von Niculin Janett, 08.10.2018
Maria und die Vögel
Maria Schneider war in diesem Jahr Artist in Residence beim Jazzfestival «generations». Was sie in einer Woche mit jungen Profimusikern erarbeitet hat, zeigte sie beim Abschlusskonzert am Samstag. Unter der Woche nahm sie sich auch Zeit für einen Ausflug in die Thurgauer Vogelwelt.
Ornithologie und Jazz sind nicht zwingend Worte, welche man gemeinsam in einem Satz verwendet. Mal abgesehen von Charlie Parkers Spitzname „Bird“ und einigen Jazztiteln wie „Ornithology“ oder „Yardbird Suite“ (beides Kompositionen von Parker selbst) hat Jazz herzlich wenig mit den Vögeln am Hut. Könnte man meinen.
Wenn man aber mit der Musik der Big Band-Komponistin Maria Schneider in Kontakt kommt, ist man versucht, seine Meinung zu ändern. Im Speziellen, wenn man sich Schneiders letztes Album „The Thompson Fields“ anhört, und dessen über 40-seitiges Booklet studiert.
Schneiders Begeisterung für Vögel hört man ihrer Musik an
Maria Schneider ist eine passionierte Hobby-Ornithologin. Wobei das Wort „Hobby“ beinahe ein Understatement ist, ist die Komponistin aus Minnesota doch mittlerweile Vorstandsmitglied des Cornell Lab of Ornithology, eine Abteilung der Cornell University in New York.
Schneiders Begeisterung für die Gefederten unter den Lebewesen ist dem entsprechend auch in ihrer Musik nicht zu überhören. Mehrere ihrer Kompositionen nehmen direkt Bezug auf die ornithologische Thematik. Das 20 minütige Werk „Cerulean Skies“ auf dem Album „Sky Blue“, handelt von der Rückkehr der Vögel aus dem Norden, und deren Zwischenhalt im New Yorker Central Park. Oder die Komposition „Arbiters of Evolution“ (The Thompson Fields), inspiriert von den „Birds of Paradise“, den Paradiesvögeln - eine Artengruppe von Vögeln, welche praktisch nur auf der Insel Neuguinea zu finden sind, und deren ausfällige Farben und Balzverhalten die Struktur und Form des Musikstücks geprägt haben. Aufgrund des sehr spärlichen Vorkommens von Jägern auf der Insel haben sich die Männchen zu den auffälligsten Kunstwerken entwickelt. Mit ihren Farben und extravaganten Tänzen versuchen sie, die Aufmerksamkeit und Gunst der Weibchen - den „Arbiters of Evolution“ (die Gebieter der Evolution) - auf sich zu lenken. Im Stück werden die Tänze und Farbspektakel von den beiden Saxophonisten Donny McCaslin und Scott Robinson anregend interpretiert.
Das Abschlusskonzert wird zur Werkschau aus fast 30 Jahren Schreibens
Wenn man Schneiders Musik hört, glaubt man zu erkennen, dass viel von der Ästhetik und Schönheit, mit denen die Natur die Vögel gesegnet hat, ihren Weg in Schneiders Kompositionen gefunden haben. So auch am Abschlusskonzert der Generations-Big Band im Casino Frauenfeld am Samstagabend. Maria Schneider dirigiert die meist 17-köpfige Bande junger Musiker durch eine Auswahl ihrer eigenen Stücke.
Eine Art Werkschau aus beinahe 30 Jahren Schreibens. Eine grosse Herausforderung für eine Band, welche acht anspruchsvolle Kompositionen an weniger als drei Probetagen erarbeiten musste. Stellenweise ist denn auch eine gewisse Unsicherheit zu spüren unter den Musikern. Es ist wohl aber auch nicht ganz fair, dieses Konzert zu vergleichen mit einem des originalen Maria Schneider Orchestra, dessen Musiker die Stücke teils seit der Gründung im Jahr 1992 kennen und spielen.
Erfreulich sind die solistischen Efforts der jungen Solisten der Band, wie zum Beispiel der Tenorsaxophonist Max Treutner, der den extrem anspruchsvollen Solopart in Schneiders Komposition „Coming About“ mit Bravour spielt. Oder der kanadische Trompeter Kaelin Murphy, welcher in bester Ambrose-Akinmusire-Manier über „Bombshelter Biest“ soliert. Beide wurden übrigens auch von den Dozenten des Workshops in die Generations Unit 2018 gewählt. Eine aus den Workshopteilnehmern zusammengestellte Band, welche mit dem australischen Posaunisten Adrien Mears ein Album aufnehmen und dieses dann auch auf einer Tournee präsentieren wird.
Sänger Jeff Taylor leistet beeindruckenden Beitrag
Einen beeindruckenden Beitrag an das Konzert im Casino leistet auch der Sänger Jeff Taylor mit dem von Schneider arrangierten David Bowie-Song „Sue“. Taylors Stimme schneidet mit müheloser Klarheit durch die schweren Klänge des Orchesters, ohne dabei aber ihr weiches Timbre zu verlieren. Es ist keine einfache Aufgabe, einen Gesangspart zu übernehmen, dessen Klänge ursprünglich von Bowie selbst gesungen worden sind.
Ebendieser Jeff Taylor ergänzt dann auch Donny McCaslins Band (welche ja, wie schon in einem früheren Artikel erwähnt, das letzte Bowie-Album „Blackstar“ eingespielt hat) als Special Guest bei deren letztem Konzert im Dreiegg. Eine weitere respektvolle Verneigung vor der britischen Pop-Ikone. Und mit dieser Verneigung schliesst sich denn auch ein weiterer, mit viel grosser Musik gefüllter Abend und damit eine sehr gelungene Ausgabe des Generations Festivals Frauenfeld.
Und dann war da noch der Ausflug auf die Insel Werd
Maria Schneider übrigens fand während ihres Aufenthalts in der Kantons-Hauptstadt auch die Zeit für einen Ausflug in die Thurgauer Vogelwelt. Die Komponistin gönnte sich auf einem „Bird-watching“-Ausflug auf der Insel Werd eine Auszeit von ihrer Tätigkeit als Dozentin an der Masterclass des Generations Festivals Frauenfeld. Zusammen mit den beiden Vogel-Experten Urs Weibel und Humbert Entress stakt man, bewaffnet mit Feldstecher und Fernrohren, durch Stock und Stein, auf der Suche nach verschiedenen Vögeln, vorzüglich Entenarten.
Für jemanden wie mich, der mit einem eher dilettantischen Wissen über Vögel gesegnet ist, ist es amüsant, aber zugegebenermassen auch sehr spannend zu sehen, wie viel Begeisterung ein gewöhnlicher Haubentaucher auslösen kann. Schneider offenbart ihre erstaunlichen Kenntnisse über die verschiedensten Vogelarten und deren Verhalten. Und erzählt Geschichten von der „Jagd“ nach seltenen Vögeln, welche schon einmal dazu führen kann, dass eine Horde Vogel-Fans im New Yorker Central Park alle ihre Feldstecher auf ein eng umschlungenes (Menschen-) Paar gerichtet hat - freilich nicht aus voyeuristischen Motiven, sondern weil neben dem Paar auf der Bank ein höchst seltener Rotbrust-Waldsänger sitzt.
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