von Jeremias Heppeler, 06.12.2021
Falsche Fährten
Die Videokünstlerin Rhona Mühlebach erhält in diesem Jahr den Adolf-Dietrich-Förderpreis. Ihre Ausstellung im Kunstraum Kreuzlingen zeigt, warum. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Ganz klar: Film und Kunst sind zwei Medien, die sich in den vergangenen Jahren immer enger umschlungen haben. Das liegt einerseits an der Digitalisierung und den damit abgetragenen technischen Hürden (soll heissen: Wer früher einen Helikopter mieten musste, der bestellt sich heute für 200 Franken eine Drohne) und andererseits an der hyperpräsenten Sehnsucht der Kunst nach interdisziplinären und intermedialen Momenten, nach allen Blickwinkeln also, in denen sich Medien überlagern und somit neue Sequenzierungen zulassen.
Dass der Film hierbei eine entscheidende Rolle einnimmt erscheint mehr als logisch, schliesslich ist er einerseits schon selbst überaus crossmedial, verbindet Sound und Musik, Bild und Bewegtbild zu einer dahin schwappenden Flüssigkeit, andererseits kommt er der menschlichen Wahrnehmung in genau dieser Einheit der Medien am nächsten.
Genau genommen sind es nämlich die Fotografie und die Malerei, die unser menschliches Auge ad absurdum führen und maximal verfremden durch das einfrieren der Zeit und die Reduzierung auf einen einzelnen, unbewegten Frame.
Wie Galerien die Videokunst um ihre Stärken berauben
Kurzum: Film und Kunst bedingen sich unabdingbar und doch hat man nicht selten das Gefühl einer etwas steifen Liaison zuzusehen, wenn Galerien und Kunsthallen sich darauf beschränken Fernseher an die Wände zu schrauben, um dort im neu geschaffenen Rahmen nichts anderes als einen harmlosen, dezent moderneren Ersatz für das Gemälde zu präsentieren. Der Film wird hierbei (nämlich als Teilbeobachtung im vorbeilaufen), wie selbstverständlich seinen grössten Stärken beraubt. Der Immersion. Der Emotion. Und der Zeitlichkeit.
Warum aber dieser Einstieg? Rhona Mühlebach, ihres Zeichens frisch gebackene Preisträgerin des Adolf Dietrich-Förderpreis, hat für ihre Auszeichnungsausstellung im Kunstraum Kreuzlingen eine Arbeit umgesetzt, die so explizit und konsequent filmisch daher kommt, dass sie in letzter Konsequenz auch als Kommentar auf das Medium selbst gelesen werden kann.
Ein Mord, eine Neandertalerin und ein Wildschwein
Wir sprechen hier allerdings nicht umsonst von letzter Konsequenz - denn bevor wir überhaupt in der Medialität landen, gilt es in „Excitement is not part of my feeling repertoire" eine Vielzahl an Bedeutungs- und Konsequenzschichten zu durchstechen und aufzuschlüsseln - und das ist ein grosser Spass!
Die Handlung des grandiosen Fünfundzwanzigminüters adäquat wiederzugeben scheint fast unmöglich. Es geht um eine Polizistin, die einen Mörder sucht und Wildschweine beobachtet und um eine Neandertalerin, die eine Höhle sucht und in ebendiese Wildschwein-Beobachtung hinein stolpert. Im Kern aber geht's es aber ums Überleben und ums Aussterben und vor allem auch um Emotionen.
Der Kunstraum wirkt leer wie selten
Den grossen White Cube des Kunstraums hat man indessen selten so leer gesehen. Im Zentrum steht ein massiver Fernseher auf welchem der Film gestochen scharf in Dauerschleife rotiert, links davon werden die Dialoge als dezentralisierte Untertitel riesenhaft projiziert, als einziger Konterpart im Kunstraum sehen wir einen auf Stoff gedruckten Höhlenscan, der beinahe wie ein archaischer Wandteppich wirkt. Diese harte Reduzierung lässt viel Raum - und erschafft doch eine Vielzahl an neuen Reibungsflächen.
Das nachfolgende Bild mag vielleicht ein wenig weit hergeholt sein, es scheint aber doch so treffend, dass man es unmöglich liegen lassen kann: als Zuschauer von „Excitement is not part of my feeling repertoire" fühlst du dich selbst alsbald wie ein Neandertaler auf der Jagd nach einem Wildschwein. So vielsagend, so magnetisch wirken die Spuren, die die Künstlerin ausgelegt hat und denen man mit Freude am puren entdecken hinterher pirscht, nur um sich dann in einem vielarmigen Verweisnetz zu verlieren und immer neue Fährten nachzuspüren wie ein junger, aufgeregter Jagdhund.
Geflecht aus Zitaten und Wissenspartikeln
Da sind zunächst die in erdigen, ja fleischigen Farbtönen gehaltenen schottischen Landschaftsaufnahmen (Glasgow ist seit ihrem Studienabschluss der Lebensmittelpunkt von Rhona Mühlenbach), die uns sogleich an britische und nordische Krimiserien erinnern. Da sind die Figuren, die so merkwürdig menscheln, aber in der zunehmenden Verfremdung wirken, als hätte sie Shakespeare geschrieben oder Lars von Trier inszeniert.
Da ist die statisch animierte, Lebensweisheiten am Fliessband platzierende Wildsau, die fast als Pixel-Ode an das frühe, das unschuldige Internet durchgehen könnte. Da ist das ikonisch reproduzierte Bild des schwitzenden Arms, das die Künstlerin als fleischgewordene Metapher für die kaum darstellbare Emotion „Aufgeregtheit" (aka das titelgebenden „Excitement”) platziert. Da ist der Soundtrack von William Aikman, der immer dann, wenn man meint ihn zu fassen zu bekommen, in die nächsten Genre-Partikel zerfällt. Und da ist dieses Geflecht aus Zitaten und Wissenspartikeln, die gleichermassen sinnstiftende, wie sinnauflösend agieren. „Dinnerparty-Knowledge" nennt Mühlebach diese Wissenseinspeisungen.
Ein Beispiel aus dem Film: Neandertaler hatten sehr hohe Stimmen. Die Künstlerin, die 2020 bereits einen Förderbeitrag des Kantons Thurgau erhalten hatte, schnappt solche Fakten, die man problemlos auch bei einem Glas Wein fallen lassen kann, um seinen Gegenüber effektiv zu beeindrucken, mit Vorliebe auf, ohne den Anspruch zu haben, sie weiter zu verfolgen. Trotzdem (oder gerade deshalb) fügen sie sich formidabel in ihre Filme mit ein, weil sie hier ein ungemeines Eigenleben entwickeln und Teil einer alternativen Realität werden dürfen.
Im Tiefparterre stellt Holly McLean aus
Übrigens: Auch im Tiefparterre stehen die Zeichen auf Film. Erstmals hat Kurator Richard Tisserand hier nicht einen zweite Künstlerin hinzu kuratiert sondern diese Aufgabe der Akteurin selbst überlassen. Der fiel die Wahl nicht besonders schwer, denn mit Holly McLean schafft Mühlebach besonders eng zusammen.
McLean hat auch «Excitement is not part of my feeling repertoire» produziert und ihre Arbeiten, die im Dunkel des Kellers besonders scheinen, ergänzen Mühlebachs Werk vor allem handwerklich besonders treffen. McLean spürt einer kargen Schönheit der Normalität auf und versucht genau dort, im Normalen, Verweise auf das Phantastische zu finden. So hat man im Tiefparterre dieser Zeit das Gefühl, als könnte man problemlos in andere Welten spazieren.
Hinein in die Dunkelheit
Am Ende sind es die kleinen Brüche, die dezent ausgetretenen falschen Fährten und die kaum sichtbaren roten Fäden, die «Excitement is not part of my feeling repertoire» gleichermassen als Kunst- wie als Filmwerk funktionieren lassen. Mühlebach scannt die Oberflächen des menschlichen Daseins, nur um dann hinein zu kriechen in die durchdringende Dunkelheit der Unterwelt und uns vom dort Entdeckten mit grosser Freude und Lust am Erzählen zu berichten.
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