von Maria Schorpp, 18.04.2024
Ist das die Schule der Zukunft?
Was, wenn man sich die Schule nach seinen eigenen Bedürfnissen auswählen könnte? Mit der Produktion „Better skills“ entwirft das momoll Jugendtheater ein spannendes Gedankenspiel. Premiere ist am 20. April in der Lokremise Will. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Es ist, sagen wir mal, das Jahr 2032. Von heute aus gesehen nur acht Jahre in der Zukunft, und doch sieht die Schullandschaft in der Schweiz ganz anders aus. Es gibt noch die Kanti, in der Schülerinnen und Schüler mit Mathe, Chemie, Fremdsprachen usw. geplagt werden, aber nicht nur. Das Angebot an Schultypen hat sich den Bedürfnissen ihrer User angepasst: Jetzt gibt es International Schools, Écoles des sports, Inklusive Schulen, Bio-Schulen im Grünen etc. Und es gibt die Better skills-Schule für die „Digital Talents“.
Wo ältere Semester mit den üblichen Denkschemen gleich von Zukunftsängsten heimgesucht werden, herrscht in der Lokremise in Wil angesichts des Themas wohltuende Gelassenheit. Bei der aktuelle Inszenierung geht es um ein Gedankenexperiment mit besagtem Szenario. „Ich bin der Nerd“, sagt Elia Moser, 13 Jahre, über seine Rolle als Elvis im Stück. Er kommt aus Bazenheid im Toggenburg und macht zum ersten Mal beim momoll Jugendtheater Wil mit. Was man ihm aber nicht anmerkt, wenn man ihn auf der Probe in der Lokremise spielen sieht. Was den Zukunftszeitraum betrifft, ist er anderer Meinung als der Autor: „In acht oder zehn Jahren sehe ich das nicht. In 20, 30 oder 40 Jahren vielleicht.“
Autor Paul Steinmann musste 15 Rollen schreiben
Genau 15 Rollen hat Autor Paul Steinmann für das Stück „Better skills – Ein Stück Zukunft“ kreiert. Musste er, denn fast so viele Jugendliche im Alter zwischen 12 und 20 Jahren haben sich bei Claudia Rüegsegger, Regisseurin und Produktionsleiterin vom momoll Theater, für die diesjährige Inszenierung gemeldet. „Das ist riesig“, sagt die Mitbegründerin des Theaters. Hinzu kommt, dass sie Gerold Welch unbedingt mit auf der Bühne haben wollte. Der ausgebildete Schauspieler, der im momoll Theater auf die Idee gekommen ist, Schauspieler zu werden, war gerade frei. „Es war für mich eine Herzensangelegenheit mitzumachen“, sagt der geborene Wiler.
Für ein Ensemble solchen Ausmasses musste eigens ein neues Stück her, wie die Leiterin schlussfolgerte. Ihr Zugriff ist generell denkbar pragmatisch. Zuerst schaut sie sich die Jugendlichen an, die gekommen sind, und daraus entwickelt sie dann die Projektidee. Bei Paul Steinmann wusste sie, dass er es schafft, so viele Rollen zu erarbeiten, die auch etwas zu sagen haben. „Wir haben uns Charaktere ausgedacht, die dann im Stück berücksichtigt wurden“, sagt Hannes Sturm, 15 Jahre. Der Schüler aus Bütschwil ist der einzige, der bereits zum dritten Mal mitspielt. Als Hill scheint er ein bisschen verliebt zu sein in eine Mitschülerin.
Die Regisseurin legt grossen Wert auf Präzision
Nähere Beziehungen sind aussergewöhnlich im Stück, die Jugendlichen in der Better skills-Schule leben und lernen sehr vereinzelt. Das Bühnenbild von Michael Oggenfuss ist beim Probebesuch noch nicht fertig, die grauen Blöcke, auf denen gespielt wird, deuten es aber schon an. Einige der Kids scheinen die Gelegenheit zu nutzen, um ein bisschen darauf zu lümmeln, wenn andere unter dem scharfen Auge von Claudia Rüegsegger ihren Auftritt proben.
Die Regisseurin legt grossen Wert auf Präzision: „Ich finde, das bringt ihnen wahnsinnig viel. Sie erfahren, dass es einen Unterschied macht, ob ich einen Satz zuerst spreche und dann über die Bühne laufe oder umgekehrt.“
Video: Trailer zum Stück
Die Einsamkeit in der eigenen Bubble
Auch auf die Vereinzelung der jungen Leute in diesem angedachten Schulsystem der Zukunft fokussiert die Inszenierung. Alle Beteiligten sind sich aber einig, dass das Stück keine Dystopie sein soll. Es geht zunächst einfach darum zu schauen: Was würde passieren, wenn man seine Schule nach seinen Bedürfnissen wählen könnte?
Allerdings gehört auch zur Wahrheit: „Wenn sich jede und jeder nur noch um seine Bedürfnisse herum entwickelt, werden die Bubbles immer kleiner. Das macht ein bisschen einsam“, sagt Claudia Rüegsegger, die im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern oft gehört hat, dass sie sich in ihren Klassen nicht aufgehoben fühlen, zumal es immer striktere Kataloge gebe, „was alles stimmen muss, um dazuzugehören“.
Nayla Krüsi, trotz ihrer 12 Jahre schon zum zweiten Mal dabei, ist ein wahres „Digital Talent“. Im Interview neben der Reporterin sitzend hat sie dankenswerterweise ein wachsames Auge darauf, dass diese auch den richtigen Knopf am Mobiltelefon fürs Aufnehmen des Gesprächs drückt. Dazu passt, wie unvoreingenommen sie mit dem Stück und ihrer Rolle als Xandji umgeht.
Dass es in der Better skills-Schule keine Lehrpersonen vor Ort gibt, findet sie cool: „Da hat man viel zum Ausprobieren.“ Ebenso die Tablets, die die Schülerinnen und Schüler am Unterarm tragen und die für die Inszenierung eigens aus dem 3D-Drucker kamen. „Meine Rolle gefällt mir sehr“, sagt sie unumwunden.
Unterstützung durch Fachleute
Tatsächlich kommen die Aufgaben von der Schulleitung, die in Monaco sitzt, über Video. „Es wird nicht viel erklärt in dieser Schule, wenn du neu bist, musst du selbst herausfinden, wie du es machst“, so die Schülerin aus Oberwangen/Fischingen.
Dieses Unterrichtsprinzip, wie auch einige Ideen im Stück, geht übrigens nicht auf eine Science Fiction-Idee des Autors zurück, sondern auf reale Überlegungen von Fachleuten „am Puls der Zeit“, wie Claudia Rüegsegger es ausdrückt, die sich Gedanken darüber machen, wo es künftig langgeht mit der Digitalisierung in der Schule. Und mit denen die Theaterleute im Laufe der Stückentwicklung in Kontakt standen.
Nahrungsergänzungs-Shots zwecks Optimierung
„Das Stück ist sehr nuanciert“, sagt Gerold Welch, der den Hausdienst Sascha und die Schulleitung spielt, und sieht das Leistungsprinzip, das hinter der Better skills-Schule steckt, nicht unbedingt negativ: „Man kann auch die Vorteile einer solchen Optimierung sehen, die Förderung individueller Talente.“ Dazu gehören Nahrungsergänzungs-Shots, die den Jugendlichen für bessere Leistungen angeboten werden. Hannes Sturm hat eine eindeutige Einstellung dazu: „Ich finde die ziemlich schlimm.“
„Wir haben keine Botschaft zu verkünden, wir wollen nicht werten“, fasst die Regisseurin zusammen. „Wir wollen auch keinen Beitrag leisten zur Debatte über Schulentwicklung, sondern eine Geschichte von jungen Menschen erzählen und das Publikum zu eigenen Haltungen anregen." Ihr ist bewusst, dass die vielen Probestunden für alle eine Überforderung bedeuten. Sagt aber: „Wenn man sich am Ende beklatschen lässt, geht das nicht ohne Schweiss vorher.“
Das Stück «Better skills» wird an folgenden Terminen aufgeführt:
20./23./25./26./27./30. April sowie am 2. und 3. Mai in der Lokremise in Wil. Tickets für alle Aufführungen gibt es hier.
Mehr zum Stück gibt es auch über die Website des Theaters.
Von Maria Schorpp
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