von Maria Schorpp, 24.04.2024
Neue Schulfächer braucht das Land
Jugendtheater at his best: In der Lokremise in Wil zeigt das momoll Jugendtheater in der Uraufführung des Stücks „Better skills – Ein Stück Zukunft“, was Schule der Zukunft bedeuten kann. Und das packend spielerisch. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Hämmernder Electro Sound, dazu Computer-Animationen auf zwei grossformatigen Bildschirmen, auf denen rechts unten eine Uhr abläuft. Den Schüler:innen wird es nicht leicht gemacht. Sind das Manöver, um rauszufinden, wer die Knallharten sind, die durch nichts ihr Ziel aus den Augen verlieren? Wodurch sich die Spreu vom Weizen trennt, wie es der Projektleiter nennt? Wer seine Aufgaben unter diesen Bedingungen rechtzeitig erledigt, hat, was man braucht in dieser Better skills-Schule.
Das irritiert erst mal in der Lokremise in Wil. Aufgaben lösen unter maximalen Stressbedingungen nennt die Schulleitung „Challenge“, wie auf den Social Media-Plattformen, wenn sich Menschen mit eiskaltem Wasser übergiessen. Einfach so. Sinnfrei ist das hier in diesem Room 25 P aber nicht. Die Schultests sind Wettbewerb pur, zu dem die Kids sich anfeuern, indem sie ihre Pencils schwingen, mit denen sie dann auf ihren am Unterarm angebrachten Tablets schreiben.
Im besten Sinne ein Sack Flöhe
Claudia Rüegsegger, Regisseurin und Produktionsleiterin von „Better skills – Ein Stück Zukunft“, sprach nach der beeindruckenden Premierenvorstellung von „einem Sack Flöhe“, die sie zu einem Team zu bändigen hatte, und das merkte man den Jugendlichen an. Im besten Sinne. Da ist eine Lebendigkeit zu spüren, die diese hohe und weite Halle spielend ausfüllt. Das Publikum ist in zwei Blöcken vor der Bühne von Michael Oggenfuss herum platziert, der für jeden Block ein ungefähr gleiches Bühnenbild eingerichtet hat. Im Mittelpunkt in nüchternem Beigegrau gehaltene Lerninseln.
„Better skills – Ein Stück Zukunft“, das Paul Steinmann eigens für die diesjährige Produktion des momoll Jugendtheaters geschrieben hat, ist allerdings mehr als schwarzmalende Gesellschaftskritik. Es versteht sich auch als Diskussionsbeitrag zur gesellschaftlichen Debatte über die Schule der Zukunft. Stichtag ist der 4. Mai 2032. Die Schultypen haben sich den Bedürfnissen der jungen Menschen angepasst. Die Better skills-Schule ist für die besonders talentierten Digital Natives konzipiert. Was aber nicht heisst, dass sämtliche Schüler:innen auf Linie sind. Die Pro- und Contra-Argumente fliegen zwischen ihnen hin und her.
Coole Typen und Einzelkämpfer
Eigenständige Charaktere stehen in Wil auf der Bühne – coole Typen in ihrem leicht an Science Fiction erinnernden Outfit von Jacqueline Kobler –, die wissen, was sie wollen. Es sind aber auch Einzelkämpfer. Guckt man zu sehr von heute auf die Szenarie, wenn einem die Kids ein bisschen alleingelassen vorkommen? Lehrkräfte gelangen nur digital ins Klassenzimmer. Die Person, die auf den Bildschirmen erscheint, wird Projektleitung genannt. Ein hipper Typ mit Wollmütze und grosser Brille.
Mit Gerold Welch hat diese Rolle ein professioneller Schauspieler übernommen, der noch in einer zweiten Rolle als Hausdienst Sascha auf der Bühne zu erleben ist. Wenn man Claudia Rüegsegger einmal bei ihrer Arbeit zugeschaut hat, hat man keine Zweifel, dass es auch ihr Werk ist, dass die Jugendliche und der Profi so homogen zusammen spielen.
Gerold Welch hat auch die Musik komponiert, die zur Atmosphäre Erhebliches beiträgt. Sein Sascha ist ein verkappter Musiker, der auch mal die Gitarre auspackt. Die Inszenierung setzt auf ganz unterschiedliche Stilelemente, die die Situation der Schüler:innen eindrücklich ins Bild setzen: Choreografien des Schulalltags, synchronisierte, individualisierte Bewegungsabläufe, die die Kids super performen. Dazu spontane Tanzeinlagen. Das Leben in dieser Schule ist vielfältig und kreativ.
Das Daheim fehlt dann doch
Performen können ist wichtig. Einmal ruft Sascha ein „Game“ aus um den letzten Shot, eine Energy-Spritze zum Stressabbau in der Pause. Sieger ist nicht derjenige, der am besten argumentiert, sondern sich am originellsten präsentiert. Das ist Ubi, ein internationaler Schüler, der schliesslich einen Heimatsong anstimmt. Und der ganz nebenbei ein Thema ins Spiel bringt: Sehnsucht nach einem Daheim.
Als dann der Strom ausfällt, wechselt die Atmosphäre. Das Licht wird weicher, träumerischer, wenn die Mädels und Jungs nicht mehr Einzelkämpfer sind, sondern Mitschüler:innen, die davon erzählen, was für Schulen sie sich wünschen. Ganz andere als die, die sie kennen. Ohne Zwang, in denen Yoga, Meditation, Indisch, Arabisch und Suaheli und ein Fach Reparieren gleichberechtigt neben Mathematik auf dem Stundenplan stehen. Das klingt in der Tat zu schön, um wahr zu sein. Man nennt es auch Utopie.
Ein Roboter wird enttarnt
Man merkt, dass sich der Autor Steinmann für sein Stück bei seinen Protagonist:innen schlau gemacht hat, was sie bewegt. Ganz nah sind die Spielenden dran an ihren Sätzen. Auch Humor gibt es. Nadal, der Streber, stellt sich als Roboter heraus, erkennbar an seinem Fuss, der in Silberfolie eingewickelt ist. Und Toleranz gibt es. Hill hat seine Fussnägel rot lackiert. Was mit so grosser Offenheit von den anderen hingenommen wird wie, dass Sascha non-binär ist.
In der Lokremise in Wil werden überhaupt mit grosser Offenheit Themen unserer Zeit angefasst – von einem bestens aufgestellten Jugendtheater, das nicht nur sehr viel Spass macht, sondern zu einer spannenden Diskussion einlädt. Hier alle Spielenden im Überblick: Anna Bernet, Luis Beyeler, Shaëlle Burger, André Fernandez, Iago García Bärtsch, Jorin Haller, Nayla Krüsi, Yara Krüsi, Livia Lenherr, Elia Moser, Tabea Sanchez, Jelena Sterren, Hannes Sturm, Gerold Welch und Lea Zehnder.
Video: Trailer zur Produktion
Termine & Tickets
Das Stück «Better skills» wird noch an folgenden Terminen aufgeführt:
25./26./27./30. April sowie am 2. und 3. Mai in der Lokremise in Wil. Tickets für alle Aufführungen gibt es hier.
Mehr zum Stück gibt es auch in unserem Vorbericht auf die Premiere sowie über die Website des Theaters.
Von Maria Schorpp
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