von Inka Grabowsky, 19.05.2021
Krieg ist immer Mist

#Lieblingsstücke, Teil 15: Das Soldatendenkmal vor dem Alten Zeughaus in Frauenfeld erzählt auch von sozialer Spaltung. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Kriegerehrenmale gibt es unzählige. Das Monument in Frauenfeld jedoch weckte meine Aufmerksamkeit. Es war weniger die künstlerische Qualität der Arbeit von Otto Schilt aus dem Jahr 1921, sondern vielmehr eine „déformation professionelle“: Redaktoren suchen in Texten immer nach Fehlern, nach Unerwartetem im Schriftbild.
Im Fall des Soldatendenkmals erwartete ich „Zum Gedenken an die Gefallenen 1914-18“. Ich sah aber „Das Thurgauer Volk seinen im Dienste fürs Vaterland verstorbenen Söhnen 1914-19“. Und wieso hatte die neutrale Schweiz überhaupt Tote zu beklagen? Das schrie nach einer Erklärung.

Was die Spanische Grippe mit dem Denkmal zu tun hat
Im Rahmen der Ausstellung „Die Schweiz und der grosse Krieg“ bekam ich sie. 220.000 Schweizer waren 1914 mobilisiert worden, um die Grenzen zu schützen. Einer davon starb durch einen verirrten Schuss, „fiel“ also im konventionellen Sinn. Rund 3000 starben aber an Krankheiten wie der sogenannten „Spanischen Grippe“, die zwar nicht aus Spanien kam, aber über die in Spanien zuerst berichtet worden war. Einen brauchbaren Grippeimpfstoff gab es erst Anfang der vierziger Jahre.
Die jungen Männer im Dienst konnten sich also nicht schützen. Und das mit dem Abstandhalten in den Kasernen war wohl auch schwierig. „In der Schweiz erkrankten zwischen Juli 1918 und Juni 1919 ca. die Hälfte der gesamten Bevölkerung“, hiess es im Alten Zeughaus. „Mangelernährung und Versorgungsknappheit schwächten sehr viele Menschen in der Schweiz, so dass die in zwei Wellen durch die Schweiz ziehende Grippeepidemie sofort einen sehr hohen Ansteckungsgrad aufweist und rasch zu vielen Opfern führt.“
Erinnerungen gelten auch dem Landesstreik 1919
Die Erklärung, dass einige der Erkrankten auch 1919 der Influenza erlagen, greift zu kurz, um die Inschrift zu würdigen. Denn 1919 passiert noch mehr. Die Not in der Bevölkerung war gegen Ende des Kriegs immer grösser geworden. Die Männer verdienten im Dienst kaum etwas.
Gleichzeitig fielen sie in der Produktion aus, Lebensmittel waren knapp und deshalb teurer. Die Inflation frass Ersparnisse auf. Die Armen begehrten also auf. Sozialdemokraten und Gewerkschaften riefen zum Landesstreik. Eine Viertelmillion Arbeiterinnen und Arbeiter folgten.

Das Denkmal sollte die Bürger auch daran erinnern, bloss nicht aufzubegehren
Dem Bundesrat missfiel das. Er mobilisierte gezielt Truppen aus ländlichen, konservativen Kantonen, weil er kalkulierte, dass sie bestimmt nicht mit linken Anliegen sympathisieren würden. Thurgauer waren da ganz vorne mit dabei.
Bürgerliche Offiziere und Unteroffiziere in Frauenfeld wollten 1921 nicht nur an den Einsatz gegen Deutsche und Österreicher erinnern, sondern auch an den Einsatz gegen Schweizer, die ein Proporzsystem für die Nationalratswahlen, die Reduktion der Arbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche, das Frauenstimmrecht oder eine Altersversicherung forderten. „Pro Patria“ heisst das Denkmal offiziell. „Seid brav“ könnte es auch heissen.
Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst
In unserer neuen Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?
Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.
Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch, bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.
Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!
Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Sie werden dann gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden sein.

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