von Maria Schorpp, 25.06.2018
Schwankende Gestalten
Die Freilichtinszenierung des Konstanzer Stadttheaters greift sommerlich leicht auf Edmond Rostands „Cyrano de Bergerac“ zu. Sie erzählt von Menschen, die erst angesichts des Todes merken, was die Liebe für sie hätte sein können.
Das versteht jeder. So einen Zinken will niemand im Gesicht. Damit ist man geschlagen, wie man so sagt. Selbst einer wie Cyrano, dem es ansonsten nicht ein Chuzpe fehlt. Zieht gleich den Degen, wenn ihm eine Nase nicht passt. Trüber Witz, seine sind auf bessere Weise blöd. Ingo Biermann näselt wie der tierfilmende Frankfurter Zoodirektor Grzimek, der dem Fernsehvolk in den 70ern die Serengeti näherbrachte, wenn sich sein Cyrano über sich selbst lustig macht. Das ist Masochismus. Und das gleich in doppeltem Sinne. Nicht nur weil er selbst wie ein Tier unter seinem Riechorgan leidet, sondern weil die Sprüche unter seinem Niveau als Mann der Poesie sind.
Ingo Biermann macht das klasse, singt mit dieser sorgsam angepassten Nasenprothese die Stones, David Bowie und sonst noch allerhand nach und bringt damit satte Freilichtatmosphäre ins Konstanzer Sommertheater auf dem Münsterplatz. Er ist ein genialischer Berserker wie Alice Cooper mit seiner zotteligen Matte, die ihm dünnsträhnig weit den Rücken hinunter reicht, und den schwarzen Lederhosen (Kostüme von Nic Tillein). Man könnte ihm auf der Stelle abnehmen, dass er sich einen Dreck um bürgerliche Konventionen schert. Wenn diese Empfindlichkeit wegen seiner Nase nicht wäre. Und dann verguckt er sich auch noch in die Schönste am Platz, Roxane (mit Puffärmeln wie aufgeblasene Fahrradschläuche), eine Art It-Girl.
Mehr Bilder aus der Inszenierung (alle Fotos: Ilja Mess)
Mark Zurmühle hat einen intuitiv überzeugenden Zugriff gefunden für Edmond Rostands romantische Komödie, wobei das Komödienelement sich eher in kleinen Menschenkarikaturen auslebt. Thomas Fritz Jung, der den Christian de Neuvillette richtig schön blöd spielt, dem Cyrano mit seinen Versen aushilft, um Roxane zu erobern, ist gegen den Strich besetzt. Mit blonden Locken kann er nicht dienen und soll es auch nicht. Er ist ein Gaucho, einer vom Land, der mit offenem Mund das Treiben der metropolen Kriegs-Hautevolee bestaunt. Jung wippt linkisch in den Knien und grinst deppert, wenn Popstar Cyrano samt Band seinen Auftritt hat. Das sieht so ziemlich wie das Gegenteil von einem aus, in den sich eine wie Roxane verliebt. Insofern man von Liebe sprechen kann bei diesen drei Rollenspielern, die statt Menschen Bilder lieben, die das Bild von sich selbst optimieren.
Die Hüpfburg, die als Luftschloss neben dem Münster aufgeblasen wurde (Bühne von Marie Labsch), lädt denn zu etlichen Hüpfereien ein, die zu richtig guten Bildern vom instabilen Untergrund dieser Lebensbedingungen erzählen, die viel Kraft, aber keinerlei Erdung bieten. Alles schwankende Gestalten, die sich irgendwie aufrecht halten müssen, insbesondere wenn Krieg ist und alle hingehen müssen.
Diese Männerwelt braucht das Engelchen, um sich stark zu fühlen
Die Schummeltechnik der drei: mit vermeintlichem Spieltrieb die bittere Wirklichkeit austricksen. Laura Lippmanns Roxane hat dieses penetrant Mädchenhafte („Super, dass Sie da sind“), das ganz schön nerven kann mit dem aufgesetzten Welpencharme. Die Schauspielerin macht das sehr gekonnt, fast ein bisschen zu gut. Wahrscheinlich braucht diese Männerwelt, die sich selbst ein blinder Fleck ist, eine, die das Engelchen gibt, um sich selbst schön stark zu fühlen. Sie setzt das auch ein, um bei Graf Guiche, der ebenfalls um sie herumschwirrt, Kriegsaufschub für ihren Christian zu bewirken. Georg Melich bleibt trotz bräsigem Motorrad, mit dem er durch den Bühnenraum braust, – schade – nur Nebenfigur. Mit Gregor Müller, Tomasz Robak und Jonas Pätzold stellt er die handlungsantreibende in hippe Klamotten gesteckte Entourage.
Dabei sollte man nicht so sicher sein, dass Roxane das doppelte Spiel unter ihrem Balkon nicht zumindest erahnt. Lippmans Roxane wird richtig ungehalten, dass ihr Geliebter auf ihr Drängen nach Romantik, von ziemlich viel „ähs“ begleitet, nur „Ich liebe dich“ herausstammelt. Cyrano, dieser Liebesworte-Zauberer, muss einspringen. Vielleicht weiss sie irgendwie und irgendwo, dass hinter Christian zwei stecken. Und vielleicht findet sie das ziemlich gut. Ist doch perfekt. Schöner Mann und auch noch intelligent. „Nur wenn du hübsch bleibst, liebt sie meine Seele“, sagt Cyrano zu Christian.
Wenn die Luft aus der Hüpfburg weicht, ist es Zeit für die Wahrheit
Solche Gedanken lässt Zurmühles Sommertheater-Inszenierung aufkommen, nach und nach, nachdem es vor der Pause etwas danach aussieht, dass das Stück als Stichwortgeber für Biermanns Rock-Pop-Einlagen herhalten muss. (Was gemeinsam mit den auftretenden Musikern durchaus Reiz hat.) Nach der Pause entfaltet sich dann eine spannungsvolle Konstellation, bei der auch Laura Lippmann nicht mehr die Göre geben muss. Angesichts des Todes (und eines wie gerufenen Abendrots auf der Kirchwand) lässt die Hüpfburg Luft ab, und es wird Zeit für die Wahrheit, das richtige Leben. Die Inszenierung schafft schöne Übergänge zwischen den Aufzügen, rafft Text und Auftritte geschickt zusammen. Wie im Sommertheater eben.
Um die Nase geht es da schon lange nicht mehr. Es ist wie bei Pinocchio: Je mehr Wahrheit, desto weniger Nase.
Von Maria Schorpp
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