von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 09.08.2023
Erfahrungen statt Erklärungen
Dialog als Ausgangspunkt für Museumsnächte: Ab 11. August treffen in Pfyn zeitgenössische Kunst und Dorfleben aufeinander. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Können Kunst und Kultur ein Dorf zusammenhalten? Das ist eine der Fragen, die Alex Meszmer und Reto Müller vom Transitorischen Museum Pfyn seit Jahren umtreibt. Sie haben Pfyn 2012 zur Kulturhauptstadt erklärt, Demokratische Kunstwochen ausgerichtet, um auszuloten, wie sich Kunst demokratisch umsetzen lässt und jetzt greifen die beiden Künstler das Thema erneut auf. Mit so genannten „Transitorischen Nächten“ wollen sie vom 11. August bis 28.Oktober Kunst- und Dorfleben auf dem Pfyner Schulhausplatz zusammenbringen.
Transitorisch heisst so viel wie „vorübergehend“, „vergänglich“, „sich häufig ändernd“. Der Name spielt darauf an, dass jeder einzelne Abend einmalig und so nicht wiederholbar ist und gleichzeitig in sich auch sehr offen, wandlungsfähig und vielfältig ist. Das passt zum ausgewählten Programm: Die Künstler:innen Christoph Rütimann, Rhona Mühlebach, Olga Titus und Ursula Palla sind eingeladen ihre Videoarbeiten zu zeigen, daneben wird es Filme über die Käsi Pfyn, die Pfahlbauer von Pfyn und die Ähnlichkeiten zwischen Handwerk im ägyptischen Asyut und dem schweizerischen Pfyn geben.
Projiziert wird das Programm nicht auf eine Leinwand, sondern auf die Fassade des Schulhauses. „Das ist für uns auch eine Möglichkeit zu zeigen, was wir in unserer digitalen Museumssammlung haben und wir so einen abendlichen Treffpunkt schaffen können“, erklärt Alex Meszmer, die Idee zu dem Projekt, das mit 48‘000 Franken aus dem Transformationsfond des Kantons Thurgau unterstützt wird.
Comeback nach der Pandemie
Mit dem Programm wollen Meszmer und Müller auch an eine Tradition anknüpfen, die es vor der Pandemie seit 2009 fast jedes Jahr gab – die Museumswoche des Transitorischen Museums. Dort bereiteten die beiden thematische Bereiche aus der digitalen Sammlung des Museums auf, auch um den Menschen in Pfyn zu zeigen, was das Museum eigentlich leistet. Im Kern gehe es aber um noch etwas anderes – Erfahrungen zu ermöglichen. Denn: „Erfahrungen lösen mehr aus als Erklärungen. Sie sind die Voraussetzungen für kulturelle Teilhabe“, ist Meszmer überzeugt.
Das als Wandermuseum geplante Elmathaf Elrahal haben Alex Meszmer und Reto Müller im Dezember 2018 in Asyut gegründet. Die beiden Künstler wollten damit eine Brücke schlagen zwischen den Welten - aus der Schweiz nach Ägypten. Das Ziel: Daraus lernen, dass uns bei allen Unterschieden vielleicht doch mehr verbindet als trennt. Im Januar 2019 haben wir ausführlich darüber berichtet. Damals gab es grosse Pläne. Aber dann kam die Pandemie. Wo steht das Projekt jetzt?
Inzwischen gibt es die dreisprachige Webseite und das Fotoarchiv dazu. „Wir haben den Film Collection raisonnée des sciences, des arts et des métier 2019 in Pfyn gezeigt und es waren für 2020 weitere Veranstaltungen in mehreren Ländern geplant, die leider alle wegen Reisebeschränkungen ausfallen mussten“, erklärt Alex Meszmer.
Zusätzlich habe es einen Wechsel in der Direktion der Pro Helvetia Cairo gegeben, der ebenfalls für einen längeren Aufschub gesorgt habe. Aber: Die beiden ägyptischen Archäologen haben weiter recherchiert, gesammelt, fotografiert und gefilmt. „Sie haben uns weiteres Material geschickt, das wir noch nicht alles aufbereiten konnten. Der Verein Kultur Pfyn hat ihrer Forschungsarbeit mit einem kleinen Betrag unterstützt. Wir kommen erst jetzt dazu, die Arbeit wieder aufzunehmen.“
Im Februar waren Meszmer und Müller bei einem Tandem Regions Treffen in Sofia/Bulgarien. Dort seien auch Teilnehmer:innen aus Ägypten, Tunesien, Libanon und Jordanien dabei gewesen, mit denen sie Kontakte knüpfen konnten. „Wie es weitergeht, ist noch offen. Das es weitergeht ist sicher“, so Meszmer gegenüber thurgaukultur.ch.
Bei dem Programm der Transitorischen Nächte wird es auch um das Wandermuseum gehen.
Genau mit dieser Ausrichtung soll es nun weitergehen. „In Pfyn wurde sehr viel neu gebaut, das Dorf hat viele neue Einwohner bekommen. Diese kennen das Museum und seine Geschichte noch nicht“, sagt Alex Meszmer. So soll das Programm auch zu Kennenlernabenden werden. Der Menschen untereinander, aber auch zwischen Menschen und Museum.
Neben den eingeladenen Künstler:innen werden auch Vereine aus Pfyn beteiligt: Der Gitarren- und Akkordeonclub eröffnet das Programm und untermalt eine Diashow aus dem Fundus des Fotoarchivs. Der Gemischte Chor wird zum Film des ehemaligen Gemeindeammanns Heinrich Rechberger singen, den dieser in den 80er Jahren gefilmt hat.
Archäologen unserer Zeit
In diesem Sinne soll Dialog ein Ausgangspunkt für ein Museum sein. „Wir gehen davon aus, dass der Alltag und die Geschichte jedes Menschen interessant genug ist, um seine Erfahrungen zu erzählen“, findet Alex Meszmer. Er versteht sich dabei in gewisser Weise auch als zeitgenössischer Archäologe. Denn: „Die Rekonstruktion des Alltags zu verschiedenen Zeiten ist eine der Hauptaufgaben der archäologischen Arbeit, im Prinzip machen wir genau das für unsere Zeit schon jetzt“, sagt Meszmer.
Wie die beteiligten Künstler:innen ausgewählt wurden
Die Künstler:innen, die nun als Gäste zu den Transitorischen Nächten eingeladen wurden, können ihren Teil dazu beitragen. Ausgewählt haben Meszmer und Müller die beteiligten Künstler:innen danach, ob sie eine Verbindung zum Kanton haben oder sich in ihrem Werk vor allem viel mit Video beschäftigen.
„Christoph Rütimann als unser Nachbar in Müllheim wollten wir schon länger gerne einmal zu uns ins Museum einladen. Rhona Mühlebach ist in Dettighofen und Pfyn aufgewachsen und wir haben mit dem Adolf-Dietrich-Preis ihre Arbeiten zum ersten Mal gesehen. Ursula Palla kennen wir seit vielen Jahren und schätzen ihre Arbeit sehr. Olga Titus war mit einer Videoarbeit im Festivalprogramm bei der Eröffnung des Transitorischen Museums zu Pfyn 2007 dabei“, erläutert Meszmer das Programm. Die Liste der Künstler:innen, die sie gerne eingeladen hätten, sei insgesamt noch sehr viel länger gewesen. Aber: „Wir mussten uns leider auf vier Positionen beschränken.“
Ein nicht alltägliches Museum
Was sich die Museumsmacher selbst von dem Programm erwarten? „In erster Linie schönes Wetter und viele Besucher, die neugierig sind auf das Programm, Geschichte und Geschichten aus und über Pfyn und Begegnungen mit einem nicht alltäglichen Museum“, sagt Alex Meszmer.
Das Programm im Überblick
Freitag, 11.8.2023 ab 21.30 Uhr: Auftakt mit dem Gitarren- und Akkordeonclub Pfyn und einer Diashow aus dem Zeitgarten Fotoarchiv
Samstag 12.8.23 ab 21.30 Uhr: Ein Abend mit Olga Titus: Videoarbeiten
Freitag 18.8.23 ab 21.30 Uhr: Ein Abend mit Christoph Rütimann: Videoarbeiten
Samstag, 26.8.23 ab 21.30 Uhr: Ein Abend mit Herzog Neuenschwander: Wochenschau von 1978 und Wieviel Erde braucht der Mensch?
Samstag 2.9.23 ab 21.00 Uhr: Ein Abend mit Kurzfilmen aus dem Zeitgarten Filmarchiv
Freitag 15.9.23 ab 21.00 Uhr: Die Pfahlbauer von Pfyn, ein Abend mit dem Amt für Archäologie Thurgau
Freitag, 6.10.23 ab 20.00 Uhr: Ein Abend mit der Primarschule Pfyn
Samstag 7.10.23 ab 20.00 Uhr: Ein Abend mit Hans Peter Jörg: Film über die Käsi Pfyn
Freitag 13.10.23 ab 20.00 Uhr: Ein Abend mit Ursula Palla: Videoarbeiten
Samstag 21.10.23 ab 19.30 Uhr: Ein Abend mit dem gemischten Chor Pfyn und dem Pfyn-Film von Heinrich Rechberger
Freitag 27.10.23 ab 19.30 Uhr: Ein Abend mit Rhona Mühlebach: Videoarbeiten
Samstag 28.10.23 ab 19.30 Uhr: Collection raisonnée des sciences, des arts et des métiers, ein Film von Zeitgarten über Handwerk in Pfyn/TG und Asyut/Ägypten
Der Eintritt zu allen Abenden ist frei. Wer spenden möchte, es steht eine Kollekte bereit.
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