Titus aufzukreuzen, wäre alles in allem ein Stillstand. Und schon steht sie vor einem Konflikt: Einerseits müsse man sich doch von Leben zu Leben weiterentwickeln, andererseits: «Ich käme liebend gern als Künstlerin wieder, denn steigern lässt sich das grundsätzlich ja nicht.» Unter Umständen doch? Eventuell als Autorin, um dann mit Wörtern zu jonglieren, wendet Titus ein. – Es war einmal ein Mädchen aus Sulgen, das schmetterlingsgleich von der unsterblich machenden Speise der Götter naschte...

Und wie es durch ihr Werk hindurch gleitet und flirrt! Titus ist freakige Aussenseiterin und Volkstümlerin zugleich. Die Brachen einer kleinen Thurgauer Gemeinde hat sie in sich aufgesogen, das entstandene Vakuum mit Paradiesvogelhaftem angefüllt. Wer sich mit ihrem Schaffen vertraut macht, kommt sich beflügelt vor. Aus ländlicher Trostlosigkeit in ein Winterthurer Hinterhof-Atelier gewechselt zu haben, eingepfercht in öde Urbanität, scheint äusserlich kein Fortschritt. Aber ihr zielstrebiger Elan hat sich längst Schneisen geschlagen: üppige Gesten, bodenständig Tänzerisches, schelmisch-exotische Tableaus und Musik.

Originalton Olga Titus: «In meiner Kindheit durfte ich stundenlang ‹umestriele›. In Sulgen gab es sehr viele Unorte. Das Aufsaugen der Atmosphäre abgespacter Landschaften hat mich enorm inspiriert, etwas zu erschaffen, zu kreieren.» Bild: Videostill, Olga Titus

Imagination und Spiellust 

Titus ist experimentierfreudige bildende Künstlerin mit Popularitätspotential. Vordergründig findet man in ihren Videos, Fotografien und Bildcollagen ausufernde Nonsense-Episoden. Okkultes und Alltägliches werden zum geheimnisvoll-plakativen Eiland aufgeschüttet. Viele der geniesserischen Jonglagen der inzwischen über Vierzigjährigen zeugen vom Protest gegen triste Absonderlichkeiten der Erwachsenenwelt. Die Sinngehalte der Objekte und Installationen wollen schliesslich klartraumhaft entschlüsselt werden. – Was sie am liebsten unternähme im Thurgau? «Eine Töffli-Tour!», sagt sie lachend und ohne Umschweife. Aber sie sei beileibe noch nie damit herumgefahren.

Eine Frau, die sich erdgebundene Mädchenhaftigkeit und echte Hinneigung bewahrt hat, stemmt sich leichtfüssig gegen die Paradoxien unseres Alltags? Wer die Überschaubarkeit einer Puppenstube so eigenständig und fein gesponnen zur geistigen Tiefe zu erheben vermag, hat sich Berechtigung innerhalb der Kunstszene verdient. Wo kindliche Fantastik zum ausgereiften Showelement der Menschlichkeit an sich wird, da hat der Thurgau gut daran getan, das erneut für anerkennenswert und förderungswürdig zu halten. Die Vergabe des Preisgeldes an Titus spricht für den künstlerischen Wahrnehmungshorizont des Kantons.


Rosy Hues, Zoetrop, 2015, kinetisches Objekt in Bewegung | Originalton Olga Titus: «An die Torte bin ich euphorisch herangegangen. Die Elemente sammeln, im Photoshop bearbeiten, ausdrucken auf Fotopapier, mit der Schere ausschneiden, mattieren, hinten abmalen, aufs ‹Stengeli› aufkleben ... – ein regelrechter Bauprozess in Handwerksarbeit. Zeitaufwand: ein halbes Jahr, wenn auch nicht durchgehend.» Foto: Ralph Feiner

Mein Atelier, mein Paradies 

Über ihre künstlerische Werkstätte ist schon viel geschrieben worden. In der Tat, sie ist Putten-Papiliorama respektive Streichelzoo für allerlei Zierrat. Aus Ramschmaterialien ragen Schmuckmusterungen heraus, Nippesrequisiten wetteifern mit Deko-Utensilien. Aus Schnickschnack und Tand entsteht hier Grosses. Sie schaffe grösstenteils aus dem Bauch heraus. «Ich wähle», führt Titus aus, «bewusst Kitschelemente, um etwas zu verdeutlichen. Intuition und Verfremdungseffekte sind mir wichtig.» Eine Welt ohne Ironie und Witz wäre tragisch. Gerade durch Überhöhung und Übertreibung breche sie mit dem Erstarrten.

Erfindungsgabe und ein gut geführter Atelierfundus also als Inspirationsquelle und künstlerisches Gebrauchtwarenlager. Sie wolle lustvoll ausagieren, wozu ihr Leben bestimmt sei. Und genau damit setze sie (ihre) Zeichen. Titus versteht ihre Kunst als gestalterisches Pendant zu den überwiegend besorgniserregenden Tages- und Weltnachrichten. Es darf einem wie Schuppen von den Augen fallen, wenn sie sagt: «Freude auslösen über Schönes und Ironisches, das ist meine Taktik, um Menschen abzuholen. In das Lockmittel Zuckerwatte fliesst aber durchaus auch Gesellschaftskritisches ein, wenn auch spärlich und sehr subtil.»

Materialreserve im Atelier in Winterthur | Originalton Olga Titus: «Erschaffen macht Lust am Hiersein. Der persönliche Motor, der uns am Leben erhält, ist Geschenk und Elixier. Wer etwas seine Passion nennt – und das ist nicht altersabhängig –, darf sich glücklich schätzen.» Foto: János Stefan Buchwardt

Gleichsinn und Wohlklang 

Wenn sie selbst es auch nie so artikulieren würde (und müsste), die noch nicht geborene Virtuosin des Wortes es vielleicht auch gar nicht vermöchte, Titus katapultiert nichts weniger als Mysterien der Schöpfung auf eine fasslich unterhaltsame Ebene herunter. Dabei beanspurcht sie Irrwitz für sich. Ihr surrealistischer Kunstkosmos entpuppt sich als effektvoller Akt, Rationalitätsprinzipien zu unterlaufen. Animationswelten werden zum gebändigten Bespiegeln und Hinterfragen von Klischees und Kulturen. Die Dramaturgie scheint sich Eintracht und Gleichmut zu wünschen und ruft genussreich zur Herzenbildung auf.

Die Gestaltwandlerin und (Selbst-)Inszenatorin Olga Titus kann auch anders. Ihre trashig-satirischen Szenarien weichen etwa im Video «Hybrids» von 2014 nüchterneren Strukturen. Anstatt in Nostalgiezauber verpackt präsentiert sich das Spiel mit zu ergründender Wesenhaftigkeit hier in technoid anmutender Monotonie. Grund und Boden bietet für einmal die Wüstenei einer Kiesgrube. Die Wildnis der Lebensäusserung, der Schalk bei der Suche nach Herkunft und Prägung, Geschichte und Individualität – Titus selbst hat malaysisch-indische Wurzeln – wird, wenn auch minimalistisch, dennoch zum erregenden und befreienden Moment.

Video «Hybrids» in der Kunsthalle Winterthur | Originaltton Olga Titus: «Ich suche nicht die Superperfektion. Das ist nicht das Element, mit dem meine Kunst etwas bewegen kann. Aber es ist mir wichtig, Emotionen auszulösen.»

Resümee 

Festzuhalten bleibt und das ist, blumig-balsamisch gefasst, durchaus respektzollend gemeint: Der hochästhetisierte «Unsinn» einer Olga Titus ist alles andere als von Logik und Weisheit gelöste Bildsubstanz. Am Ende vermittelt sich ihre mit Zeichentrick und Lebenshunger getränkte Originalität als überbordendes Füllhorn eines Verstehenwollens. Wenn Virtuelles unter ihrer Hand zu analogem Hand- und Kunstwerk wechselt (und umgekehrt), dann wird gesellschaftlichen Faktoren wie Zukunftsgläubigkeit, Wertschätzung tradierten Kultes und Rundsicht überlebensnotwendiger Atem eingehaucht.

 Originalton Olga Titus: «Das Fördergeld ist eine grandiose Unterstützung. Ohne den Kanton, auch die damaligen Studienstipendien, wäre ich längst nicht da, wo ich bin. Ich bin extrem froh, dass ich das alles machen kann.» Bild: Videostill, Olga Titus

Video: Beitrag von arttv.ch über Olga Titus (2013)


  
 

Die Förderbeiträge und die Serie

Die Förderbeiträge: Der Kanton Thurgau vergibt einmal pro Jahr maximal sechs Förderbeiträge an Kulturschaffende. Diese sind finanziert aus dem Lotteriefonds und belaufen sich auf je 25 000 Franken. Die Förderbeiträge sind als Kunststipendien für die künstlerische Weiterentwicklung bestimmt. Die Bewerberinnen und Bewerber müssen die Fachjury mit ihrem Leistungsausweis, ihren Entwicklungsmöglichkeiten und einem geplanten Vorhaben überzeugen. Sie müssen im Kanton Thurgau wohnhaft sein oder einen engen Bezug zum Thurgau aufweisen, zum Beispiel durch den Schwerpunkt des künstlerischen Wirkens oder durch Herkunft. Die nächste Ausschreibung erfolgt im Herbst 2018. Mehr Informationen gibt es unter www.kulturamt.tg.ch 

 

Die Serie: In einer Serie stellen wir alle sechs Begünstigten der diesjährigen Kulturförderbeiträge vor. Dies sind: Beat Keller, Musiker, Winterthur, Micha Stuhlmann, Performerin, Kreuzlingen; Felix Brenner, bildende Künstlerin, Altnau; Sarah Hugentobler, bildende Künstlerin, Bern; Vincent Scarth, bildender Künstler, Zürich; Olga Titus, bildende Künstlerin, Winterthur. Die Medienmitteilung zur Vergabe der Förderbeiträge gibt es hier http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3557     


Unseren Bericht von der Vergabefeier am 31. Mai in Romanshorn können Sie hier lesen: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/die-entdeckung-der-cooles-3631 

Teil 1 der Serie über Micha Stuhlmann: Zum zweiten Mal erhält die Performerin Micha Stuhlmann einen Kulturförderbeitrag des Kantons. Mit ihrem «Laboratorium für Artenschutz» will sie der Kunst und dem Leben näher kommen: 

https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3595 

 

Teil 2 der Serie über Felix Brenner: Der bildende Künstler Felix Brenner ist einer der sechs Preisträger des Förderpreises für Kulturschaffende des Kantons Thurgau. Thurgaukultur traf ihn in seinem Zuhause in Altnau:

https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3596/  

 

Teil 3 der Serie über Sarah Hugentobler: Zeitgeistig und ein bisschen unheimlich: Sarah Hugentobler hält ihr Publikum in Atem. 

https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3617

 

Teil 4 der Serie über Beat Keller: Der Weinfelder Beat Keller ist Noise-Musiker. Er spielt mit einer Feedbacker-Gitarre, einem weltweiten Unikat, experimentelle Musik. Ende Monat erhält er dafür einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau. 

https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3624/

 

Teil 5 der Serie über Vincent Scarth: Bis vor wenigen Tagen hat Vincent Scarth noch Wände mit Kindern in Mexiko angemalt. Für seine grenzüberschreitende Kunst hat er jetzt einen Förderbeitrag des Kantons erhalten. https://www.thurgaukultur.ch/magazin/wanderer-zwischen-den-welten-3634    

 

  

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