von Maria Schorpp, 15.08.2022
Männer in der Ich-Krise
Wenn Götter zu den Menschen kommen, geht das meistens in die Hose. Insbesondere, wenn sie ihre eigenen ungeklärten Ich-Probleme mitbringen, wie man bei den Hagenwiler Schlossfestspielen in der Inszenierung von Kleists „Amphitryon“ sehen kann. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Das muss man sich mal vorstellen. Da verliebt sich Göttervater Jupiter in ansehnliche junge Menschenfrauen. Weil er aber ein Gott ist, darf er sich ihnen aus unterschiedlichsten Gründen nicht als solcher nähern, sondern muss sich quasi verkleiden – als Schwan bei Leda, als wilder Stier bei Europa oder eben als Thebanischer Feldherr Amphitryon bei Alkmene.
Wen die Geliebten aber in sehnsüchtiger Erinnerung behalten, das ist nicht er selbst, sondern – nehmen wir anlassbedingt den Fall Alkmenes – ihr Ehemann Amphitryon. Da kann man schon Ich-Probleme bekommen.
Warum macht er das?
Das ist in der Hagenwiler Inszenierung von Kleists Tragikomödie „Amphitryon“ und im Spiel von Falk Döhler interessant nachzuvollziehen, wie Jupiter immer wieder vom eitlen Verführer zum Liebhaber mit Potenzüberschuss und zum Narziss mit gekränktem Ich wechselt.
Die Gründe, warum er in Gestalt des Amphitryon bei dessen Frau Alkmene auftaucht, können von der Lust auf einen One-Night-Stand bis hin zur Machtdemonstration reichen. Er selbst nennt den eingangs erwähnten Grund, macht aber den Eindruck, als ob er es selbst nicht genau weiss. Das genügt aber, um den Alltag der Menschen auf den Kopf zu stellen. Ist dem Herrn aber egal. Gott ist Gott.
Akustische Probleme bei der Premiere
Regisseur Florian Rexer hat Kleists Text, der nicht unkompliziert ist, entschachtelt und gekürzt, wobei er für ein Stück Sommertheater immer noch recht anspruchsvoll bleibt. Bei der Premiere war er auch nicht immer gut zu verstehen. Man hätte sich gewünscht, dass der Spielleiter beherzter in die Textfassung eingreift, wie man es sonst von ihm gewohnt ist.
Rausgekommen ist eine mit philosophischen Versatzstücken garnierte Inszenierung von Männern mit einem recht problematischen Verhältnis zu sich und ihrer Umgebung. Vielleicht auch deshalb hat Florian Rexer den griechischen Urgestalten mit der Journalistin von „Theben TV“ eine weitere Frau an die Seite gestellt, wobei Jeanine Amacher, ihrem Ton der Skandaljournalistin zum Trotz, zum besseren Verständnis des Geschehens beiträgt.
Anschuldigungen, Eifersucht, Gegenvorwürfe
Als der echte Amphitryon (Marcel Zehnder) also von Alkmene (Regina Nonna Fink) vorgeschwärmt bekommt, wie heiss die Nacht zuvor mit ihm war, obwohl er ja im Krieg war, geht es natürlich rund: Anschuldigungen, Eifersucht, Gegenvorwürfe, solche Sachen.
In dem von Kleist entfachten Ränkespiel, das auf Molière zurückgeht, beginnt sich ein Karussell der verwirrten Gefühle zu drehen, das trotz Einbezug der Olympier im Innenhof des Wasserschlosses den Beziehungsstreitereien von uns Sterblichen erstaunlich nahekommt.
Amüsante Szenen mit philosophischem Hintergrund
Denn während Jupiter/Amphitryon und Alkmene ihre First Class-Konflikte mit ausgesuchten Identitätsfragen ausleben, gibt es noch Amphitryons Diener Sosias und dessen Frau Charis sowie Merkur, der mit seinem Boss Jupiter vom Olymp herabgestiegen ist, um ihm auf dessen Raubzug zu assistieren.
Auch er nimmt Menschengestalt an, eben dieses Sosias, den Alexandre Pelichet als grobschlächtigen Tor gibt, der aber so schlau ist, auf dem Feld die Gelegenheit zu nutzen, sich unbeobachtet ein saftiges Stück Schinken abzuschneiden, während sich die Kollegen draussen gegenseitig abschlachten.
Im Zusammenspiel mit Philipp Malbec als Merkur – und vor allem mit Bigna Körner als Charis – entwickeln sich amüsante Szenen, die mit philosophischem Hintergedanken die durchaus komödientaugliche Frage stellen: Wenn du ich bist, wer bin ich dann?
„Wer-bin-ich-und-wenn-ja-wie-viele“
Nun aber zu den Identitätsfragen der hohen Herren, die sich vor den Papierbahnen von Bühnenbildner Peter Affentranger abspielen und die trotz oder gerade wegen ihres Minimalismus sofort an griechische Säulen erinnern.
Falk Döhler als Jupiter und Marcel Zehnder als Amphitryon sehen sich vom Publikumsraum aus sehr ähnlich. Hinzukommt, dass das historisierende Kostümbild von Barbara Bernhardt, die am Ende des Abends für besondere Verdienste um die Schlossfestspiele Hagenwil ausgezeichnet wurde, beide identisch eingekleidet hat.
Da könnte man natürlich mutmassen, dass der eine als Alter Ego des anderen gemeint ist – im Sinne von „Wer-bin-ich-und-wenn-ja-wie-viele“.
Auch im Olymp ist’s manchmal öde
Geschickter ist jedenfalls Jupiter dabei, seine Umgebung für sich zu gewinnen, wenn er auch eingestehen muss, dass selbst der Olymp öde ist ohne Liebe. Amphitryon verirrt sich währenddessen immer mehr im Labyrinth der Frage nach dem wahren Ich.
Kein Wunder, dass Alkmene, als sie entscheiden soll, welche Ausgabe von beiden die wahre ist, just auf Jupiter tippt. Hier gibt Regina Nonna Fink ihrer Alkmene Kontur. Von wegen, das Auge der Liebe sieht die Wahrheit.
Manchmal wird die Inszenierung von Florian Rexer arg textlastig, schön ist, wie das Ensemble zwischen Ernst, Satire und Komödie balanciert. Am Ende erklingt der Sirtaki, wo am Anfang dräuende Klänge zu vernehmen waren. Dank eines göttlichen Kuhhandels ist alles wieder gut, wenn auch die Frage nach dem eigenen Ich weiter offenbleibt.
Weitere Aufführungen & Ticketvorverkauf
19./20./21./25./26./27./28. August und 1./2./3./4./8./9./10. September, jeweils ab 20.30 Uhr.
Tickets gibt es über die Internetseite der Schlossfestspiele Hagenwil.
Von Maria Schorpp
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