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von Anke Klaaßen, 03.10.2024

„Produzieren ist wahnsinnig viel Psychologie“

„Produzieren ist wahnsinnig viel Psychologie“
Die Filmproduzentin Katrin Renz. | © Richard Grell

Unsichtbar (4): Die Filmproduzentin Katrin Renz arbeitet in Zürich, 2018 wurde sie in Cannes als „Producer on the Move“ ausgezeichnet. Im Gespräch mit thurgaukultur.ch erzählt sie von ihrer Arbeit und den Besonderheiten der Filmproduktion in der Schweiz. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Produzent:innen beim Film – das sind die mit dem grossen Geld. So lautet jedenfalls ein gängiges Klischee. Katrin Renz winkt da ab: „Produzenten gehen teilweise auch in Vorleistung, also, dass sie zunächst auf ihre eigenen Honorare verzichten, um Filme möglich zu machen“, sagt die Frau, die seit Jahren als Produzentin arbeitet.

Ihre Aufgabe als Produzentin? „Wir müssen gucken, wie wir die Firma am Laufen halten, weil man auch hohe Fixkosten hat und es gibt natürlich auch Jahre, wo‘s nicht so gut läuft. Wenn die Projekte finanziert werden, ist es natürlich schön, aber es kann auch sein, dass die Planung nicht aufgeht und Filme sehr lange brauchen, bis sie finanziert sind oder gar nicht finanziert werden können.“

Ihr Weg in den Beruf

Katrin Renz hat nicht klassisch Filmproduktion an einer Filmhochschule studiert, sondern Neuere deutsche Literatur und Medienwissenschaften in Marburg und London– mit Schwerpunkt Filmwissenschaft, dabei erwachte auch die Begeisterung für den Film. Und dafür Filme zu produzieren. Heute ist sie Geschäftsführerin bei der Züricher Filmproduktionsfirma tellfilm.

2018 wurde sie in Cannes als „Producer on the Move“ ausgezeichnet. Bei dieser Initiative werden jedes Jahr 20 Produzent:innen aus ganz Europa ausgewählt. Sie zielt darauf ab, europäische Produzent:innen mit potenziellen Koproduktionspartner:innen zusammenzubringen, ihre Branchennetzwerke zu stärken und gleichzeitig eine solide und sichtbare Plattform für diese Generation europäischer Filmschaffender zu bieten.

„Wir sind nicht die Bösen!“

Katrin Renz, Filmproduzentin

Das Bild, das die meisten Menschen von ihrem Job hätten, sei überholt, sagt Renz: „Wir holen ja nicht nur das Geld“, so die Produzentin, da stecke ganz viel andere Arbeit drin: „Als Produzentin bist du ja ganz von Beginn dabei. Das heisst, ich entwickle mit den Drehbuchautoren die Stoffe.“ Darüber hinaus habe sie von Anfang an viel Kontakt zur Regie. Dann sei es das Wichtigste, die Finanzierungsstruktur aufzubauen und Strategien zu entwickeln:  Wie kann so ein Film umgesetzt werden, woher kommen die Gelder? „Allein aus der Schweiz heraus ist das eben mittlerweile sehr schwierig geworden.“

Meistens gebe es Koproduktionen mit anderen Ländern. Gemeinsam mit der Herstellungsleitung erstellt sie ein Projektpaket, das dann in die Förderung gehen kann und für das dann ein Team zusammengestellt wird. Der Kontakt mit Förder:innen, Fernsehsendern, Koproduzenten gehöre ebenfalls zu ihrer Arbeit: „Ich schreibe meine 200 Mails am Tag“, meint sie.  Später gehe es dann um die Verwertung, die Zusammenarbeit mit Verleih und Weltvertrieb, den Besuch von Filmfestivals.

Eine Aufgabe: Das Team zusammenhalten

Wer sich jemals die Mühe gemacht hat, einen Abspann im Kino ganz anzugucken, weiss, wieviel Menschen an einem Kinofilm mitgearbeitet haben. Natürlich könne Katrin Renz nicht zu all diesen Menschen den direkten Kontakt haben, aber darin dieses Team zu leiten und zusammenzuhalten, darin sieht sie gemeinsam mit der Regie eine ihrer Aufgaben. Insofern habe man als Produzentin auch einen grossen Einfluss darauf, ob so ein Film am Ende auch gut wird: „Weil, wenn die Stimmung gut ist, dann kann die Regie in Ruhe arbeiten und alle haben Lust der Regie zu helfen, die Vision umzusetzen.“

Wertschätzung und Freundlichkeit gegenüber allen Teammitgliedern seien ihr sehr wichtig.  Der Verlauf von Vertragsverhandlungen, die Qualität des Caterings, Anfahrtswege und Hotel – all das habe Auswirkungen auf die Stimmung bei den Dreharbeiten. „Also, wir sind nicht die Bösen, ganz im Gegenteil“, meint Katrin Renz.  

Sie mag ihre Arbeit sehr: „Ich bin total glücklich, weil ich es eben gerade als Produzentin so spannend finde, dass der Job so abwechslungsreich ist und jede Produktion ist immer wieder eine neue Herausforderung, wo man nicht nach Schema F arbeiten kann. Auch jeder Vertrag ist wieder etwas Neues, jedes Budget ist neu, die Teams sind immer andere und jede Regie, mit der man zusammenarbeitet ist anders.“

 

Filme machen, die auch eine Relevanz haben im Heute. Bild: Sandro Baebler

Selbst schreiben? Eher nicht

„Ich finde, Produzieren ist wahnsinnig viel Psychologie, auch weil man schon in der Entwicklung den gemeinsamen Weg und Zugang finden muss, um ein gemeinsames Drehbuch zu entwickeln, damit es auch eine gemeinsame Vision ist.“  Selbst schreiben möchte Katrin Renz nicht: „Das können die anderen besser. Ich glaube, ich bin ein zu rationaler Mensch letzten Endes, als dass ich in so Figuren richtig eintauchen könnte.“

Aber Drehbücher mitentwickeln, das bereite ihr viel Freude. Sie liest die neue Drehbuchfassung und dann gibt es eine gemeinsame Sitzung, in der inhaltlich gesprochen wird und sie ein Feedback gibt, das könne eine halbe Stunde aber auch vier Stunden und länger sein. Dann gehe der Drehbuchautor oder die Autorin wieder ans Schreiben.

Wie Budgetkürzungen Produktionen verändern

Im Gespräch gehe es um dramaturgische Themen, wenn zum Beispiel eine Figur noch nicht funktioniert. Sie macht dann Vorschläge, aber nicht in dem Sinne, dass es jetzt genau so umgesetzt werden muss. „Ich finde, die Kunst ist in der Dramaturgie, den Autoren das Gefühl zu geben, dass sie selbst die Idee entwickelt haben und selbst die passende Lösung gefunden haben und nicht jetzt etwas tun, das sie gar nicht machen wollen.“

Manchmal muss das Drehbuch auch umgearbeitet werden, weil das Budget gekürzt wurde: „Aber man versucht dann natürlich inhaltlich eine Lösung zu finden, die dem Projekt nicht wehtut in dem Sinne. Also manchmal sind Einschränkungen auch ganz gut, das kann dem Projekt auch helfen, weil es eine gewisse Kreativität auch neu eröffnen kann in der Entwicklung“, erzählt Renz.

Wichtig: Eine gemeinsame Vision entwickeln

In der Zusammenarbeit mit der Regie findet es die Produzentin extrem wichtig, der Regie zu vertrauen, ihre Vision zu unterstützen und nicht etwas vorzugeben, das sie selbst sich vorstellt. Wenn man merke, das jetzt gerade etwas in eine falsche Richtung gehe, müsse man allerdings schon einschreiten.  Aber als Produzentin habe man die Regisseur:innen ja auch ausgesucht, eine gemeinsame Vision entwickelt und dann müsse man es auch laufen lassen.

„Natürlich muss ich auch dahinterstehen. Und das ist etwas, was mir am Herzen liegt, dass man da gemeinsam von Anfang bis Ende an einem Strang quasi zieht.“  Was ihr auch am Herzen liege und was ihr auch meistens ganz gut gelinge: „Für so ein Projekt die richtigen Leute zu finden und ein Team zusammenzustellen, das harmonisch miteinander arbeiten kann.“

 

Die Filmproduzentin Katrin Renz bei den Dreharbeiten zu dem Kinofilm „Monte Verità“. Der Film unter besonderen Bedingungen während der Coronapandemie gedreht. Bild: Tellfilm

Die Besonderheiten der Filmproduktion in der Schweiz

Warum Katrin Renz, die ursprünglich aus der Nähe des baden-württembergischen Metzingen stammt, heute als Filmproduzentin in der Schweiz arbeitet? „Das ist tatsächlich Zufall“, meint sie. Sie hat nicht klassisch Filmproduktion an einer Filmhochschule studiert, sondern Neuere deutsche Literatur und Medienwissenschaften in Marburg und London– mit Schwerpunkt Filmwissenschaft, dabei erwachte  auch die Begeisterung für den Film. Danach machte sie in Berlin ein Praktikum bei der Master School Drehbuch, wurde übernommen.

Als sie dort dann das europäische Stoffentwicklungsseminar „Step by step“ mit Beteiligung von Österreich, Schweiz und Deutschland leitete, habe sie auch viele Kontakte in die Schweiz geschlossen. Unter anderem war Stefan Jäger dabei, ein Schweizer Drehbuchautor, Regisseur und Produzent, mit dem sie heute zusammen eine Produktionsfirma leitet.

Erfahrung auch in der Filmförderung

Katrin Renz machte ausserdem eine Ausbildung zur Dramaturgin, arbeitete bei der Berliner Produktionsfirma Glücksfilm als Produktionsassistentin, später als Produktionsleitung, eine weitere Station war bei der Filmförderung Media in Berlin. Aus privaten Gründen sei sie dann 2007 mit ihrer Familie für eine Zeit zum Arbeiten von Berlin nach Zürich gezogen und habe dort mit Stefan Jäger die Produktionsfirma tellfilm aufgebaut.

Inzwischen lebt sie mit Mann und drei Kindern in Konstanz und pendelt nach Zürich. „Wahrscheinlich bin ich die einzige deutsche Produzentin zumindest in der Deutschschweiz, mir fällt tatsächlich gar niemand sonst ein“, überlegt die Produzentin.

Filme produzieren in der Schweiz sei anders als in Deutschland: „Es ist einfach viel, viel kleiner natürlich. In Deutschland haben wir ja ganz viele regionale Förderungen, müssen dann aber auch bei jeder regionalen Förderung drehen.“ In der Schweiz seien die Förderungen überschaubarer. Aber man bekomme viel schneller einen Zugang zu Akteuren und Förderleuten als in Deutschland. Das gelte auch für den Kontakt zu Fernsehsendern: „Das fand ich damals spannend, als ich in die Schweiz kam, dass man Redakteure auch sofort duzt.“ Das dauere in Deutschland oft viel länger.

Filme mit Relevanz für heute

Seit 17 Jahren ist Katrin Renz nun bei der Züricher Filmproduktionsfirma tellfilm, seit 2014 als Geschäftsführerin und Gesellschafterin. Ursprünglich war das Profil von tellfilm gewesen „Schweizer Themen erzählen oder Schweizer Geschichten zu erzählen, die aber auch international eine gewisse Relevanz haben.“  Dadurch, dass die Firma aber inzwischen auch viele minoritäre, internationale Koproduktionen habe, sei das nicht mehr ganz so der Fokus.

Minoritär – das bedeutet die Produktionsfirma ist im Vergleich zu den anderen beteiligten Koproduktionsfirmen mit weniger Budget dabei, trägt aber zumeist dann auch weniger Risiko und ist je nach Anteil entsprechend mehr oder weniger in die gesamte Produktion involviert. Aber auch die minoritären Projekte würde tellfilm sehr bewusst auswählen.

Für Katrin Renz sei es wichtig „Filme zu machen, die irgendeine Relevanz haben auch im Heute. Das heisst, wenn wir historische Filme machen, dann muss das auch noch irgendeine Bedeutung für heute haben für die ZuschauerInnen.“ Ein Beispiel dafür sei der Film „Monte Verità“ (2021).  Das historische Drama spielt um 1906, beruht auf realen Ereignissen und erzählt die Geschichte einer Gruppe von Aussteigern, zu denen auch Hermann Hesse zählte, auf dem Schweizer Berg Monte Verità.

 

„Monte Verita finden wir vom Thema extrem progressiv.“, meint Katrin Renz. Da gehe es unter anderem um Veganismus und um die Gleichstellung von Männern und Frauen. „Wir diskutieren noch immer über die gleichen Themen, das ist erschreckend.“, so die Produzentin.

Im letzten Jahr wurde „Ingeborg Bachmann“ gedreht, ein historischer Film, der für Katrin Renz ebenfalls eine grosse Relevanz hat. Der Film über die österreichische Schriftstellerin erzählt die Geschichte einer Frau, „die so unglaublich progressiv war, dass Männer, unter anderem Max Frisch da eigentlich gar nicht mitkamen und die auch progressiver war als viele Frauen von heute.“, so Renz.

 

Ingeborg Bachmann war für die Produzentin ein besonderes Herzensprojekt – die ursprüngliche Idee für das Projekt kam von ihr und es war ihr Wunsch, den Film mit Regisseurin Margarethe von Trotta zu realisieren. Und tatsächlich konnte die Regisseurin für das Projekt gewonnen werden: „Margarethe von Trotta ist einfach eine grossartige Frau, so dass mich das sehr glücklich gemacht hat, mit ihr zusammenzuarbeiten und sie kennenzulernen.“, so Katrin Renz. Als Vierländerproduktion, die in sechs Ländern gedreht wurde, war es auch die bisher grösste Filmproduktion für die Produzentin.

Aktuell entwickelt tellfilm zwei Serien, finanziert neue Spielfilme von renommierten internationalen Regisseuren und man darf gespannt sein auf vier neue Spielfilme, allesamt schon in Produktion oder Postproduktion:  „Mother’s Baby“ von Johanna Moder, „Do you believe in angels, Mr Drowak?“ von Nicolas Steiner, „The Tasters“ von Silvio Soldini und „The Prank“ von Benjamin Heisenberg.

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