von Inka Grabowsky, 04.07.2024
Raus aus der Ohnmacht
Neues Leitungsteam, neue Ideen: Wie Autor und Regisseur Simon Engeli den antiken Prometheus-Stoff auf der Freilichtbühne des See-Burgtheater zeitlos und humorvoll zum Leuchten bringen will. Uraufführung ist am 11. Juli. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Der Autor kommt dem Regisseur gelegentlich in die Quere», kommentiert Simon Engeli mit einem Grinsen seine Doppelfunktion bei der diesjährigen See-Burgtheater-Produktion. In sein Stück ist viel historische Rezeption eingeflossen, ausgehend vom antiken Stoff – das erste Mal schriftlich überliefert von Hesiod im siebten vorchristlichen Jahrhundert – bis zu Bearbeitungen von Goethe und Ridley Scott.
«Bei den Proben hat sich herausgestellt, dass manches in meiner Version zu kompliziert oder zu lang war. Hier und da fehlte eine Info zum Verständnis des Geschehens. Weil das Ensemble mitgedacht hat, unterschiedet sich das jetzige Skript stark vom Anfangsstadium.» Manches wurde nach Improvisationen umformuliert.
Der Mythos «Prometheus» sei eine Projektionsfläche für viele Themen, so Engeli. «In mir das Feuer geweckt hat das Verhalten des Titanenkindes in einer Diktatur. Es gibt einen unbesiegbaren Machthaber und eigentlich keine Möglichkeit zum Widerstand.» Doch Prometheus finde mit Gaias Hilfe einen Weg. «Er schafft mit dem Menschen ein verletzliches Leben und setzt damit dem unsterblichen Diktator ein Zeichen entgegen.»
Männlich, weiblich, divers
Die als Kabarettistin bekannte Judith Johanna Bach hat die Titelrolle des Rebellen Prometheus übernommen: «Es ist nicht wichtig, ob Prometheus männlich oder weiblich ist», sagt sie. «Das Titanenkind hat einfach eine andere Perspektive. Es blickt von Aussen auf das Geschehen.»
Zeus sei der Freund Prometheus’, aber der Gott verändere sich vom Primus inter Pares zum Tyrannen. «Was kann ich tun? Ich zeige die Ohnmacht von Prometheus, bis Gaia auf die Idee kommt, die Menschheit zu schaffen.» Ihr Prometheus setze alle seine Hoffnung in das Neue. Nicht umsonst bedeutet der Name übersetzt ungefähr «der Vorhersehende».
«Prometheus. Revolution im Götterreich» von Simon Engeli feiert am Donnerstag, 11. Juli um 20.30 Uhr Premiere. Alle weiteren Termine gibt es bei uns in der Agenda. Tickets kosten rund 50 Franken, die Reservation über www.see-burgtheater.ch empfiehlt sich. Die letzte der 19 Vorstellungen auf der Open-Air Bühne im Seeburgpark läuft am 7. August.
Die Welt als Baustelle
Die zentrale Idee, um diese Gedanken zu illustrieren, lautet «Die Erschaffung der Welt ist eine Baustelle». Und eine solche ist nun mitten im Kreuzlinger Seeburgpark entstanden. Sie holt den Mythos in die moderne Welt. Durch Theatermagie verwandelt sich die Bauarbeiter-Crew in die griechische Götterfamilie.
Eine riesige Blache zwischen Pavillon und Seemuseum gibt bekannt: «Hier entsteht der neue Zeiss-Tower», über vierzig Stockwerke hoch. Leopold Huber, der Produktionsleiter des Seeburg-Theaters und ehemaliger Intendant, lacht: «Ich rechne immer noch damit, dass der Kreuzlinger Stadtrat böse Briefe bekommt, weil die Leute glauben, hier würde tatsächlich gebaut.»
Simon Engeli erklärt: «Unsere Grafikerin Siegrun Nuber hat uns neun Turmversionen für das Plakat vorgeschlagen. Wir haben uns für die entschieden, die hier am wenigsten hinpasst.» Giuseppe Spina, der nicht nur die Doppelrolle des Architekten Zeiss und des Göttervaters Zeus übernommen hat, sondern auch das Bühnenbild umgesetzt hat, steht vollkommen hinter der Idee. «Die Kulisse der Baustelle passt deshalb so gut, weil hier jeweils etwas entsteht. Architekt Zeiss und Göttervater Zeus geben beide vor, etwas zum Wohle der Allgemeinheit zu planen, wollen aber tatsächlich Prestige für sich selbst gewinnen.»
Machtstreben und Machterhalt
Spina zeigt durchaus Verständnis für seinen Zeus: «Wer sich selbst so wichtig nimmt, ist zu Recht einsam. Bei all dem Strahlen im Glanz der Öffentlichkeit ist uns diese Seite des Typs nicht so bewusst. Erschrecken sollte uns die Erkenntnis, dass jeder von uns einen Teil eines solchen selbstverliebten Herrschers in sich trägt.»
Simon Engeli nimmt die Diskussion auf: «Hatten Diktatoren wie Hitler oder Stalin den Hang zur Macht in sich oder wurden sie erst durch äussere Einflüsse zu Machtmenschen? Und wie verhält sich die Gruppe um den Typus herum? Jeder Aufstieg zum Diktator braucht Menschen, die das zulassen.» Manchen fehle der Mut sich zu wehren, manchen sei es egal, und für manche sei es einfacher nichts zu tun.
Im Schauspiel sollen die Zuschauer beobachten, wie Zeus zum unangefochtenen Herrscher wird. «Die Götterfamilie könnte an diversen Punkten eingreifen. Doch nur Prometheus macht nicht mit.» Hera, die betrogene Ehefrau, wehrt sich ebenfalls. «Aber mit dem falschen Mittel, der Intrige», so Sabina Deutsch, die die Göttergattin verkörpert.
Viele Attraktionen geplant
Bei all den philosophischen Hintergedanken verspricht das Stück des See-Burgtheaters beste Unterhaltung. Besonders augenfällig wird der erste Einsatz von Puppentheater in der Geschichte des Sommeraufführungen sein. Rahel Wohlgensinger, Co-Leiterin des Theaters, übernimmt es, die Sagengestalten zu beleben.
Sie animiert die Ziege Almathea als ironische Kommentatorin ebenso wie den Bagger, der zum feuerspeienden Ungeheuer mutiert. (Pyrotechnik gehört zu den Attraktionen dieses Jahr.)
Wie üblich spielt Live-Musik eine grosse Rolle in der Inszenierung. Jurij Drole hat die Leitung und die Komposition übernommen. «Jede Ebene für sich funktioniert schon», meint Regisseur Engeli. «Jetzt in den Endproben muss daraus ein dichtes Gewebe entstehen.»
Ein kleines bisschen Lehrstück
Bei aller Volksnähe kommt Simon Engeli nicht ganz ohne Seitenhieb auf den klassischen Bildungskanon aus. Augusta Balla als Erdmutter Gaia darf einen speziellen Song singen. «Ich habe ihr ein Wut- und Zornes-Lied auf Altgriechisch geschrieben. Ich wollte den Klang der Sprache im Stück haben», sagt Simon Engeli.
Ansonsten aber verspricht der Regisseur, dass man ohne jegliche Vorkenntnisse einen tollen Theaterabend erleben werde. Ähnlichkeiten zu real existierenden Tyrannen – sei es in der Politik, in der Familie oder im Geschäftsleben – könne jeder selbst erkennen.
«Es ist eine anwendbare Allegorie.» Jede ernste Szene werde mit einem coolen Spruch aufgebrochen. «Lachen lässt den Menschen seine Rüstung ablegen, und dann gelingt der Stich ins Herz.»
Die besonderen Bedingungen des Freilichttheaters
Das See-Burgtheater kann in dieser Saison mit grossen Bildern arbeiten. «Prometheus beinhaltet eine ganze Philosophie», sagt Simon Engeli. «Das ist eine Steilvorlage für das Open Air-Theater. Hier wird der Mythos lebendig.» Die Anlage des Stücks auf zwei Zeitebenen, auf denen Bauarbeiter zu Göttern werden, verlangt allerdings den Kostümbildnerinnen Beate Fassnacht und Klara Steiger einiges ab. «Der Trick ist, einfache Zeichen für den Rollenwechsel zu finden», sagen sie. Durch die eingeschränkten Mittel der Freilichtaufführung sind sie darauf angewiesen, die Fantasie der Zuschauenden anzuregen.
Das lässt sich planen – jedenfalls besser als der kommerzielle Erfolg. «Die Qualität des Theaters hängt nicht von Wetter ab, die Kasse schon», so Leopold Huber. Immerhin kann die überdachte Tribüne Sicherheit geben. Und die Tatsache, dass es eine Uraufführung gibt, die speziell für dieses Ensemble an diesem Ort geschaffen wurde, sollte bei der Vermarktung auch helfen.
Von Inka Grabowsky
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