von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 01.06.2018
Die Entdeckung der Coolness
Die Vergabe der Förderbeiträge des Kantons in Romanshorn zeigt vor allem zwei Dinge: Die kulturelle Szene ist vielfältig, der Kanton hat eine bemerkenswerte Portion Lässigkeit gelernt.
Es gibt vermutlich nicht viele Kantone, die sich die Lässigkeit zutrauen, einem mit halluzinogenen Pilzen experimentierenden Künstler einen Förderbeitrag über 25.000 Franken zuzusprechen. Der Thurgau wagt es mit der Vergabe eines Kulturförderbeitrags an Felix Brenner und demonstriert damit eine dreifache Coolness: Eine Coolness in der Auswahljury und Kulturverwaltung solche Vorschläge zuzulassen, eine Coolness in der Politik, diese Vorschläge anzunehmen und eine Coolness des gesamten Thurgauer Kulturlebens, die manche dem Kanton gar nicht zutrauen.
Für Letzteres spricht freilich nicht allein die Auszeichnung von Felix Brenner, sondern eben auch die anderen fünf Förderbeiträge, die am Donnerstagabend im Kino Roxy in Romanshorn vergeben wurden an Sarah Hugentobler (bildende Künstlerin), Beat Keller (Musiker), Vincent Scarth (bildender Künstler), Micha Stuhlmann (Performerin) und Olga Titus (bildende Kunst). So unterschiedlich diese Künstlerinnen und Künstler auch sind, sie eint das Bestreben, Grenzen auszuloten. Ausgewählt wurden sie übrigens aus 46 Bewerbungen von einer Fachjury. Links zu ausführlichen Porträts aller Künstlerinnen und Künstler finden Sie am Ende des Textes.
Bilderstrecke von der Vergabefeier (alle Fotos: Mario Gaccioli)
In ihrer Ansprache zur Preisvergabe redete Regierungsrätin Monika Knill denn unter anderem auch über das Thema Vielfalt in der Kunst und was das für die Kulturförderung bedeutet: „Die Kulturförderung muss diesem Umstand - der Vielfalt der Kunstschaffenden, den hohen Ansprüchen mit denen sie konfrontiert werden - Rechnung tragen. Mit den persönlichen Förderbeiträgen des Kantons Thurgau unterstützen wir jedes Jahr diese Vielfalt. Die Jury hat jeweils die schwierige Aufgabe, aus dieser Vielfalt sechs herausragende Künstlerinnen und Künstler auszuwählen.“
Über den schwierigen Weg des Künstlers
Knill betonte, dass es heute nicht einfach sei, sich für den Weg als Künstler zu entscheiden: „Einzigartigkeit ist ein zentraler Anspruch an Kunstschaffende. Künstlerinnen und Künstler sollen eigenständig, originell und innovativ sein. Gleichzeitig dürfen sie aber auch nicht allzu experimentell sein mit ihrer Kunst, sondern müssen markttauglich sein.“ In dieser Vielzahl der Forderungen sei es anspruchsvoll, den eigenen Weg zu finden. Erst recht, da gelte: „Es gibt für die Künstlerinnen und Künstler nicht nur einen richtigen Weg. Es gibt keine Musterkarriere, die man kopieren könnte, keine vorgegebene Laufbahn.“
Monika Knill nutzte ihre Rede auch, um auf die Abstimmung über das Geldspielgesetz am 10. Juni hinzuweisen: „Ich stimme überzeugt Ja zum neuen Geldspielgesetz und hoffe damit, dass wir weiterhin eine professionelle Kultur- und Sportförderung mit entsprechenden Erträgen aus dem Lotteriefonds betreiben können“, so die Regierungsrätin. Tatsächlich ist der Lotteriefonds zentral in der Kulturförderung des Kantons: Allein 2017 erhielt der Thurgau von Swisslos etwas mehr als 14 Millionen Franken. 81 Prozent davon flossen in den Lotteriefonds, 19 Prozent in den Sportfonds.
Aus den Laudationes
Rebekka Ray, Kuratorin, über Felix Brenner: «Seine präzisen Darstellungen von Details, sein Übereinanderschichten von Räumen, Wirklichkeiten, Wahrnehmungsebenen aber auch sein Selbstverständnis als Künstler konfrontiert uns Betrachtende dabei mit unserer eigenen, von Konventionen und Normen bestimmten Wahrnehmungsweise unserer Lebenswelt».
Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau, über Sarah Hugentobler: «Mit ihren digitalen Ausdrucksmitteln konstruiert sie irritierende Bildwelten, in denen sich unser sicheres Wissen über die Beziehung zwischen Wirklichkeit und Bild fast unmerklich aber umso nachhaltiger auflöst.»
Dominik Deuber, künstlerischer Leiter des generations-Festival, über Beat Keller: «Der Eigenklang des Instruments. Nicht die Relation der einzelnen Töne nacheinander und miteinander. Der Klang als Klang. Der Klang als das, was er ist – nicht wofür er benutzt werden kann; der Klang – dieser Klang, das Singen, das Klingen, das Schwingen.»
Judit Villiger, Künstlerin, über Vincent Scarth: «Vincent Scarth ist ein virtuoser Geschichtenerzähler mit dem Medium der Malerei. (…) Scarth kontrastiert komplexe philosophische Themen mit bewusst amateurhaft umgesetzten Zitaten. «Mit den technischen und finanziellen Ressourcen hält er sich dabei weitestgehend zurück, um das kreative Potenzial der Prekarität herauszufordern.»
Peter Surber, Journalist, über Micha Stuhlmann: «In ihrem Ensemble, sagt Micha Stuhlmann, gibt es Leute mit Lebens- oder Arbeitserfahrungen, an die ein Bühnenprofi nie herankommen wird. Mit andern Worten: Profi oder Laie ist man nicht einfach – sondern es kommt auf die Aufgabe an. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich weitherum in der Theaterlandschaft der Begriff der «Experten des Alltags» eingebürgert.»
Rebekka Ray, Kuratorin, über Olga Titus: «Kaleidoskopartig, gespiegelt, geschichtet und montiert werden ihre Motive in nun scheinbar rein ornamentale Gefüge überführt. Farbe, Reizüberflutung, Bewegung und Rhythmus erinnern an Bilder der Werbung, der Clip-Ästhetik oder des Video-Games. Zugleich werden aber auch Flüchtigkeit und Vergänglichkeit dieses visuellen Reizes zelebriert.»
Die Förderbeiträge und die Serie
Die Förderbeiträge: Der Kanton Thurgau vergibt einmal pro Jahr maximal sechs Förderbeiträge an Kulturschaffende. Diese sind finanziert aus dem Lotteriefonds und belaufen sich auf je 25 000 Franken. Die Förderbeiträge sind als Kunststipendien für die künstlerische Weiterentwicklung bestimmt. Die Bewerberinnen und Bewerber müssen die Fachjury mit ihrem Leistungsausweis, ihren Entwicklungsmöglichkeiten und einem geplanten Vorhaben überzeugen. Sie müssen im Kanton Thurgau wohnhaft sein oder einen engen Bezug zum Thurgau aufweisen, zum Beispiel durch den Schwerpunkt des künstlerischen Wirkens oder durch Herkunft. Die nächste Ausschreibung erfolgt im Herbst 2018. Mehr Informationen gibt es unter www.kulturamt.tg.ch
Die Serie: In einer Serie stellen wir alle sechs Begünstigten der diesjährigen Kulturförderbeiträge vor. Dies sind: Beat Keller, Musiker, Winterthur, Micha Stuhlmann, Performerin, Kreuzlingen; Felix Brenner, bildende Künstlerin, Altnau; Sarah Hugentobler, bildende Künstlerin, Bern; Vincent Scarth, bildender Künstler, Zürich; Olga Titus, bildende Künstlerin, Winterthur. Die Medienmitteilung zur Vergabe der Förderbeiträge gibt es hier http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3557
Teil 1 der Serie über Micha Stuhlmann: Zum zweiten Mal erhält die Performerin Micha Stuhlmann einen Kulturförderbeitrag des Kantons. Mit ihrem «Laboratorium für Artenschutz» will sie der Kunst und dem Leben näher kommen:
https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3595
Teil 2 der Serie über Felix Brenner: Der bildende Künstler Felix Brenner ist einer der sechs Preisträger des Förderpreises für Kulturschaffende des Kantons Thurgau. Thurgaukultur traf ihn in seinem Zuhause in Altnau:
https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3596/
Teil 3 der Serie über Sarah Hugentobler: Zeitgeistig und ein bisschen unheimlich: Sarah Hugentobler hält ihr Publikum in Atem.
https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3617
Teil 4 der Serie über Beat Keller: Der Weinfelder Beat Keller ist Noise-Musiker. Er spielt mit einer Feedbacker-Gitarre, einem weltweiten Unikat, experimentelle Musik. Ende Monat erhält er dafür einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau.
https://www.thurgaukultur.ch/magazin/3624/
Die Porträts über Olga Titus und Vincent Scarth folgen in den nächsten beiden Wochen.
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