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von Judith Schuck, 22.06.2021

«Ich denke Hip Hop»

«Ich denke Hip Hop»
Chillen am Kreuzlinger Hafen: Der Rapper Classic der Dicke mit seinem neuen Album «A Long Cold Winter» | © Judith Schuck

Classic der Dicke macht Hip Hop, ist im Thurgau aufgewachsen und lebt in Kreuzlingen. Im Mai veröffentlichte er sein fünftes, rein instrumentales Album. Ein Wandel in seinem Schaffen, der auch mit dem Erwachsenwerden zu tun hat. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Müsste er sein neues Album «A Long Cold Winter» mit einem Wort beschreiben, wäre dies «dreckig». Roughe Beats, dreckiger Sound. Lange hat Classic der Dicke an seinem neuen Album gearbeitet und er ist stolz auf das Ergebnis. Auf Sprechgesang und Text verzichtet er bewusst. Das liegt zum einen daran, dass er seit 2018 immer mehr Erfahrungen als Produzent sammelte. Da machte er vier Songs für Kwam E., einen erfolgreichen Rapper aus Hamburg.

«Ich habe für mein neues Album viel recherchiert und experimentiert», sagt der 31-Jährige, der mit bürgerlichem Namen Gian Luca Battaglia heisst. Das Samplen habe für ihn einen «Riesenreiz». Song-Schnipsel aus verschiedensten Musikrichtungen für etwas Neues zu verwenden – das sei eine Herausforderung, aber «das catcht mich brutal.»

Video: So klingt Classic der Dicke

Aus dem Kreuzlinger Underground zum Fame

Über Sirnach und Tägerwilen kam er mit 16 nach Kreuzlingen. Obwohl Classic im Thurgau aufwuchs, rappt er in akzentfreiem Deutsch. Seine Connections und Kooperationen hat er eher in Deutschland als in der Schweiz. Deshalb dachte der Rapper auch immer wieder darüber nach, in grössere deutsche Stadt zu zügeln – Berlin oder Hamburg; doch Kreuzlingen sei unumstritten seine Heimat. «Jetzt, im Alter des Umdenkens, finde ich gut, hiergeblieben zu sein.» Ein schöner Spot, im Sommer gebe es nichts besseres, als «am See zu chillen.»

Die Hip Hop Szene in der Bodenseestadt ist eher unbekannt, doch auch hier gibt es Protagonisten, die es zu Erfolg gebracht haben. Etwa den bekannten Konstanzer DJ und Produzenten Sir Jai, der in Kreuzlingen schon Beats für Kool Savas bastelte.

Reinhören: Kostprobe des neuen AlbumsSein Name beschreibt seine Wurzeln

Gian Luca Battaglias Liebe zum Hip Hop manifestierte sich, nachdem er sich durch alle möglichen andere Genres gehört hatte: Rock, House, Trance. «Das war aber einfach nicht Meins. Hip Hop gibt mir eine ganz andere Resonanz.»

Sein Name beschreibt seine Wurzeln: «Classic» steht für den klassischen Rap der 80er und 90er, die «Golden Era», den «Boom Bap» der Drums, die für das charakteristische Kopfnicken sorgen. Die ganze Attitude von damals fasziniere ihn bis heute, «wie sie geschrieben und produziert haben und ihre Haltung nach aussen trugen.» Erick Sermon, Onyx, Havoc oder Redman – die Liste seiner Einflüsse ist lang.

Von der hip-hop-üblichen Homophobie und Sexismus distanziert er sich

Bei neueren Strömungen wie Trap spüre er das nicht, «das gibt mir kein Kopfnicken, die Beats fühle ich nicht». Dennoch ist Hip Hop für ihn nicht nur Musik. «Es ist eine Gemeinschaft, zu der auch die Sprayer, Breakdancer, DJs gehören. Eine politische Einstellung. Ich denke Hip Hop.»

Dass Sexismus und Homophobie lange sehr präsent waren im Rap, bedauert der Kreuzlinger. Ursprünglich geht es um Akzeptanz. «Ich respektiere jeden, wie er ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich das auch so zurückbekomme.» Mit monatlich über 7000 Klicks allein bei Spotify ist er sich seiner Vorbildrolle bewusst: «Wir in der Untergrundszene grenzen uns klar von frauenfeindlichen und anderen diskrimierenden Texten ab. Keine primitiven Ausdrücke wählen!»

Video: Classic der Dicke «Grüne Eminenz»

Wie aus dem Dicken der Fitte wurde

«Der Dicke» war er früher, bis vor ein paar Jahren stark übergewichtig, wie er selbst sagt. Dass er so nicht weitermachen wollte, entschied er auf einer Irlandreise: «Auf einem Ausflug zu den Cliffs of Moher merkte ich, dass ich die Treppen nicht mehr locker hochkomme.» Da beschloss er endlich abzunehmen und seinen Lifestyle zu ändern.

Bis dahin lebte er ungesund. Seine erste Crew, die St. Galler «Kids of The Stoned Age», tragen in ihrem Namen, was damals viel Platz in ihren Leben einnahm. Der Titel seines zweiten Albums im Jahr 2017, «Grüne Eminenz», obwohl schon beim neuen und aktuellen Leipziger Label Daily Concept, wird ebenfalls recht deutlich, wodurch sein Leben regiert wurde. Kiffen und Hip Hop gehörten irgendwo zusammen.

Ein Prozess des Sortierens und Klärens

Dann hörte der gelernte Bodenleger das Rauchen auf, ernährte sich gesünder und fing an Sport zu treiben, was ihn nicht nur körperlich, sondern auch geistig veränderte: Er habe früher viel unterdrückt. Der Wandel von Classic dem Dicken zu Classic dem Fitten beschreibt den Prozess des Sortierens und Klärens.

Vielleicht auch dies der Grund, warum «A Long Cold Winter», eine Anspielung an Masta Aces Album «A Long Hot Summer», ohne Rhymes geschmiedet ist, eine neue, reduzierte Ausdrucksmethode. «Die Beats sprechen für sich, ohne dass sie durch Worte ergänzt werden.» Sein Sound sei aber immer noch dick, «drum passt der Name heute noch.»

Er will jetzt auch seine verletztliche Seite zeigen

Die Beats sind auch sein Markenzeichen: «Manche Leute hören das raus – ‹die Drums hat der Classic gemacht›», erzählt der Musiker. Seine Lyrics auf den alten Alben liessen viel Raum für Interpretationen, waren mehr Gedankenfetzen. Durchaus sebstironisch thematisierte er auf «Body Mass Index», eine Co-Produktion mit seinem «Bro» Soulmade, sein Gewichtsproblem.

In «Korpulenter Körperbau» besingt er Sport noch als etwas Lästiges. Heute erfüllt er den angehenden Fitness-Trainer voll und ganz. Sport sei seine neue Droge. Im Gym habe er so viel Spass und möchte seine Erfahrungen später als Personal Trainer teilen: «Weil ich weiss, wie es ist, ungesund zu sein oder wie es ist, wenn man fit ist. Die Lebensqualität kommt zurück», schwärmt er.

«Everyday Real» oder «Daily Dose» sind Songtitel auf dem aktuellen Instrumental-Album, die den Wandel ganz gut wiedergeben.

Die nächste Platte soll noch persönlicher werden

Für 2022 ist bereits eine Platte geplant, auf der er wieder rappen wird. «Die wird extrem persönlich.» Es wird um den Lifestylewechsel, ums Erwachsenwerden gehen. «Ich habe mich in den letzten Jahren viel mit mir selbst auseinandergesetzt. Das hat in mir einiges bewegt. Ich dachte mir, ich zeige den Leuten auch mal meine verletzliche Seite.»

Ganz ohne Worte kommt aber auch «A Long Cold Winter» nicht aus, dank Samples und Mixes. Einige Songs klingen recht spooky, wie «Streetfunk» oder «Danger Zone». Alles in allem läuft das Album recht angenehm im Hintergrund mit abwechslungsreichen Sounds, atmosphärischen Vibes und immer viel Boom Bap.

 

Das Album

«A Long Cold Winter»

Release: 7. Mai 2021

Beats: Classic der Dicke

Cuts: MaxCarpone, DJ Crypt, DJ Robert Smith

Photos: Tino Flad

Mastering: AnalogBox

 

 

Classic der Dicke bei Spotify

 

Das neue Album gibt es auch auf Soundcloud und Bandcamp.

 

 

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